«Wege des Lebens - The Roads not taken» - Javier Bardem auf der Suche nach seinen Erinnerungen
Sally Potter widmet sich in Personalunion als Regisseurin und Autorin dem Thema Altersdemenz und den Auswirkungen der Krankheit auf Betroffene und Angehörige. Doch ihr Vater-Tochter-Drama «Wege des Lebens - The Roads not taken» lässt viel Potenzial liegen.
Filmfacts: «Wege des Lebens - The Roads not taken»
Kinostart: 13. August 2020
FSK: o.Al.
Laufzeit: 86 Min.
Genre: Drama
Kamera: Robbie Ryan
Musik: Sally Potter
Buch & Regie: Sally Potter
Darsteller: Javier Bardem, Elle Fanning, Branka Katic, Laura Linney, Salma Hayek, Ray Jahan
OT: The Roads not taken (UK/SWE/USA/POL/ESP 2020)
Sich dem Thema Demenz zu nähern und damit, wie selbst Betroffene und deren Angehörige mit diesem schlimmen Schicksal umgehen, ist auf filmischer Ebene bislang genauso oft schief gegangen wie geglückt. Til Schweiger ist mit seiner Wohlfühlkomödie «Honig im Kopf» (von dem US-Remake des deutschen Millionenhits wollen wir gar nicht erst anfangen) krachend gescheitert, da er die Krankheit vornehmlich als Katalysator für plumpe Witzchen und Slapstick-Szenen genutzt hat. Der Oscar-Kandidat «Still Alice» hingegen begeisterte, weil es entgegen vieler Tränenzieher über dasselbe Thema fast schon nüchtern mit der Krankheit umgeht, ohne dabei die emotionalen Folgen für die Leidtragenden aus den Augen zu verlieren. «Das Leuchten der Erinnerung» ist dann wieder eines dieser kitschigen Rührstücke, das die Augen vor der Realität verschließt. «What they had» mit Hillary Swank und Michael Shannon wurde von den Kritikern indes weltweit für seine emotional facettenreiche Abbildung eines Krankheitsschicksals gefeiert.
Sally Potters «Wege des Lebens – The Roads not taken» setzt sich nun einmal mitten hinein in sämtliche positiven wie negativen Aspekte eines „Demenzfilms“ und reichert sie mit einer ordentlichen Portion Malick’scher Assoziationsketten an, was das Ganze esoterischer erscheinen lässt, als es vermutlich gemeint ist.
24 bedeutsame Stunden...
...im Leben von Leo (Javier Bardem) und dessen Tochter Molly (Elle Fanning): Beide haben sich mit der Zeit auseinander gelebt, doch nun kämpfen sie gemeinsam mit dem zunehmend kritischen mentalen Zustand des alleinstehenden Vaters. Während sie sich durch einen stressigen Tag in New York City schlängeln und versuchen, den normalen Alltag zu bewältigen, verliert sich Leo immer wieder in zwei Lebensrealitäten, die er so hätte erleben können: Von der leidenschaftlichen Ehe mit seiner Jugendliebe Dolores (Salma Hayek) in Mexiko bis hin zu einem Leben in Einsamkeit auf einer abgelegenen griechischen Insel, wo das zufällige Aufeinandertreffen mit zwei jungen Touristinnen schmerzliche, unbequeme Einsichten ans Licht bringt.
Im Zentrum von «Wege des Lebens» steht das schwierige Verhältnis zwischen Leo und Molly. Vater und Tochter haben sich schon lange entfremdet. Sie die Karrierefrau, er der alternde Eigenbrötler – diese selbst gewählten Lebensentwürfe werden hier als unvereinbar dargestellt, was die Grundlage für eine klassische Annäherungsgeschichte bildet. Denn als Molly plötzlich erfährt, dass sich ihr Vater schon lange nicht mehr habe draußen sehen lassen, steigt in ihr eben doch ein gewisses Verantwortungsgefühl empor, das glaubhaft erscheint, wenn man sich die Interaktion zwischen Elle Fanning («The Neon Demon») und Javier Bardem («Offenes Geheimnis») anschaut. Die tiefe Zuneigung der beiden flackert vor allem von Bardems Seite immer wieder subtil auf, wenn er sich zwischen den Momenten geistiger Abwesenheit an vergangene Momente mit seiner Tochter erinnert. Fanning dagegen trägt hier und da etwas dick auf, profitiert jedoch von Bardems zurückhaltender Performance.
Während er sie immer wieder auf den Boden zurückholt, gibt sie sich Mühe, ihn mit ihrer (vorgegaukelten?) Lebenslust anzustecken. Diese Anflüge von Optimismus im Keim zu ersticken, ist einer von vielen erzählerischen Kniffen, die Sally Potter («The Party») hier anwendet, um in erster Linie von der Trostlosigkeit eines Demenzschicksals zu erzählen.
