Der Jubiläums-«Tatort» zum 50sten Geburtstag geht in die zweite Runde. Nachdem im Rahmen von Ermittlungen gegen die kalabrische Mafia in Dortmund so ziemlich alles schiefgelaufen ist, was nur schieflaufen konnte, scheint der Mord an einem städtischen Bediensteten in Oberbayern direkt mit den Geschehnissen in Dortmund zusammenzuhängen.
Stab
DARSTELLER: Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Jörg Hartmann, Ferdinand Hofer, Emma Preisendanz, Beniamino Brogi, Emiliano De Martino, Paolo Sassanelli, Barbara Romaner, Valentin Mirow
REGIE: Pia Strietmann
BUCH: Bernd Lange
KAMERA: Florian Emmerich
MUSIK: Martina Eisenreich
REDAKTION: Frank Tönsmann (WDR), Stephanie Heckner (BR)Der Mann, der dort auf einer Brücke gefunden wird, gibt den Ermittlern Leitmayr und Batic Rätsel auf. Er ist ertrunken. Der Bach allerdings, in dem er ertrunken sein muss, liegt 50 Meter unter der Brücke. Was zu Hölle ist hier geschehen? So rätselhaft der Fall erscheint, so schnell sind die möglichen Täter ermittelt: Pippo Mauro und Luca Modica. Pippo, jener kleine Mafiakiller, den der ehemalige Dortmunder Restaurantbesitzer Luca Modica im Auftrag der kalabrischen Mafia, der auch er angehört, auf deren Befehl hin verstecken musste. Was eine Kette von Tragödien ausgelöst hat.
Im Verlauf dieser Rezension wird – Spoilerwarnung - auf Geschehnisse des ersten Teils eingegangen, dessen Quotenmeter-Bewertung inklusive einer ausführlichen, aber spoilerfreien Inhaltsangabe
hier zu finden ist. Es handelt sich um Geschehnisse, die sich ausdrücklich auf das Ende des besagten Dortmunder «Tatort»es beziehen. Eines Kriminalfilmes, dessen Geschichte im Grunde die einer Familientragödie erzählt, in der die Dortmunder und die aus München angereisten Ermittler kaum mehr als Nebenfiguren darstellen. Der Münchener «Tatort» geht hier einen etwas anderen Weg und findet eine sich die Waage haltende Dramaturgie, die auf der einen Seite Lucas' Geschichte weitererzählt, die Ermittlungen diesem Drama aber gleichstellt – bis sich beide Handlungsstränge treffen und verschmelzen. Dieses Wechselspiel verleiht dem zweiten Teil des Dramas eine Dynamik, die dem ersten Teil bedauerlicherweise fehlt und ihn am Ende recht spannungsarm wirken lässt.
Der versehentliche Mord
Die Ermittlungen der Münchener Kommissare führen diese nicht nur rasch auf die Spur von Pippo und Luca, viel interessanter ist, dass diese Spur eine direkte Verbindung zu dem italienischen Geschäftsmann Domenico Palladio aufweist. Der verfügt zwar über eine blütenweiße Weste, doch der Verdacht schwelt bereits seit längerer Zeit, dass der in der Baubranche tätige Italiener in München über den Ankauf von Wohnungen und Investitionen in diversen Bauprojekten Drogengelder wäscht. Und nun kommt der Tote ins Spiel. Der ist ein Baudezernent, ein Mann von einwandfreiem Leumund, der sich erwiesenermaßen gegen Kungeleien im Münchener Bauwesen eingesetzt hat. Der just in einem Moment stirbt, in dem ein Baulöwe, der finanziell schwankt, eine Partnerschaft mit Palladio eingegangen ist. Einem Mafiamann, der dann für seinen Einstieg in die Partnerschaft die Drecksarbeit erledigt? Wozu gehört, einen ehrenwerten Mann unter Druck zu setzen? Einen Mann, den man aber eigentlich für angedachte Bauvorhaben gebraucht hätte, was vor allem eines bedeutet: Der Mord war ein Unfall, der die handelnden Figuren unter Druck setzt, da sie einen Fehler gemacht haben.
Und wer einen Fehler macht, macht auch einen zweiten.
Dass dies genau so der Fall ist, dass es sich bei dem Mord um ein Versehen handelt, das verrät übrigens bereits der Prolog des Filmes, in dem Pippo und Luca genau diesen Fehler begehen. Das heißt, es ist Pippo, der sich an seinem Tun sichtlich aufgeilt – bis es zu spät ist und der Mann, dem sie eigentlich nur Angst machen sollten, tot ist. Vor allem aber sind sie nicht alleine. Auch Sofia, Lucas' Tochter, ist bei dem Mord anwesend. Gezwungenermaßen. Als sie versucht zu flüchten, wird sie um ein Haar von einem herannahenden Auto erfasst; nur ein beherzter Sprung ihres Vaters, der sie in letzter Sekunde von der Straße reißt, rettet ihr das Leben. Hinter dem Steuer des Wagens sitzt: Domenico Palladio.
