«The Old Guard»: Unsterbliche, wollt ihr ewig kämpfen?

Netflix vermeldet sensationelle Abrufzahlen für «The Old Guard». Und trotz mancher Mängel ist das dem Charlize-Theron-Vehikel durchaus zu gönnen.

Filmfacts «The Old Guard»

  • Regie: Gina Prince-Bythewood
  • Produktion: David Ellison, Dana Goldberg, Don Granger, Charlize Theron, AJ Dix
  • Beth Kono, Marc Evans
  • Drehbuch: Greg Rucka; basierend auf dem Comic von Leandro Fernández und Greg Rucka
  • Cast: Charlize Theron, KiKi Layne, Marwan Kenzari, Luca Marinelli, Harry Melling, Veronica Ngo, Matthias Schoenaerts, Chiwetel Ejiofor
  • Musik: Volker Bertelmann, Dustin O'Halloran
  • Kamera: Tami Reiker, Barry Ackroyd
  • Schnitt: Terilyn A. Shropshire
  • Laufzeit: 125 Minuten
Laut Netflix-Angaben ist die Comic-Adaption «The Old Guard» innerhalb weniger Tage in die globale Top Ten der meistgesehenen Netflix-Originalfilme in der gesamten Geschichte von Netflix gerückt. Da Netflix seine Daten selber erhebt, nach eigenem Gutdünken veröffentlicht und gelegentlich seine Datenerhebungsmaßstäbe ändert, und auch schon einmal dabei erwischt wurde, massiv zu übertreiben, sind diese Angaben mit Vorsicht zu genießen. Fakt ist aber, dass in einer Welt, in der das Blockbuster-Kino coronabedingt stillsteht, das Charlize-Theron-Actionvehikel der massentauglichste Big-Budget-Film der vergangenen Monate ist, der einen weltweiten, parallelen Start verpasst bekommen hat.

Eine kurze Stichprobe in den sozialen Netzwerken genügt, um den Eindruck zu bestätigen, dass «The Old Guard» definitiv ein viel beachtetes Projekt ist. Und insofern ist es durchaus glaubwürdig, dass die Skydance-Media-Produktion zumindest einen sehr erfolgreichen Netflix-Exklusivfilm darstellt. Dieser filmexterne Aspekt zählt zugleich zu den aufregendsten Aspekten von «The Old Guard» – bestätigt er doch einen interessanten Trend hinsichtlich der Netflix-Originalfilme: «The Old Guard», von Netflix ab 16 Jahren empfohlen, ergänzt eine ganze Reihe an Netflix-Actionfilmen mit Hollywood-Prominenz und unterhaltsamer Action, die dennoch drastischer ist als die im jetzigen Mainstream-Popcornkino alltäglichen Scharmützel.

Da wären nämlich noch Peter Bergs Mark-Wahlberg-Vehikel «Spenser Confidential», das an FSK-ab-16-Buddy-Actioner der späten 80er und frühen bis mittleren 90er erinnert, Michael Bays Blankocheck-Bombast «6 Underground» mit Ryan Reynolds, J. C. Chandors «Triple Frontier» mit Ben Affleck, Pedro Pascal und Oscar Isaac, sowie der Chris-Hemsworth-Actionthriller «Tyler Rake: Extraction». Filme, die aus einem ähnlichen Holz geschnitzt sind wie die kommerzielle Speerspitze des Hollywood-Actionkinos vergangener Dekaden. Bis die Einnahmen dieser Actionfarbe sanken, weil DVDs billiger wurden und diese Filme von Kinoverabredungen zu "Irgendwann hole ich ihn mir für's Heimkino, wenn er im Angebot ist"-Vorhaben mutierten. Und dann kam das Streaming und beschleunigte diesen Trend.

