Lars Eidinger: „Meine Frau vor der Kamera zu küssen wäre mir zu intim“
Seit Donnerstag ist Eidinger im Film «Schwesterlein» als Totkranker zu sehen. Warum Eidinger es nicht gut findet, dass Paare in Corona-Zeiten Liebesszenen drehen sollten, verrät er im Interview.
Er selbst hat sich mal als ‚bester Schauspieler der Welt‘ bezeichnet. Da möchte so mancher den Lars Eidinger (44) gern missverstehen. Arroganz und Selbstüberschätzung ist aber so gar nicht seine Sache, vielmehr Aufgeschlossenheit und Selbstironie. Als Schauspieler möchte er inzwischen auch gar nicht mehr gesehen werden wie er im Interview verrät. Da fühlt er sich eingeschränkt und auch hier erkennt man, dass sich der gebürtige Berliner schon immer viel Gedanken gemacht hat. Dass man ihn auch weiterhin als Schauspieler schätzen will, beweist er erneut in seinem neuen Film «Schwesterlein» in der Rolle eines Krebskranken mit Nina Hoss als seine Zwillingsschwester. Momentan ist Eidinger auch im Fernsehen («Babylon Berlin») und in dem Kinofilm «Persischstunden» zu erleben. Aber zuerst reden wir über ein Thema, das uns gerade alle wieder bewegt.
Wie haben Sie bisher Corona überstanden?
Für Monate hatte ich kein Theater mehr betreten, beim Film ist es dann schneller wieder losgegangen. In Wien habe ich gerade die Serie «Ich und die anderen» unter der Regie von David Schalko gedreht, wo die Leute in bestimmte Zonen eingeteilt waren. Zu Zone 1 gehörten die Getesteten, die regelmäßig erneut getestet wurden, und die aus Zone 2 und 3 trugen Masken. Das ist gut gelaufen, alle sind gesund geblieben.
Für intime Szenen gibt es die Überlegung, erst mal nur Schauspielerinnen und Schauspieler zu verpflichten, die auch im wahren Leben zusammen sind…
Meine eigene Frau vor der Kamera zu küssen wäre mir viel zu intim. Da ist ja wie eine Home-Story. Ich würde bei mir Zuhause aber keinen Film drehen lassen, nicht mal meine eigenen Schuhe würde ich vor der Kamera anziehen.
Das führt direkt zu Ihrem neuen Film «Schwesterlein», in dem Sie auch einen Schauspieler verkörpern, der durchs Theater berühmt geworden ist. Das ist doch sehr dicht an Ihnen dran, oder?
Die Vermutung liegt nah, weil es viele Parallelen gibt. Meine Figur Sven Braunschweig spielt auch an der Berliner Schaubühne Hamlet, dennoch würde ich sagen, ich habe mit der Figur nicht mehr oder weniger zu tun als mit einem Kai Korthals aus dem «Tatort». Ich bin nicht Sven und fände es auch problematisch, mich selbst zu spielen.
Wie meinen Sie das?
Es wird ja immer so leichtfertig gesagt, dieser oder jene Schauspieler ist nicht so interessant, weil er immer nur sich selbst spielt. Ich würde sogar behaupten, es ist eine der schwersten Disziplinen, sich selbst zu spielen. Das geht gar nicht. Es ist unmöglich.
Andererseits spielen wir alle in den verschiedensten Situationen Rollen. Beim Arzt geben wir uns anders als mit Freunden in der Kneipe…
Genau, deshalb glaube ich auch, im spielerischen Moment mehr bei mir zu sein. Privat bin ich viel mehr Zwängen unterworfen. Als Hamlet bin ich freier, als Lars und paradoxer Weise mehr ich.
Sie wussten schon sehr früh, dass Schauspielerei das Richtige für Sie ist. Was war dafür der Auslöser?
Ich sehe mich gar nicht so sehr als Schauspieler. Ich verstehe mich als Künstler. Neulich musste ich einen Fragebogen ausfüllen, auf dem nach meinem Beruf gefragt wurde. Da habe ich zum ersten Mal Künstler anstatt Schauspieler geschrieben. Das war eine Befreiung. Mich schränkt diese Kategorisierung ein.
Was könnte daran denn so falsch sein?
Ich bin ja nicht als Schauspieler auf die Welt gekommen.
Das ist ja keiner, der einen Beruf erlernt hat…
Mir geht es aber um etwas anderes. Ich finde es fatal, wenn man Kinder fragt, was sie mal werden möchten. Da geht’s immer darum, sich über einen Beruf zu definieren und es ist im Grunde der Eintritt in die Leistungsgesellschaft. Wahrscheinlich komme ich irgendwann mal an den Punkt, an dem ich unter den Begriff ‚Beruf‘ ‚Talent‘ schreibe, wie es auf englischsprachigen Callsheets steht. Das finde ich treffender.
Neben der Schauspielerei machen Sie auch Musik, sind DJ und schreiben…
Und es gibt immer wieder Leute, die sagen: ‚Warum macht er das denn auch noch, er ist doch Schauspieler.‘ Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich will mich kreativ ausdrücken. In welchem Bereich ist für mich vollkommen zweitrangig. Gerade ist bei dem Verlag Hatje Cantz mein Bildband „Autistic Disco“ erschienen. Das war immer ein Lebenstraum von mir und ich bin überglücklich, dass er Realität geworden ist. Ich will mich nicht einschränken lassen, nach dem Motto: Schuster bleib bei deinen Leisten.
In «Schwesterlein» spielen Sie einen Todkranken. Wie haben Sie sich auf diesen Aspekt Ihrer Rolle vorbereitet?
Der Vorteil war, dass alles im Theaterkosmos spielt, den ich nicht großartig recherchieren musste. Die Herausforderung sah ich darin, wie man jemanden spielt, der Angst vorm Sterben hat. Eine wichtige Inspirationsquelle war dabei für mich Christoph Schlingensief. Meine Frau hatte als Opernsängerin bei vier seiner letzten Inszenierungen mitgewirkt, dadurch habe ich das sehr intensiv miterlebt.
Christoph Schlingensief ist vor zehn Jahren an Krebs gestorben…
Mich hatte es wahnsinnig beeindruckt, dass jemand den Mut hat, seine Angst vor dem Tod öffentlich zu machen. Gleichzeitig räumte er mit dem Klischee auf, dass jemand, der unmittelbar vom Tod bedroht ist, irgendeine Form von Weisheit oder Größe erlangen würde. Im Gegenteil: Man schrumpft vor Angst. Das war für mich eine wichtige Referenz, um einen Zugang zu Svens Todesangst in «Schwesterlein» zu finden.
Hat Ihnen das auch geholfen, sich mit dem eigenen Tod, der irgendwann für jeden kommt, zu konfrontieren?
Früher habe ich immer gedacht, je näher man dem Tod kommt, desto gelassener wird man, weil er zum Leben dazugehört. Aber je älter ich werde, desto mehr Angst habe ich. Dass die Endlichkeit den Reiz des Lebens ausmacht, ist für mich kein Trost. Ich kann dem Alterungsprozess nichts Positives abgewinnen und ich will leben.