Der Titel lässt einen rasanten Thriller vermuten. «Ausnahmezustand»? Da muss es doch krachen und knirschen. Doch halt. «München Mord» ist nicht gerade als die große Actionfilmserie bekannt. Und so ist der Titel auch eher ironisch zu verstehen. Zumindest für Nicht-Fußballfans. Um diese geht es in diesem Samstagskrimi. Oder besser gesagt, eine ganz bestimmte Spezi. Für die ihr Besuch im Stadion durchaus eine Ausnahmesituation darstellt. Ein Mord ist da fast eine Nebensache.
Stab
REGIE: Jan Fehse
BUCH: Friedrich Ani, Ina Jung
SCHNITT: Manuel Reidinger
KAMERA: Michael Wiesweg
MUSIK: Stephan Massimo
REDAKTEURIN: Karina Ulitzsch
DARSTELLER: Bernadette Heerwagen, Marcus Mittermeier, Alexander Held, Christoph Süß, Dorka Gryllus, Jürgen Tonkel, Laura Oswals, Sebastian Gerold, Ernst Hannawald, Christof Wackernagel
Die Fans von 1860 München können einem fast schon Leid tun. Selbst wer sich nur rudimentär für Fußball interessiert, hat möglicherweise vom rasanten Abstieg der Löwen mitbekommen. Die große Münchener Traditionsmannschaft, die vor einigen Jahren noch erstklassig spielte, dümpelt zwischenzeitlich in der vierten Liga vor sich hin. Wo die Roten, also Bayern, in Sphären kicken, in denen die Luft dünn ist, bleibt für die Blauen nicht viel mehr als die Erinnerung an bessere Zeiten. Immerhin ist man dem Verein treu ergeben in Giesing; hier, auf der rechts gelegenen Isarseite, geht man auch ins Stadion, wenn am Ende der Schmerz überwiegen wird. In Giesing, übrigens Geburtsort vom Kaiser Franz Beckenbauer, ist man an Leid gewöhnt.
Der Tod eines Fußballfans aber ist dann doch selbst für die leidgeprüften Giesinger eine Nummer für sich. Da liegt er im Hausflur. In einem Wassertrog ertränkt. Ein Mann im blauweißen Trikot. Dumm nur für den Mörder, dass Kommissar Neuhauser nur Minuten nach der Tat am Tatort auftaucht. Neuhauser, selbst 1860-Fan, will eigentlich den Schmerz über die 1:4 Niederlage gegen einen nicht näher genannten Gegner irgendwie betäuben. Im Stadion ist er mit seiner Kollegin Flierl gewesen. Eingeladen hat er sie. Dass sie, die Nichte eines Aufsichtsratsmitgliedes der ungeliebten Roten allerdings so gar kein Gefühl für den Fußball und seine Emotionen hat, bekümmert den Kommissar. Dessen Schmerz über so viel Nichtverstehen aber muss hintenan stehen – als er die Leiche entdeckt – und schnell handelt. Kurzerhand spannt er Kollegen der Bereitschaftspolizei ein, das Viertel abzuriegeln. Eines ist klar. Der Mörder muss sich noch in der Nähe befinden.
Der Schiri, die Pfeife!
«Ausnahmezustand»: der Titel ist, wie bereits eingangs erwähnt, ironisch zu verstehen, bezieht sich dieser Ausnahmezustand doch in erster Linie auf das Leid der Fans des traditionsreichen Fußballvereins. So ist auch Kommissar Neuhauser ziemlich angefressen, wenn er mit seiner Kollegin aus dem Stadion kommt und verzweifelt nach einem Schuldigen für das Desaster sucht. Natürlich ist es der Schiedsrichter, der in zwei entscheidenden Situationen vollkommen falsch gepfiffen hat. Ohne diesen hätte das Spiel ganz anders ausgehen können. Die Bemerkung seiner Kollegin, vielleicht wäre das Spiel anders ausgegangen, wenn die Löwen nicht vier Gegentore kassiert hätten, sie schmerzen auf der Seele des Fans. Der nun inmitten sich mit Bier tröstenden und in seligen Erinnerungen schwelgenden Fans ermitteln muss, wer der Tote überhaupt ist, wer ihn kennt, welchen Ruf er in der Szene hatte – und so weiter.
