«Inception»: Eine Idee, die sich festsetzt

Resistent, hochansteckend. Wenn ein Gedanke einen Verstand erstmal infiziert hat, ist es fast unmöglich, ihn zu entfernen: Christopher Nolans Erfolgsfilm «Inception» kehrt auf die große Leinwand zurück.

Ganze zehn Jahre ist es mittlerweile her, seit Christopher Nolans spektakulärer Thriller «Inception» auf die große Leinwand kam. Jahrelang von Nolan ersonnen, immer wieder verworfen, weil er befand, dass die Geschichte einen riesigen Aufwand rechtfertigen würde, den er sich nicht leisten konnte, wurde «Inception» letztlich Realität, als Warner Bros. ihm nach dem gigantischen Erfolg von «The Dark Knight» einen enormen Vertrauensvorschuss gegeben hatte.

Mit 160 Millionen Dollar bewaffnet, formte der Autor und Regisseur daraufhin die Geschichte des Meisterkriminellen Dominick Cobb, der sich auf Traumspionage spezialisiert hat. Damit ein Großindustrieller seine Beziehungen spielen lässt, und Cobb ein Wiedersehen mit seinen Kindern möglich wird, nimmt der von Leonardo DiCaprio verkörperte Berufstraumtänzer, äh, Berufstraumknacker den denkbar schwierigsten aller Jobs an: Er soll eine Crew zusammenstellen, um einem Konkurrenten seines Auftragsgebers eine Idee einzupflanzen.

Was vorab als Wagnis tituliert wurde, stellte sich letztlich als der letzte Schritt heraus, der Nolan fehlte, um von einem namhaften Regisseur zu einem der wenigen derzeit tätigen Filmemacher zu werden, die eine markante Handschrift, große Anerkennung bei der Fachpresse, kommerzielle Tauglichkeit und eine "Markenwirkung" beim regulären Publikum vereinen. Der Name Nolan ist in dieser Ära des Franchise-Filmemachens zu einem eigenen Franchise geworden.

Denn: Wer 829,9 Millionen Dollar generieren kann, mit einem Film, in dem Gentlemenganoven in den Verstand einer Person einbrechen, während sich ihr Anführer widerwillig, aber kathartisch mit seinem Verlusttrauma und seinen Schuldgefühlen auseinandersetzt, der kann später auch einen Sci-Fi-Film zum Megablockbuster machen, der nicht zu den großen Weltall-Franchises zählt. Und eine 106-minütige Parallelmontage-Fingerübung über eine Rettungsaktion im Zweiten Weltkrieg über die 525-Millionen-Dollar-Marke pushen.

Nolans stetes Drängen darauf, bloß dann am Computer generierte Bilder praktikablen Effekten vorzuziehen, wenn der digitale Weg der vernünftigere und günstigere ist, und auch dann nur möglichst kurz diesen Trick aus Einsen und Nullen zu fokussieren, sorgt dafür, dass «Inception» im Jahr 2020 noch immer so aussieht, als sei er ein topaktueller Film. Dazu trägt selbstredend auch Nolans zielsichere Regieführung bei:

So opulent die Bilder in «Inception» auch sein mögen, von weitläufigen Schneelandschaften über ein Designerhotel voller optischer Illusionen bis hin zu sich faltenden Straßenzügen – stets lenkt Nolan unterschwellig, doch mit Nachdruck den Blick seines Publikums. So, wie Cobb und seine Crew dem Träumenden eine weitläufige, aber schlussendlich gewieft begrenzte Welt erschaffen, in der sie ihn dazu bringen, sich "freiwillig" dorthin zu bewegen, wo sie ihn haben wollen.

Dass Nolan und Cobb sich einige Fertigkeiten teilen, beweist auch eines der größten kulturellen Vermächtnisse von «Inception»: Der Film handelt, wie bereits erwähnt, davon, wie eine Gruppe von Traumerschaffern (und ihre neu dazugekommene Traumerschafferin) einem Mann eine Idee einpflanzen, auf die er selbst nie gekommen wäre. Durch den Film «Inception» wiederum hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch eine Fehldeutung des Titels durchgesetzt, die ohne den Film niemals zustande gekommen wäre:

Obwohl Inception die Begründung, den Anbeginn einer Sache oder einer Entwicklung beschreibt, hat es sich nunmehr als Synonym für Ein-Ding-in-einem-Ding(-in-einem-Ding-...) durchgesetzt. Analog zu den Träumen in einem Traum, die «Inception» kreiert, um zu inszenatorisch wuchtigem Effekt Szenerien, Actionpassagen und Konflikte zu verschachteln, statt sie bloß sauber nebeneinander zu drapieren. Und das ist mehr als nur Schall und Rauch, bedenkt man, dass dieser Schachteltrick-Film sich so sehr in der Popkultur festgesetzt hat.

«Inception» steuerte nicht zuletzt den überraschenden Überhit in Hans Zimmers Karriere bei: Der deutsche Export-Komponist und Oscar-Gewinner, der vor allem für seine frenetischen, dröhnenden und elektrisierenden Action-Scores bekannt ist und auch in «Inception» wummernde Warntöne erklingen lässt, komponierte für diesen Film das verletzliche, kummervolle, melancholisch-träumerische Stück "Time". Über die vergangenen zehn Jahre hinweg hat es sich von "einem der Stücke in «Inception»", das seltener referenziert wurde als etwa die langgezogenen, tiefen Bassnoten, die durch die verschiedenen Traumebenen im Film hallen, zu dem Hans-Zimmer-Stück entwickelt. Seine Popularität hat sich schleichend, hartnäckig ausgebreitet – wie ein Parasit. Oder eine tief ins Unterbewusstsein eingepflanzte Idee.



"Time" gewinnt regelmäßig Umfragen nach den besten Hans-Zimmer-Kompositionen, überschattet mit mehr als 167 Millionen Abrufen auf Spotify Zimmers restliches Werk und fasst als zerbrechliche, nachdenkliche Melodie, die sich zwischenzeitlich dank eines gewaltigen Arrangements aufbäumt, «Inception» hervorragend zusammen: Intime Gefühle, monumental aufgebauscht. Das ist ein Kunststück, wie es das Kino nur selten zulässt, finden hier doch Schauwert-Bombast und kopfgesteuert-stilisierter Ausdruck tief im Herzen ruhender Gefühle zusammen.

«Inception» kehrt anlässlich seines zehnjährigen Jubiläums auf viele deutsche Leinwände zurück und ist darüber hinaus als DVD, Blu-ray und Video on Demand erhältlich.
27.07.2020 17:18 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/120124