Eine besondere Spannung des Filmes ergibt sich aus der Interaktion von Pippo, Luca und Sofia. Sofia hat keine Ahnung, dass ihr Vater Luca ihre Mutter Juliane ermordet hat. Es ist die Tragik am Ende des ersten Teils dieses «Tatort»-Doppels: Der Verrat seiner Frau Juliane und ihre Zusammenarbeit mit der Polizei stellen ihr Todesurteil dar. Luca wird vor die Wahl gestellt. Entweder er bringt seine Frau um. Oder es wird jemand kommen, der seine Frau und seine Tochter ermordet. Luca weiß, dass dies keine leere Drohung ist. Wenn er seine Frau nicht tötet, wird als Strafe für seine Weigerung auch seine Tochter sterben.
Nun muss Luca, wenn er seine Tochter schützen will, mit Pippo die Drecksarbeit für seine „Mafiafamilie“ erledigen – ohne Sofia wirklich schützen zu können. Sofia, die glaubt, dass ihre Mutter untergetaucht sei, ist gezwungen, ihnen bei ihrer „Arbeit“ zu helfen; ihr selbstbestimmtes Leben ist vorbei. Dafür hausen sie in einer billigen Absteige, schlafen auf alten Matratzen und warten auf die nächsten Anrufe. Während sich Pippo, der nach dem Mord an einem kleinen Dealer im ersten Teil ins Visier der Ermittler geriet, noch immer glaubt, aufgrund seiner Tätigkeit Teil eines mächtigen Familienverbundes zu sein, weiß Luca, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich Palladio ihrer entledigen wird. Pippo hat bereits bei dem Mord an dem Dealer Mist gebaut, weil er identifiziert werden konnte, Lucas' Ehefrau hat gegen das Gesetz der Verschwiegenheit verstoßen. Und nun haben sie auch noch den Mann vom Baudezernat umgebracht.
Wie schon im ersten Teil beeindruckt Luca-Darsteller Beniamino Brogi in der Rolle eines Getriebenen. Im Grunde genommen stellt er einen wandelnden Toten dar, der nur darauf wartet, dass er endlich von seinem Dasein erlöst wird. Allein die Sorge um seine Tochter hält ihn am Leben. Wenn ihm nach einem Streit Pippo eine Waffe gegen den Kopf drückt, ist fast so etwas wie eine Erleichterung in Lucas' Verhalten zu spüren. Ein Schuss: Und der Albtraum hätte für ihn endlich ein Ende. Wohltuend widerlicher ist die Darstellung des Domenico Palladios durch den italienischen Schauspieler Paolo Sassanelli. Wohltuend, da weder das Drehbuch noch der Schauspieler sich bemühen, ihm so etwas wie Tiefe zu verleihen. Wozu auch? Dieser Mann hat keine Zweifel daran, dass er am Ende stets gewinnen wird. Wer sollte ihm etwas anhaben wollen? Die deutsche Polizei? Sein erstes Zusammentreffen mit Leitmayr und dem aus Dortmund angereisten Kommissar Peter Faber offenbart einen Mann, der vor Selbstsicherheit strotzt und der im Grunde nicht anders kann, als Menschen, die sich ihm nähern, zu bedrohen. So kennt er die Namen aller Dortmunder und Münchener Ermittler, die gegen seine Familie ermitteln und ermittelt haben – und zählt diese auf. Es ist eine klare Drohung, er weiß, wer ihm auf die Pelle rückt. Und das wird er sich nicht gefallen lassen. Palladio versucht nicht einmal wie ein unschuldiger Mann zu wirken. Warum aber sollte er das auch tun? Es gibt nichts, was ihn auch nur in der Nähe einer illegalen Tat welcher Art auch immer verorten würde.
Allerdings selbst jemand wie Palladio gerät ins Straucheln, wenn eine Figur nicht nach den Regeln spielt. Und das ist Sofia.
Die Münchener Hauptdarsteller spielen ihre Rollen unaufgeregt-zurückhaltend. Sie ordnen sich der Story unter, zeigen jedoch dann Präsenz, wenn diese verlangt wird. Faber-Darsteller Jörg Hartmann hat indes nicht allzu viel zu tun. Seine Anwesenheit stellt eher ein Zugeständnis an den Crossover-Gedanken zwischen den beiden sehr unterschiedlichen «Tatort»-Formaten Dortmund und München dar.
Fazit: Die straffe Inszenierung hebt sich deutlich vom ersten Teil des Jubiläums-«Tatort»es ab. Stillstand herrscht selten. Es ist eindeutig der bessere Film.
Im Ersten am Sonntag, 6. Dezember 2020, 20.15 Uhr. Danach für sechs Monate in der ARD-Mediathek.