Kaum ein Genre schreit so sehr nach einer modernen Neuinterpretation wie der Western – und genau an diesem Kontext scheitert leider dieser Film.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Meinhard Neumann als Meinhard
Reinhardt Wetrek als Vincent
Alilov Letifov als Adrian
Veneta Frangova als Veneta
Vyara Borisova als Viara
Kevin Bashev als Wanko
Aliosman Deliev als Mancho
Hinter der Kamera:
Produktion: Komplizen Film GmbH, Coop99 Filmproduktion GmbH, Chouchkov Brothers und ZDF - Das kleine Fernsehspiel
Drehbuch und Regie: Valeska Grisebach
Kamera: Bernhard Keller
Produzenten: Michel Merkt, Maren Ade, Jonas Dornbach, Valeska Grisebach und Janine JachowskiAmerikaner, die genug haben von den zivilisatorischen Errungenschaften und dem Zwang zur psychologischen Sublimierung, können sich seit Generationen gen Westen wenden, wo in der gleißenden Sonne von Arizona ein Mann noch ein Mann sein darf, sein Brot nicht mit einem Schreibtischjob samt Sozialabgaben und Pendlerpauschale verdienen muss, sondern Kühe hüten und dabei Marlboro rauchen oder Eisenbahnschienen verlegen darf, mit roher Muskelkraft statt mit spitzem Bleistift und Whiskey aus der Flasche statt Wasser in einem Plastikbecherchen. Soweit zumindest das unmögliche Klischee.
Will ein Westeuropäer in ähnlicher Weise aus Komfort und gesellschaftsentmannter Langeweile ausbrechen, muss er sich der anderen Himmelsrichtung zuwenden: In der bulgarischen Peripherie, wo mit EU-Geldern Wasserkraftwerke gebaut werden sollen, braucht es sonnengegerbte deutsche Handwerker, die kräftig anpacken. Die Kolonne aus sozialabstiegserprobten, bisweilen vulgären Männern wird vor Ort freilich zahlreiche Überraschungen erleben: Das Wasser ist knapp, der Kies wird nicht ordnungsgemäß geliefert, deutsche Großtuerei stößt auf wenig Gegenliebe und das brachiale Anpirschen an gutaussehende junge Frauen am örtlichen Badesee führt zu größeren Verwerfungen. Soweit zumindest die erwartbaren Klischees.
© ZDF/Bernhard Keller
Meinhard (Meinhard Neumann), ein hagerer Mann mit Oberlippenbart, steht vor einer kargen, hügeligen Landschaft.
Dabei schreit kaum ein Genre nach einer so radikalen zeitgemäßen Neuinterpretation wie der Western. Bisher unterrepräsentierte Blickwinkel – die von Frauen, Indianern, Schwarzen, Osteuropäern – gäbe es genug, und zumindest in Amerika bemüht man sich, etwa mit Téa Obrehts spannendem Roman „Inland“, um eine zeitgenössische und nicht minder faszinierende Lesart.
Gemessen an diesen Möglichkeiten, präsentiert Valeska Grisebachs betont langsamer Spielfilm, der nicht zuletzt durch sein Zurückgreifen auf möglichst authentische Laiendarsteller einen besonders naturalistischen Duktus anzustreben scheint, dagegen nur alten Genre-Wein in neuen Schläuchen. Statt die bekannten Motive – der auf sich gestellte Mann wider die Naturgewalt, die Outlaws gegen das Dorf, und zwei Männer, die um dieselbe Frau buhlen – zu dekonstruieren und auf die tatsächlich gegebenen heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse umzumünzen, werden die amerikanischen Klischees und
Tropes schlicht auf überspitzt ausgedachte europäische Divergenzen übertragen. Somit wirkt «Western» auch nicht wie eine moderne, mutige Neuinterpretation eines lange vernachlässigten und in seiner bisherigen Spielform aus der Zeit gefallenen Genres, sondern wie ein bemühtes Sozialdrama aus den 70er Jahren, das uns nicht mehr zu sagen hat, als was uns Wim Wenders mit schärferem Blick und filigranerem szenischen Gespür schon vor einem halben Jahrhundert mitzuteilen verstand: Kein Film, der den Gnadenschuss verdient – doch die meisten lauen Prärienächte dürften zu spannenderen Beobachtungen einladen.
Das ZDF zeigt «Western» in der Nacht von Montag, dem 03.08.2020, auf Dienstag um 00.25 Uhr.