Um aus dieser Tristesse auszubrechen, wendet Sally Potter nicht etwa wie in vielen anderen Filmen über tieftraurige Schicksale eine aufgedrückte Feelgood-Message auf. Stattdessen sind es hier die wahlweise als Rückblenden oder Traumsequenzen inszenierten Momente aus Leos Vergangenheit oder wahlweise seiner Fantasie, die eine Art Parallelwelt bilden, in die sich Leo zurückzieht. Inwiefern dies medizinisch nachvollziehbar oder dann doch eher esoterischer Natur ist, vermögen wir an dieser Stelle nicht zu beurteilen, da uns einfach das Wissen über die genauen Abläufe einer Demenzerkrankung fehlt. Sicher ist aber, dass die assoziativ-überhöhten Erinnerungssequenzen aufgrund ihrer Anleihen an Terrence Malicks Schaffen zwischen 2011 und 2017 hin und wieder arg träumerisch anmuten. Nun könnte man argumentieren, dass sie es ja bis zu einem gewissen Grad auch sind: Sally Potter lässt zumeist offen, welche Erinnerungsfetzen von Leo auf wahren Geschehnisse beruhen und welche er sich infolge falscher Entscheidungen zusammenfantasiert; Der Filmtitel „Wege des Lebens“ spielt auf die den Film durchziehende Frage an, was gewesen wäre, wenn wir uns an dieser oder jener Stelle in unserem Leben anders entschieden hätten.
Insofern stimmt das mit dem Träumen in gewisser Weise. Doch dass Leo letztlich auch in dieser vermeintlichen Flucht vor der Realität in sich selbst gefangen ist, dieses Gefängnis nur einfach anders aussieht, lässt Potter außen vor. Es ist hier vor allem Bardems starkem Spiel zu verdanken, dass man Leo die Verzweiflung ob seiner Situation auch dann anmerkt, wenn er sich in seinem vermeintlich idyllischen Rückzugsort befindet.
Wenngleich die Momente im Hier und Jetzt betont realistisch dargestellt werden und die Szenen in Leos Fantasie wesentlich künstlicher inszeniert sind – gekennzeichnet etwa durch besonders knallige Farben oder weitaus schnellere Bewegungsabläufe in Kameraarbeit und Schnitt – stellt «Wege des Lebens» diese Momente nie zu positiv dar. Im Gegenteil: Inhaltlich drücken sie sogar zu weiten Teilen eine selbstgeißelnde Ader aus, die Leo im Nachhinein an sich selbst auslässt. Schade ist an dieser interessanten Auseinandersetzung mit dieser Demenzfacette allerdings, dass Sally Potter nichts aus ihr macht. Denn letztlich erfahren wir weder über Leo noch über Mollys Gemütszustand mehr als es die zweifelsohne hervorragend choreographierten Bilder zeigen. Die Dialoge zwischen Vater und Tochter, aber auch zwischen Vater und seiner anderen Bekanntschaften, die er im Laufe seines Lebens (oder eben in seiner Fantasie) gemacht hat, sind so wenig aussagekräftig, dass man am Ende nicht umherkommt, den Vergleich zu Malick dann doch eher negativ zu gebrauchen. Nur dass der mit seinen Filmen nie allgemeingültig vorgeschriebene Geschichten erzählt, sondern klar darauf abzielt, dass das Publikum seine Gedanken in das Gezeigte hineininterpretiert. Potters Film löst indes aufgrund eklatanter Erzählschwächen dasselbe aus, ohne es zu beabsichtigen. Sally Potter will in «Wege des Lebens» eigentlich vom intimen Schicksal zweier Personen erzählen. Doch anstatt „das“ erzählt sie einfach „irgendwas“.
Trotzdem berührt «Wege des Lebens – The Roads not taken» bisweilen vor allem, weil es Javier Bardem mit kleinen Gesten gelingt, die Verzweiflung eines Mannes greifbar zu machen, der alles unternimmt, um seinem Schicksal zu entkommen und Elle Fanning, die hier aufopferungsvoll um dasselbe kämpft. Schade, dass man über beide nicht mehr erfährt. Dann könnte man das komplexe Verhältnis zwischen Vater und Tochter vielleicht noch ein kleines bisschen besser nachvollziehen.
Fazit
Sally Potter gelingt mit ihrem melancholisch-träumerischen Demenzdrama «Wege des Lebens – The Roads not taken» von der Annäherung zwischen Vater und Sohn auf dem Rücken einer schweren Krankheit. Doch ihr Inszenierungsstil steht der angestrebten Ernsthaftigkeit im Weg und wirkt bisweilen esoterisch.
«Wege des Lebens – The Road not taken» ist ab dem 13. August in den deutschen Kinos zu sehen.