«Corpus Christi» - (Fake-)Priester aus Leidenschaft

Bei der Oscarverleihung dieses Jahres ging der polnische Beitrag «Corpus Christi» leer aus. Trotzdem erhält er eine reguläre Auswertung in den deutschen Kinos. Für ein Kinoticket erhält der Zuschauer ein düster inszeniertes, aber leider nicht wirklich substanzielles Drama über einen Straftäter, der zu Gott findet.

Filmfacts: «Corpus Christi»

  • Start: 3. September 2020
  • FSK: 16
  • Laufzeit: 105 Min.
  • Genre: Drama
  • Kamera: Piotr Sobocinski Jr.
  • Musik: Evgueni Galperine, Sacha Galperine
  • Buch: Mateusz Pacewicz
  • Regie: Jan Komasa
  • Darsteller: Bartosz Bielenia, Aleksandra Konieczna, Eliza Rycembel, Tomasz Zietek
  • OT: The Photogtaph (USA/CHN 2020)
Es klingt wie ein klassischer Film-, sogar am ehesten wie ein Komödienplot: Ein Mann verkleidet sich als Priester, obwohl er eigentlich gar keiner ist. Anschließend bekehrt er mit seinen unkonventionellen Messen die Gemeinde und schließlich spielt es überhaupt keine Rolle mehr, dass es sich bei dem vermeintlichen Heilsbringer ja eigentlich nur um einen Hochstapler gehandelt hat. Da es niemandem aufgefallen ist, kann er seinen Job ja so schlecht nicht gemacht haben. Diesen Plot gab es in mehr oder weniger abgewandelter Form ja sogar bereits, im Falle von «Corpus Christi» dagegen ist er aber nicht Bestandteil einer klassischen Verwechslungscomedy, sondern eines waschechten Dramas – kein Wunder, der Film basiert auf einer wahren Begebenheit, nach der ein junger, polnischer Mann drei Jahre (!) lang vorgab, im Auftrag des Herren unterwegs zu sein, während er in Wirklichkeit einfach nur ein auf Bewährung befindlicher Straftäter war. Regisseur Jan Komasa («Suicide Room») hat die Story nun als eine sehr düstere Form von Selbstfindungsdrama inszeniert.

Dabei ist nur bedingt gemeint, dass sich die Hauptfigur selbst findet – das hat sie ja irgendwie bereits, als sie ihre religiöse Ader entdeckt hat. Vielmehr geht es um die Gesellschaft an sich, die zu einem Moralverständnis finden muss, in dem sie für sich selbst die Frage beantwortet: Klagen wir den jungen Mann für seine Hochstaplerei an (emotional, nicht wortwörtlich), oder erkennen wir an, dass er sein Tagwerk möglicherweise besser verrichtet hat, als so manch echter Priester?



Und plötzlich war er Priester


Der 20-jährige Daniel (Bartosz Bielena) erlebt während seines Aufenthalts in einem Jugendgefängnis eine spirituelle Transformation. Fortan möchte er Priester werden, weiß aber, dass dieser Plan mit vielen Hürden gesäumt ist. Aufgrund seiner Vorstrafen ist es ihm nämlich nahezu unmöglich, diese vermeintliche Berufung anzutreten. Doch dann kommt plötzlich alles anders: Als er zur Arbeit in eine kleine Stadt geschickt wird, verkleidet er sich bei seiner Ankunft spontan als Priester und übernimmt schon bald die örtliche Gemeinde, als der ortsansässige Priester verstirbt. Durch die Ankunft des jungen, charismatischen Predigers verändert sich die Gemeinde zum Positiven und Daniel sieht sich in seiner vermeintlichen Bestimmung bestätigt. Doch dieses Täuschungsmanöver hat verheerende Folgen…

Ist man einmal ehrlich, dann hebt sich «Corpus Christi» nur dahingehend von ähnlichen Stoffen ab, weil er eben besonders düster inszeniert ist. Denn natürlich steht am Ende einer jeden Geschichte dieser Art – sei es nun Neil Jordans „Wir sind keine Engel“ oder auch Steven Spielbergs «Catch Me if you Can», wo ja auch noch die nicht zu leugnende Bewunderung für die Dreistigkeit der hochstapelnde Person eine wichtige Rolle spielt – immer die Frage: Wer ist nun eigentlich „schuldiger“? Der, der die anderen an der Nase herumführt, oder die, die sich an der Nase herumführen lassen? Hinzu kommt die blinde Gefolgschaft einer vermeintlichen Obrigkeit: Wir erinnern uns: In Robert Schwentkes «Der Hauptmann» muss ein Mann nur eine Hauptmann-Uniform tragen und jeder ihm über den Weg laufende Soldat kuscht. In «Corpus Christi» wird aus der Hauptmann-Uniform ein Priester-Outfit. Und die unkonventionellen Messen des zwanzigjährigen Straftäters sind zwar so ganz anders als die Predigten des bisherigen Priesters, aber anstatt dies zu hinterfragen, wertet man Daniels Auftreten als das Aufbrechen eingefahrener Traditionen.

