Mit seichten Berichten wie die letzte Busfahrt in den Penig-Ortsteil Amerika oder eine Segnung eines Traktors durch die Kirche weicht man das Profil der «Tagesthemen» auf. Offensichtlich will die ARD mit Boulevard Zuschauer fangen. Schade, meint unsere Autorin. Ein Kommentar von Juliane Boll.
Im September 2020 wurden die «Tagesthemen» um fünf Minuten verlängert, am Freitag sogar um eine Viertelstunde. Seitdem enthält das Nachrichtenmagazin der ARD eine neue Rubrik: "Tagesthemen-Mittendrin". Darin werden Menschen aus ganz Deutschland, ihr Engagement, ihre Sorgen und Nöte sowie ihre Ansichten vorgestellt. Von Helgoland bis Berchtesgaden, vom Niederrhein bis zur Lausitz - im Laufe eines Jahres werden wohl alle Regionen Deutschlands in den «Tagesthemen» auftauchen.
Mehr Berichte über die Fläche
Die offizielle Zielsetzung des öffentlich-rechtlichen Senders bei dieser Innovation besteht darin, stärker als bislang über das Geschehen und über spezifische Problematiken in den Regionen Deutschlands zu berichten. Seit einigen Jahren ist der Begriff "Heimat" wieder in aller Munde. Die ARD versucht ganz offensichtlich, auf diesen Zug aufzuspringen. Aber wird diese neue Rubrik dem Qualitätsanspruch der «Tagesthemen» gerecht? Und gibt es möglicherweise einen weiteren Grund für diese Neuheit?
Land und Leute in den dritten Programmen
Die ARD ist eine Arbeitsgemeinschaft aus regionalen Rundfunkanstalten. Die Ereignisse in der Fläche werden seit jeher vom Regionalfernsehen in zahlreichen Sendungen aufbereitet. Wie auch die regionalen Tageszeitungen sind die Lokalredaktionen der dritten Programme Ansprechpartner für die Menschen vor Ort. Sie sind in den Presseverteilern von Vereinen, Verbänden und Initiativen enthalten. Es ist daher kaum verständlich, warum eine eigene Rubrik in den «Tagesthemen» für regionale Berichte erforderlich sein soll. Die Zuschauer dieser traditionsreichen Nachrichtensendung erwarten doch eher, dass sie über das aktuelle Geschehen in der Welt informiert werden. Wer sich für Land und Leute vor Ort interessiert, kann jederzeit in das dritte Programm umschalten.
Annäherung an die Boulevardmagazine
Ganz offensichtlich geht es der ARD nicht nur darum, die Fläche verstärkt in das Nachrichtenprogramm einzubinden. Ein weiteres Ziel des Senders scheint zu sein, sich den Boulevardmagazinen anzunähern. Die Themen aus der neuen Rubrik können leichter transportiert werden als internationale Verhandlungen, wie zum Beispiel bei komplexen Freihandelsabkommen. Denn es geht dabei um anschauliche Sachverhalte aus dem Alltag. Menschen wie "du und ich" kommen darin zu Wort. Die Beiträge aus "Tagesthemen-Mittendrin" könnten in ähnlicher Weise auch im ARD-Magazin «Brisant» am Vorabend gezeigt werden. Wer am späten Abend die «Tagesthemen» einschaltet und über die aktuellen politischen Themen informiert werden möchte, dürfte von der neuen Rubrik eher irritiert sein. Besonders die Zuschauer, die morgens früh aufstehen müssen, erwarten von der Nachrichtensendung im Ersten Deutschen Fernsehen eine schnörkellose Berichterstattung über die wichtigsten Themen, Entscheidungen und Kontroversen in der Bundespolitik.
Weitere Anzeichen für eine "Boulevardisierung"
Der Trend zur "Boulevardisierung" der «Tagesthemen» wird auch darin deutlich, dass im Oktober 2020 das Intro von der Rockband "Die Ärzte" gespielt wurde. Ein solches Element gehört in eine Unterhaltungssendung, nicht aber in ein seriöses Nachrichtenmagazin. Im September 2020 erfolgte eine weitere Innovation. Der altbekannte "Kommentar" wurde umbenannt in "Meinung". Der feine Unterschied zwischen diesen beiden Bezeichnungen zeigt deutlich, dass die ARD ihren hohen Qualitätsanspruch bei den Nachrichtensendungen ganz offensichtlich aufweicht.
Denn eine Meinung kann jeder Mensch ganz spontan äußern. Dagegen setzt ein Kommentar ein gewisses Maß an Analyse voraus, die die Zuschauer von einem öffentlich-rechtlichen Sender sicher auch erwarten können. Offensichtlich möchte die ARD mit dieser Umbenennung eine besondere Nähe zum Zuschauer herstellen und damit die Reichweite erhöhen. Es ist aber zu vermuten, dass das Stammpublikum der «Tagesthemen» eher enttäuscht auf diese Akzentverschiebung reagiert und die Seriosität, die Objektivität sowie den Anspruch dieses Nachrichtenmagazins vermisst.