Obwohl das alles gemächlich inszeniert ist – hier rennt niemand, die Kamera steht vergleichsweise ruhig, es bedarf keiner krachenden Musik, um Spannung zu erzeugen – ergibt sich ein Interesse am Geschehen aus dem vergleichsweise übersichtlichen Zeitrahmen, in dem Neuhauser und Flierl ermitteln müssen. Das ist ein cleverer Schachzug der Inszenierung, ohne den dieser Kriminalfilm der Reihe «München Mord» schnell zu einem recht dialoglastigen Bühnenspiel hätte werden können. Denn geredet wird viel und die gemächliche Inszenierung ist nicht gerade dazu angetan, das große Drama auf den Bildschirm zu bannen.
Aber da ist der Zeitaspekt, der eben auch die ermittelnden TV-Kommissare zwingt, überlegt und geradlinig zu handeln. Die Fans in gewisser Weise in Sippenhaft zu nehmen, das ist nun einmal nicht die feine Münchener Art und bevor diese beginnen zu hinterfragen, warum sie eigentlich alle irgendwie verdächtig sind... Da sollte der Mörder überführt sein.
Manni ist nicht Manfred
Auf jeden Fall gelingt es den Polizisten sehr schnell, den Namen des Toten in Erfahrung zu bringen. Manni heißt er und er war ein Fan mit Leib und Seele. Überall bekannt.
Wirklich bekannt?
Schon sein Name birgt ein Missverständnis. Für die, die ihn kannten, stand stets fest, dass Manni die Kurzform von Manfred sein muss. Ist sie aber in diesem Fall nicht. Dieser Manni hieß zu seinem Lebzeiten Manuel. Wenn dies schon für viele seiner „Freunde“ eine Überraschung darstellt, welche Überraschungen warten dann noch? Seine Ehefrau zumindest wirkt zwar geschockt über seinen Tod, dass sie aber keine Fragen bezüglich seines überraschenden Frühablebens stellt, wirkt befremdlich. Dann ist da sein Kumpel Breitner, der mit seinen Geschichten über glorreiche Zeiten sogar Hardcore-Fans nervt. Und schließlich gibt es noch den Wirt des Kronenstüberls, Gusthof, dessen Kneipe ein einziger Schrein für den Verein darstellt – und der sich immer wieder den Befragungen entzieht. Hat einer von ihnen Manni umgebracht? Und wenn ja, was mag das Motiv gewesen sein. Manni hatte offenbar ein paar Leichen im Keller liegen. Aber alles keine großen Sachen, die einen Mord rechtfertigen würden.
Es ist der Lokalkolorit, der diesen Kriminalfilm trägt. Auch das reale Ambiente und die Tatsache, dass 1860 München bei diesem Kriminalfilm – auf seine Art und Weise – mitspielt und nicht irgend ein fiktiver, für den Kriminalfilm erfundener Verein, der Tradition nur behauptet. Und ebenso, wie der lokale Einschlag für Ambiente sorgt, sind da die amüsanten Dialoge zwischen Neuhauser und Flierl, in denen sich Neuhauser-Darsteller Marcus Mittermeier und Fliert-Darstellerin Bernadette Heerwagen nicht nur die Bälle gekonnt zuschieben. Nein. Obwohl Marcus Mittermeier den größeren Szenenanteil für sich verbuchen kann und als Fachmann fürs Fußballwesen im Mittelpunkt des Geschehens auf der Figurenseite steht, ist es doch Bernadette Heerwagen, die brilliert. Sie ist der Fremdkörper im Geschehen. Der Nicht-Fußballfan. Die Kommissarin, die schlichtweg behauptet, dass Fußball nur ein Spiel sei. Man spürt ihrer Kommissarin förmlich an, dass sie sich in dieser Umgebung wie ein Alien fühlt, das vielleicht das menschliche Wesen studiert haben mag, dann aber mit einer Realität konfrontiert wird, auf die sie nie vorbereitet worden ist. Oder sind die Fußballfans die Aliens?
«München Mord – Alarmzustand» ist launig und amüsant. Kein Brüller, kein Kracher, keine tiefgreifende Charakterstudie, sondern einfach eine kleine Kriminalgeschichte, die 90 Minuten ohne Getöse das Publikum unterhalten möchte. Dazu ist die Auflösung originell und für diesen kleinen Kosmos, in dem diese Geschichte spielt, das darf gespoilert werden, absolut passend.
Am Samstag, 17. Oktober 2020, 20.15 Uhr im ZDF; danach in der Mediathek