Katja Bäuerle: ‚Wir wollen die deutsche Gesellschaft in ihrer Vielfalt abbilden‘
Die UFA arbeitet daran, die Diversität in deutschen Produktionen vor und hinter der Kamera abzubilden. Quotenmeter sprach mit Käuerle über diesen schwierigen Schritt.
Die UFA, eine Fremantle-Firma, hat sich ein enges Ziel gesetzt: Bis Ende 2024 sollen im jährlichen Gesamtportfolio der Programme die Diversität der Gesellschaft abgebildet werden. Nicht nur Frauen, People of Color und LGBTIQ sollen im Vordergrund stehen, auch Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen sollen Teil des Programms werden.
Quotenmeter sprach mit UFA-Creative-Responsibility-Managerin Katja Bäuerle über dieses Unterfangen. Nicht nur Hautfarben und ethische Herkunft standen im Interview im Vordergrund, auch die grundlegenden gesellschaftlichen Strukturen und lokale Anpassungen.
Was schwebt Ihnen mit der Gleichberechtigung vor? Soll das statische Abbild der Deutschen bei TV- und Kino-Produktionen abgebildet werden? Richten Sie sich nicht nur nach Hautfarben, ethnische Herkunft, sondern auch um Behinderungen und sexuelle Neigung?
Unser Ziel ist es bis 2024, die deutsche Gesellschaft in unseren Programmen abbilden zu können und diese Diversität als Normalität zu erzählen. Dazu gehören für uns ethnische Herkunft ebenso wie Geschlecht, körperliche, seelische und psychische Beeinträchtigungen als auch unterschiedliche sexuelle Orientierungen und Identitäten. Unser Ziel fasst das UFA-Programm jeweils eines Jahres als Ganzes, nicht jedes einzelne Programm.
Inwieweit macht Diversität die Produktionen aufwendiger oder schwieriger?
Wenn Sie meinen, ob das Ziel Diversität abzubilden das Produzieren schwieriger macht, glauben wir, dass uns unsere Ziele eher mehr Möglichkeiten und Potentiale bieten, Geschichten zu erzählen. Aber diese Arbeit benötigt Sorgfalt und macht notwendig, dass wir dazulernen und uns immer wieder kritische Fragen dazu stellen, wie wir erzählen. So arbeiten doch Filmemacher idealerweise immer, wie auch bei gutem Journalismus ist es für gute Unterhaltung notwendig zu recherchieren, sich und anderen die richtigen Fragen zu stellen und ständig dazuzulernen.
Ist es nicht ungemein schwieriger, das tatsächliche Abbild der Bundesrepublik zu präsentieren? Die starken Figuren in der Wirtschaft, Politik und Justiz sind – mit Ausnahmen – weiße Männer. Wie soll das Ziel umgesetzt werden?
Wir wollen die deutsche Gesellschaft in ihrer Vielfalt abbilden, welche Rollen wir den diversen Mitgliedern dieser Gesellschaft zuweisen, bleibt im fiktionalen Bereich unserer kreativen Freiheit überlassen. Hier können und wollen wir erstmal erzählen, was wir wollen. Und damit haben wir die große Chance und Verantwortung veraltete Narrative, die natürlich auch von der Realität geprägt sind, zu verändern - und damit bestenfalls neue Narrative zur Realität machen.
Ist denn eine konkrete Zielsetzung, wie in der Selbstverpflichtung beschrieben, nicht kontraproduktiv zur gewünschten Selbstverständlichkeit der Diversität?
Das ist das klassische Quoten-Thema. Aber wir haben ja inzwischen gelernt, dass das, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, zum Beispiel, dass Frauen in deutschen Vorständen auch nur annähernd zahlenmäßig so präsent sind, wie in der Bevölkerung, nicht ohne Quote funktioniert, außer wir nehmen uns vielleicht noch 120 Jahre Zeit für die Zielerreichung. Dazu prägen uns u.a. zu stark, ‚wie es immer gewesen ist und funktioniert hat‘ und natürlich auch alte Privilegien und Machtstrukturen. Zu unseren Zielen gehört aber auch, solche Selbstverpflichtungen irgendwann unnötig zu machen, weil Diversität selbstverständlich geworden ist.
Denken Sie, dass die diversen Formate aufgrund der ggf. geringeren Beliebtheit, am Ziel vorbeischießen?