Und dann ist sie da wieder, die Frage: Ist es so schlimm, dass jemand kirchliche Messen abhält, obwohl er eigentlich gar kein Priester ist? Schließlich stehen hier – anders als zum Beispiel in Medizinberufen – ja keine Menschenleben auf dem Spiel, die der Hochstapler aufgrund seiner fehlenden Ausbildung riskieren könnte.

(K)eine düstere Verwechslungskomödie
Vielmehr als diesen gleichermaßen moralischen wie juristischen Konflikt hat «Corpus Christi» dann aber nicht zu bieten. Und das, obwohl Drehbuchautor Mateusz Pacewicz (zeichnet gemeinsam mit dem Regisseur Jan Komasa für die derzeit vieldiskutierte Netflix-Produktion «The Hater» verantwortlich) sich an vielen Stellen um eine erzählerische Ambivalenz bemüht, die allerdings erst gen Ende zum Tragen kommt. Eine einfache Antwort auf die Frage, ob Erfolg im vorgetäuschten Job die illegalen Methoden, über die man an diese Position gelangt ist, legitimiert, liefert er nicht. Wohl aber auf die Frage, was ein derartiger Akt der Aufopferungsbereitschaft (Daniel verrichtet seine Arbeit als Priester nicht aus Prestige- oder Geldgründen, sondern weil er einfach sehr für diesen Beruf brennt) mit demjenigen tut, der ihn wählt. Wie das Skript den Antihelden Daniel hier zeichnet, ist spannend.

Bereits in der aller ersten Szene sieht man den in einem Sägewerk arbeitenden jungen Mann dabei, wie er Schmiere steht, als ein paar Kollegen einen schwächeren Kollegen aufs Übelste schikanieren. Am Schluss ist es Daniel selbst, der blutüberströmt aus einer Prügelei hervorgeht. Dazwischen bleibt er abseits seiner Messen und dem Umgang mit den gläubigen Gemeindemitgliedern unnahbar, lässt sich nicht in die Karten schauen. Er liebt das, was er tut, wirkt allerdings wie eine Zeitbombe – und man kann nicht einmal genau sagen, was genau die eigentlich zum Hochgehen bewegen sollte. Bartosz Bielenia («The Man with the Magic Box») umströmt ganz einfach eine Eiseskälte, durch die sich als Zuschauer kaum dringen lässt.

Hin und wieder durchbrechen die Filmemacher die grau-grüne Tristesse von «Corpus Christi» mit humoristischen Motiven. Etwa wenn der erstmals die Beichten seiner Gemeinde abnehmende Daniel ein Smartphone auf dem Schoß hat, um sich aus dem Internet jederzeit den richtigen Erbauungsspruch herauszusuchen. Oder wenn Gespräche nach seiner Herkunft immer im letzten Moment doch nicht zu Ende geführt werden und Daniel dadurch einfach nicht enttarnt wird. Solche Szenen heben sich aus dem Drama heraus, verorten es dafür aber umso mehr in der Realität. Die Situation war für die Hauptfigur auch im echten Leben nicht durchgehend von subtiler Angst vor dem Entdecktwerden geprägt; Irgendwann in den drei Jahren hat sie begonnen, sich in Sicherheit zu wiegen. Und dann stecken auch die Momente, in denen Daniel völlig losgelöst mit den Gläubigen interagieren kann an, oder entwickeln in der zweiten Hälfte eine ganz andere, tiefgründigere Dramatik, wenn der Fake-Priester verzweifelt versucht, die Gemeinde endlich dazu zu bringen, einen ihr widerfahrenen Schicksalsschlag zur Zufriedenheit aller zu verarbeiten.

Die Bedeutungsschwere in der Inszenierung und dem Auftreten sämtlicher Darsteller ergibt sich letztlich durch zwei Faktoren: einmal durch Daniels emotionalen Zwiespalt sowie die permanente Angst, als Straftäter enttarnt zu werden. Und einmal durch besagten Trauerfall und die damit verbundenen Konflikte innerhalb der Gemeinde. Leider kann «Corpus Christi» nach hinten raus nicht ganz einlösen, was die Inszenierung vorgibt – er erfindet das Rad in Aussage und Figurenmotivation eben nicht neu.

Fazit


«Corpus Christi» erzählt eine schon vielfach dagewesene Geschichte über einen Hochstapler, stützt sie hier allerdings auf wahre Ereignisse und konzentriert sich ganz auf den Druck, dem sich die hochstapelnde Person ausgesetzt sieht. Leider wirkt der Film hin und wieder zu bedeutungsschwanger für die inhaltlich sehr leicht zu durchschauende Geschichte.

«Corpus Christi» ist ab dem 3. September in den deutschen Kinos zu sehen.
02.09.2020 17:30 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/121065