Gab es daher zeitweise einen Engpass an solcher Actionware (zumindest, wenn man qualitative Grundmaßstäbe setzt und Direct-to-DVD-Grabbeltisch-Titel ignoriert), sorgt Netflix nun dafür, diese Subkategorie, an deren Kinomarkt der VOD-Dienst einst nagte, wieder stärker aufleben zu lassen. Und jeder neue Erfolg wie «The Old Guard» dürfte zwei, drei weiteren Ideen ähnlicher Kajüte zu grünem Licht verhelfen. Anders gesagt: Action dieser Größe und Härte kann vielleicht getötet werden – aber sie kann nicht einfach so sterben. Was uns zum Plot von «The Old Guard» führt:


Andy (Charlize Theron) führt eine kleine Gruppe von (förmlich) Unsterblichen an, die bereits seit mehreren Jahrhunderten die Menschheit im Geheimen vor Gier und Gefahren beschützen. Doch Andy hat es einfach satt. Die Regeneration schmerzt und nervt. Sie ist der Welt überdrüssig geworden und kampfesmüde – aber sie ist, selbst wenn sie es nicht zugeben würde, zu verantwortungsbewusst, um ihr nahezu ewiges Leben damit zu verbringen, dem Hedonismus zu frönen. Und auch das Leben in Abgeschiedenheit, ohne Beziehungen außerhalb ihres kleinen Zirkels, hat sie satt.

Daher sehnt Andy sich nunmehr nach dem Tod. Doch sie findet keine Ruhe: Als ihre Truppe in einen Hinterhalt gerät, bei dem nicht nur zwei Mitglieder entführt werden, sondern mit Kameras das große Unsterblichkeit-Geheimnis dokumentiert wird, liegt es an Andy, es mit diesem grausamen neuen Feind aufzunehmen. Als Hilfe (wider Willen) hat sie Newcomerin Nile (KiKi Layne) an ihrer Seite, eine US-Soldatin, die gerade in Afghanistan ihre Kraft entdeckt hat …

Greg Ruckas Skript auf Basis des von ihm miterschaffenen Comics wird der Prämisse einer jahrhundertealten Kämpfertruppe nicht gerecht: Mit minimalen Drehbuchanpassungen könnte dies auch ein Superhelden-Actionfilm über ein besonders starkes Team sein. Und mit noch ein paar weiteren Anpassungen wäre es auch einfach ein Film über eine Eliteeinheit, der halt kein Wissenschaftler nachjagt, der ihre Kraft erforschen will, sondern schlicht ein Schurke, der sie aus dem Weg räumen will. Die Motivationen der zentralen Figuren, deren prägenden Charakteristiken und die Tonalität des Films würde das kaum beeinflussen, so beiläufig ist das Element der (Beinahe-)Unsterblichkeit.

Diesem vergeudeten thematischen Potential zum Trotz nutzt Regisseurin Gina Prince-Bythewood («Die Bienenhüterin») dieses Gimmick zu ansehnlichem Effekt, indem sie dynamische, abwechslungsreiche Actionszenen inszeniert, in denen die Kraft der Heldenfiguren clever zum Einsatz kommt. Jene Figur metzelt sich behände durch gegnerische Horden, die Treffer der Gegenseite unbekümmert wegsteckend, jene Figur verletzt sich taktisch klug selber, um einer anderen Figur zu schaden. Und so weiter. Das macht «The Old Guard» trotz einer Überlängen-Laufzeit, die der Plot eigentlich nicht tragen kann, durchweg kurzweilig.

Marwan Kenzari und Luca Marinelli bereichern den Film zudem mit einer rührenden, glaubwürdigen Liebesgeschichte, während Charlize Theron eine erfahrene, müde gewordene Superkämpferin gibt, deren Rapport mit der überforderten, doch aufgeweckten Unsterblichkeitsnovizin Nile (KiKi Layne) für Spannung und spröden Spaß sorgt. Der Rest des Casts wird nicht sonderlich gefordert – aber ein Sequel wurde bereits angeteasert, und der Stoff gibt tatsächlich genug für einen zweiten Teil her.

«The Old Guard» ist auf Netflix abrufbar.
22.07.2020 14:33 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/119993