«Niemals Selten Manchmal Immer»: Die Verzweiflung einer Minderjährigen
Ein Drama über die Verzweiflung einer Minderjährigen, die ihr Kind abtreiben möchte.
Abtreibung – ein Thema, dass die Gesellschaft weiterhin spaltet. Besonders in den USA, wo Donald Trumps Nominierung der erzkonservativen Richterin Amy Coney Barrett in den Supreme Court einmal mehr für Aufruhr in den liberalen Lagern sorgt. Denn die 48-jährige Katholikin lehnt den Schwangerschaftsabbruch kategorisch ab und konnte zukünftig aus Gesetzesebene maßgeblichen Einfluss üben. Es ist zu bezweifeln, dass sie sich den Film «Niemals Selten manchmal Immer» gesehen hat, der in den USA bereits im Januar angelaufen ist, im Februar auf der Berlinale gezeigt wurde und nun ganz offiziell in die deutschen Kinos kommt. Da geht es um die Verzweiflung einer Minderjährigen, die keinen anderen Ausweg findet als das Kind, dass in ihr wächst, wegmachen zu lassen. Knapp 100 Minuten begleiten wir sie auf ihrer Odyssee vom ersten Untersuchungsbefund bis zum entscheidenden Eingriff. Ein intensives Drama, das eindeutig Position bezieht.
Kein Geld, keine Zukunft, also auch kein Kind
Die 17-jährige Autumn (Sidney Flanigan) lebt in der Provinz von Pennsylvania, wo alles etwas heruntergekommen ist. Eine rosige Zukunft scheint ihr also sowieso nicht bevorzustehen, schon gar nicht als sie erfährt, dass sie schwanger ist. Die Ärztin will sie überreden, das Kind auszutragen, aber das mittellose Mädchen weiß nur zu gut, dass sie sich damit alles verbauen würde. Da ein Schwangerschaftsabbruch in Pennsylvania bei einer Minderjährigen nur mit Zustimmung der Eltern durchgeführt werden darf, entschließt sich Autumn, mit dem Bus nach New York zu fahren, wo andere Bestimmungen gelten.
Ihre einzige Vertrauensperson ist ihre Cousine Skylar (Talia Ryder), die ein bisschen Geld beschafft hat und mitreist. In einer Klinik in Manhattan erfährt die Schwangere, dass sie bereits in der 18. Woche ist und das Verfahren zwei Tage in Anspruch nehmen wird. So lange wollten die beiden jungen Frauen in der Metropole gar nicht bleiben, zumal ihnen auch das Geld für eine Unterkunft fehlt, weil Autumn die letzten Dollar für die bevorstehende Operation ausgegeben hat, um die Krankenkasse nicht zu beanspruchen, womit dann auch ihre Eltern alles erfahren würden. Vor dem Eingriff muss sich Autumn auch noch einer Befragung zu ihrem Sexualleben stellen. Antworten kann sie mit ‚niemals’, ‚selten’, ‚manchmal’ oder ‚immer’. In diesem Moment schießen bei ihr alle Emotionen hoch und man kann nur erahnen, was dieses Mädchen schon alles durchgemacht hat.
Deprimierende Grundstimmung sorgt für ein schwer verdauliches Drama
In dieser titelgebenden Szene wird quasi alles den Punkt gebracht, ohne es auszusprechen. An dem Gesicht der Protagonistin lässt sich ablesen, was sie gerade empfindet. Auf die Frage etwa, ob sie jemals vergewaltigt wurde, reagiert sie mit Angst und Schrecken. Das Publikum erfährt jedoch nicht, von wem sie schwanger geworden ist. Vieles bleibt wage, um nicht von der eigentlichen Problematik abzulenken und diese mit Schuldfragen zu verwässern. Es geht schlicht um ein Mädchen, dass für ein Baby noch nicht bereit ist und über ihren eigenen Körper bestimmen will.
Regisseurin Eliza Hittman, die bereits mit Filmen wie «Beach Rats» und «It Felt Like Love» etliche Preise abräumte, macht es einem aber nicht leicht, sofort Zugang zu ihren beiden Protagonistinnen zu finden. Sowohl Autumn als auch Skylar wirken verschlossen und reden anscheinend nur das Nötigste miteinander. Gelacht wird so gut wie nie, was dem Film eine unglaubliche Ernsthaftigkeit, aber auch Trübseligkeit verleiht. Gewiss hätte es den Figuren gutgetan, wenn man sie wie normale Teenager gezeigt hätte. Aber geht es vielleicht genau darum? Sie entsprechen womöglich gar nicht der Norm, streifen oft wie verstört durch New York und verhalten sich Fremden gegenüber distanziert. Auch ein Junge, der beide anspricht und Interesse an Skylar zeigt, wirkt wie eine Bedrohung. Skylar lässt sich mit einer Knutscherei nur auf ihn ein, damit er den Mädchen etwas Geld leiht. Solche Szenen verstärken die depressive Grundstimmung des Films zusätzlich und es entsteht eine Schwere, die nicht immer nötig gewesen wäre.
Die Geburtsstunde für zwei Newcomerinnen
Vermutlich hat Eliza Hittman bei der Besetzung ganz bewusst auf unbekannte Gesichter gesetzt. Sidney Flanigan stand für «Niemals Selten Manchmal Immer» sogar das erste Mal vor der Kamera und gerade in der vorab beschriebenen Szene, in der sie sich einer Befragung zu ihrem Sexualleben unterziehen muss, brilliert sie mit eine unglaublichen Mimik, mit der sie alles zu sagen scheint. Von dieser jungen Schauspielerin, die nebenbei auch Musik macht, werden wir sicherlich bald wieder hören. Talia Ryder hat schon zuvor Schauspielerfahrungen sammeln können und spielt ihre erste Hauptrolle als treue Gefährtin so mitfühlend, dass Steven Spielberg sie glatt für sein Remake des Musicals «West Side Story» engagierte. Nur schade, dass der fertige Film, der bereits Weihnachten ins Kino kommen sollte, nun ein ganzes Jahr nach hinten verschoben wurde.
Fazit: Ein engagiertes Drama, das verstehen hilft, warum Schwangerschaftsabbruch manchmal der einzige Ausweg ist. Hervorragend gespielt, aber mit so viel Schwere inszeniert, das es kaum auszuhalten ist.
«Niemals Selten Manchmal Immer» ist seit Donnerstag, den 1. Oktober 2020, in den Kinos zu sehen.
04.10.2020 12:00 Uhr
• Markus Tschiedert
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