Was wäre denn in Ihrer Frage das Ziel, an dem wir vorbeischießen könnten? Eine bestimmte Einschaltquote? Wir sind überzeugt davon, dass Menschen gut unterhalten, zum Nachdenken angestoßen, inspiriert, zum Lachen gebracht, vom Alltag abgelenkt, zum Diskutieren eingeladen werden möchten. Deswegen schenken sie uns ihre Zeit. Warum sollten wir all das mit divers erzählten Programmen nicht anbieten können? Es geht doch um die Relevanz eines Programms im Verhältnis zu Ansprüchen und Bedürfnissen der Zuschauer*innen. Und irrelevant kann man aus sehr vielen anderen Gründen sein.
Nehmen wir an, Sie haben zwei Bewerber für eine Führungsposition mit unterschiedlichen Qualifikationen, dafür die eine weiß, die andere ein Teil der Minderheitsgruppen: Welcher Bewerber wird genommen?
Ahh, eine Fangfrage! Natürlich der oder die am besten für die Position Geeignete. Unsere Aufgabe ist es aber sicherzustellen, dass sich ausreichend qualifizierte Bewerber*innen mit unterschiedlichen Hintergründen für uns interessieren, so dass die Wahl dann nicht automatisch auf den berühmten weißen Mann fallen muss, weil uns nur aus dieser Gruppe ausreichend qualifizierte Bewerbungen vorliegen. Dazu gehört allerdings auch in Frage zu stellen, welche Kriterien eigentlich diese beste Qualifikation heute und in Zukunft charakterisieren.
Wie unterscheidet sich Ihre Selbstverpflichtung von der damals schon stark kritisierten Frauenquote in Unternehmen?
Erstmal gar nicht so viel. Wir formulieren auch eine Quote. Aber, bei der Frauenquote verantworten die Frauen dann selbst, wie sie die Rolle und Position ausfüllen und haben die Chance sich der Konkurrenz zu stellen. Das können unsere Charaktere nicht alleine, denn das verantworten wir, die wir sie zeichnen. Das ist eine große Verantwortung, aber der stellen wir uns bewusst und gerne.
Ist das Ziel, ein Jahr lang die Bevölkerung Deutschlands in und vor der Kamera abbilden zu können, Ende 2024 realistisch?
Wir glauben ja, sonst hätten wir das nicht so formuliert. Und wenn wir es nicht schaffen, wird es Gründe dafür geben, die wir mit uns selbst, aber auch mit der Branche diskutieren müssen. Veränderungsprozesse sind niemals gerade Wege, sondern bekanntermaßen immer Lernprozesse. Hier sind Transparenz und Ehrlichkeit wichtig.
Können Sie mit Ihrem Vorhaben auch ein regionales Bild abbilden? Auf Sylt werden mit Sicherheit weniger Deutsch-Türken verkehren als in Frankfurt am Main.
In einer Dokumentation muss es ein vorrangiges Ziel sein, Tatsachen abzubilden - nicht aber in der Fiktion. Aber, wenn unser Programm zukünftig mehr Geschichten beinhalten kann mit und aus der Perspektive von PoC oder das Leben und die Freundschaft in einer queeren Community erzählt, wie zum Beispiel Nataly Kudiabors Serie «All you need» für die Degeto, dann muss es natürlich auch weiterhin eine Sylt-Serie geben können, in der aus der Perspektive eines weißen Mannes erzählt wird, der in Westerland geboren ist. Unsere Zielsetzung gilt für das gesamte Programm der UFA, nicht für jedes Einzelne.
Werden sie aufgrund der Selbstverpflichtung nun auch im eigenen Haus stark umstrukturieren müssen?
Die Hintergründe der jungen Filmschaffenden ändern sich sowieso gerade, so wie sich auch die Gesellschaft ändert. Allerdings nicht im gleichen Tempo, da es auch in dieser Branche immer Eintrittsbarrieren gegeben hat. Wir müssen uns neue Angebote ausdenken, um neue und andere Stimmen zu gewinnen. Auch das ist ein längerer Prozess. Die Zusammenarbeit mit Tyron Ricketts‘ Panthertainment war ein wichtiger erster Schritt, aber da muss noch mehr kommen. Definitiv ist die wichtigste Voraussetzung für mehr Diversität vor der Kamera mehr Diversität hinter der Kamera.
Vielen Dank für das Gespräch!