Moritz Bleibtreu: „Streamen trägt das Starsystem zu Grabe“
Heute sind Serien das Gesprächsthema. Doch die Generation seiner Mutter, so sagt Moritz Bleibtreu, habe noch einen Bogen um das Format gemacht.
Schon einige deutsche Filmstars haben den Reiz gespürt, sich auch mal in den Regiestuhl zu setzen. Til Schweiger und Matthias Schweighöfer haben sich damit ein weiteres Standbein aufgebaut. Nun hat auch Moritz Bleibtreu sein Erstlingswerk fertiggestellt, hat sich dafür aber ein ganz anderes Genre ausgesucht. Nicht Komödie, sondern Thriller bedient er mit «Cortex». Allein dafür verdient der Schauspieler, der mit «Lola rennt» Und «Knockin‘ On Heaven‘s Door» zu Ruhm gekommen ist, Respekt. Des Weiteren schrieb er auch noch das Drehbuch und spielt die Hauptrolle des Hagen, der Nacht für Nacht von Alpträumen gequält wird und Wirklichkeit und Fiktion bald nicht mehr zu unterscheiden weiß. Wir haben den 49-Jährigen zum Interview getroffen.
Was war bisher der verrückteste Traum in Ihrem Leben?
Als ich in Italien gelebt habe, träumte ich mal davon, auf einer Wiese zu liegen. Dann sehe ich einen Menschen unter einem Baum. Ich stehe auf, gehe auf ihn zu und merke zehn Meter davor, dass ist Pier Paolo Pasolini. Er erzählt mir eine spannende Geschichte, doch kurz vor Ende wache ich auf. Der Hammer ist, dass ich gar nicht wusste, wie Pasolini aussieht. Meine damalige Freundin zeigte mir dann ein Foto von ihm und ich dachte nur: Auweia, das ist der Typ! Nun warte bis heute darauf, dass er mir noch mal erscheint und mir endliche die Geschichte zu Ende erzählt.
Wie wichtig war es Ihnen, «Cortex» fürs Kino zu drehen?
Der Film ist absolut für die große Leinwand gemacht. Darüber freue ich mich, weil ich weiß, dass Geschichten wie ich sie gern erzähle, es im Kino der Zukunft schwer haben werden.
Liegt das an Corona?
Nein, das zeichnete sich schon vorher ab. Corona hat dem Ganzen nur die Krone aufgesetzt. Die Leute sind schon vorher nicht mehr so oft ins Kino gegangen - meist nur dann wenn mehr Action geboten wird. Eine geile Geschichte allein reicht nicht mehr.
Wahrscheinlich kommen auch Sie nicht mehr umhin, Ihre nächsten Filme für Netflix & Co. Zu drehen...
Das kann gut sein, zumal den Filmemachern viele Freiheiten gewährt werden. Auf der anderen Seite wird damit aber auch die Masse gefördert. Darin sehe ich auch eine Gefahr für die Schauspielerei. Früher hat ein Star das einzelne Produkt verkauft, jetzt haben wir einen Provider, der die Gesamtmasse vertreibt. Ich glaube, mit dem vermehrten Streamen wird das Starsystem zu Grabe getragen.
Beängstigt Sie das?
Nein, ich bin ja noch einer (lacht). Da habe ich Glück gehabt, aber für die jungen Schauspieler wird es unheimlich schwer werden, aus so einer Masse heraus zu schwimmen. Das passiert eher, wenn man die Hauptrolle in der einen Serie hat, die über fünf Jahre läuft, aber nicht mehr über ein Repertoire von sechs geilen Filmen, die man gemacht hat.
Ist das so schlimm?
Die Schauspieler-Generation meiner Mutter hat noch einen großen Bogen um Serien gemacht. Man wollte nicht Dr. Brinkmann aus der «Schwarzwaldklinik» sein. Darin sehe ich jetzt aber die Gefahr für die nächste Generation. Die sind dann nur noch Typen, die man aus Serien kennt, aber werden nicht mehr als eigenständige Schauspieler wahrgenommen.
Als Star sind Sie in Berlin natürlich bei Madame Tussauds verewigt. Ist es merkwürdig, sich selbst als Wachsfigur zu betrachten?
Da war ich schon lange nicht mehr. Aber im Gegensatz zu mir ist sie ja noch voll jung geblieben. Aber werden die nicht irgendwann überarbeitet? Wahrscheinlich kriegt sie dann auch graue Haare. Alles klar (lacht).
«Cortex» beginnt damit, dass Sie als Hagen unter Schlafprobleme leidet. Kennen Sie das selbst?
Manchmal kann ich schlecht einschlafen, aber wenn ich schlafe, dann schlafe ich gut. In meiner Kindheit und Jugend hatte ich jedoch Phasen, in denen ich viele Alpträume hatte. Aber das faszinierte mich gar nicht, sondern dass im Traum das eigene Kino im Kopf losgeht.
Wie meinen Sie das?
Du machst die Augen zu, schläfst ein und der Vorhang geht auf. Du erzählst dir deine Geschichte und gleichzeitig bestimmst und kontrollierst du sie nicht. Das finde ich irre! Träume sind das ultimative Kino, das wir alle in uns tragen. 30 Prozent unseres Lebens schlafen wir, aber so richtig wissen wir nicht, was neurologisch wirklich im Traum passiert.
Seit über 25 Jahren sind Sie ein äußerst erfolgreicher Schauspieler. Warum sind Sie nun auch noch Regisseur geworden?
Das wollte ich schon immer, und dass das irgendwann passieren würde, war mir klar. Ich wusste aber lange nicht, was das für ein Film werden könnte. Schon in meiner Jugend fing ich an zu schreiben und habe mich dann an diesem Ding hier festgebissen.
Warum?
Ich wollte einen Film machen, den ich mir im Kino auch selbst ansehen würde. Natürlich hat er auch eine persönliche Ebene. Es geht in «Cortex» darum, dass du immer nur das bist, was du vorgibst zu sein. Aber wer ist wirklich das, was er sein möchte? Oder möchte man generell jemand anderes sein?
Was haben diese Fragen mit Ihnen zu tun?
Das ist quasi mein Beruf. Ich verbringe die Hälfte meines Lebens damit, mich selbst in den Figuren, die ich spiele, zu finden. Das meine ich mit der persönlichen Ebene zu mir, doch gleichzeitig ist «Cortex» auch ein abgefuckter Thriller, wie ich ihn gern gucke.