Detlev Buck: ‚Großstädter haben keine Ahnung, was in der Provinz los ist‘
Für Buck war die Netflix-Auswertung von «Wir können nicht anders» nicht die erste Wahl. Immerhin würden Teile des Filmes am heimischen Laptop nicht so gut wie im Kino wirken.
Ob nun anders oder nicht, Detlev Buck (58) kann was! Seinen Durchbruch feierte der Schauspieler und Regisseur aus Schleswig-Holstein mit Dauerwohnsitz in Berlin 1993 mit «Wir können auch anders». Die Geschichte über die Verwicklungen zweier Wessi-Brüder in Mecklenburg-Vorpommern kam kurz nach der Wiedervereinigung sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland an. 37 später heißt es nun «Wir können nicht anders» (ab sofort bei Netflix). Buck drehte diesmal in Brandenburg mit Kostja Ullmann («Wuff»), der vor Gangstern Reißaus nehmen muss. Buck entwirft diesmal ein viel düsteres Bild, er selbst spielt einen Dorf-Bürgermeister. Wir trafen ihn zum Interview in eisiger Kälte und mit erforderlichem Sicherheitsabstand am Savignyplatz.
«Wir können nicht anders» klingt verdächtig wie der Titel Ihres ersten Kinoerfolgs «Wir können auch anders» von 1993…
Das ist lange her und jetzt passt «Wir können nicht anders» in die Zeit. Der richtige Satz wäre: ‚Da es euch egal ist, was wir hier machen, machen wir, was wir wollen.‘ Das spricht Bände. Denn Großstädter haben überhaupt keine Ahnung, was in der Provinz los ist. Das ist dieser typische Stadt-Land-Konflikt, den ich immer wieder gerne mal in Kontrast setze.
Und somit auch keine Fortsetzung?
«Wir können auch anders» war das Porträt einer Zeit nach der Wende, als Sowjet-Soldaten noch um Berlin herumstanden. 30 Jahre nach der Wende folgt nun das Porträt einer Provinz, wo die Zahl der Arbeitsplätze von einst 1.500 auf 150 gesunken ist. Junge Menschen findet man dort teilweise auch nicht mehr. Ich kenne einige Dörfer, die inzwischen total entleert sind - sowohl im Osten als auch im Westen. Ich beurteile das nicht, der Film ist nur eine Bestandsaufnahme.
Liegt es am Lockdown, dass der Film nicht im Kino, sondern jetzt bei Netflix läuft?
Er sollte am 3. Dezember ins Kino kommen. Der Verleih hatte aber schon geahnt, dass es zu einer zweiten Welle kommen könnte. Da konnte ich auch nicht sagen: ‚Haut mal ein paar Hunderttausender für einen kleinen Kinostart raus.‘ Das Geld wäre weg gewesen. Die Kinos werden aber beteiligt.
Passiert das auf freiwilliger Basis?
Ja, da hat man sich mit einer Kompensation an die Kinoverbände arrangiert. Man braucht auch die Zustimmung der Filmförderer. Die wissen natürlich, dass die Situation haarig ist, aber man muss damit irgendwie umgehen.
Wie kam Netflix ins Spiel?
Netflix kannte das Drehbuch und wollte jetzt irgendetwas für Weihnachten haben. Die Story von «Wir können nicht anders» spielt sich innerhalb von 24 Stunden ab - am Nikolaus-Tag, wo plötzlich alles kulminiert.
Ein späterer Kinostart hätte damit auch keinen Sinn mehr gemacht…
Ich glaube, durch diese ganzen Verschiebungen gibt es irgendwann eine Kannibalisierung und danach folgt ein Loch, weil Hollywood neun Monate lang nichts produziert hat. Natürlich bekommt keiner am Laptop mit, was wir bei «Wir können nicht anders» im Soundbereich gewerkelt haben. Die Musik von Konstantin Gropper wirkt auch nur halb so stark und die kraftvollen Bilder von Armin Franzen wirken im Kino bestimmt auch anders. Trotzdem ist der Film bei Netflix gut aufgehoben.
Befürchten Sie nicht, dass Leute Ihren Film deshalb geringer einschätzen könnten?
Das können sie sagen, aber dann haben sie nicht diese katastrophale Situation, in der wir uns befinden, vor Augen. Es gibt so viele Filme, die machen einige tausende Zuschauer im Kino, dann sind sie weg. Netflix bietet die Chance, dass unser Film weiterverbreitet wird, und das ZDF zeigt ihn Weihnachten nächstes Jahr.
Schauen Sie inzwischen viel Zuhause?
Es wird gerade so viel seriell produziert, dass man teilweise gar nicht mehr hinterher kommt, was ich auch schade finde. Ich gucke die meisten Serien gar nicht mehr zu Ende, weil mir der Handlungsbogen oft zu breit gespannt wird. Man wird hingehalten. Da kommt man sich wie so ein dämlicher Fisch vor, der einem Köder nachschwimmt. Das mache ich nicht mehr mit. Ich selber erzähle gern Geschichten, die auf den Punkt kommen.
Sie spielen in «Wir können nicht anders» auch mit…
Ja, das mache ich manchmal. Ich fand es spannend, den Bürgermeister zu spielen, der im Rollstuhl gefesselt ist. Das ist auch symbolisch gemeint ist, denn er ist gefesselt, kann nichts machen und ist deshalb ratlos. Trotzdem gibt er sich wie ein wahnsinniger Klugscheißer.
Sie sind in der Rolle äußerlich erst mal nicht wiederzuerkennen und wirken viel älter…
Jemand sagte: ‚Super Maske!‘, und ich erwiderte: ‚Arschloch!‘ Denn ich hatte ja nur die Haare kürzer, an Gewicht zugenommen, und saß dann da mit Bart und Brille. Mehr nicht! Es gehört zum Spiel, sich in eine Rolle reinfallen zu lassen. Und ich mag das auch.
Sie sind auf dem Bauernhof Ihrer Eltern großgeworden, wohnen aber schon lange in Berlin. Sehen Sie sich heute mehr als Großstädter oder weiterhin als Provinzler?
Ich bin in der Provinz sozialisiert worden, weshalb ich mich da immer noch gut reinversetzen kann. In Schleswig-Holstein habe ich noch einen Landsitz, meistens bin ich aber in Berlin zum Arbeiten. Doch am liebsten hopse ich hin und her, weil man besser auf den jeweils anderen Ort blicken kann.
Was für einen Landsitz haben Sie?
Es ist der Hof meines Vaters, der von einem Freund bestellt wird. Aber wenn ich komme, packe ich natürlich mit an. Wir haben auch Rinder und über www.einstueckland.de kann man auch Fleisch von uns beziehen. Online bestellt, wird es in Stroh eingepackt nach Hause geschickt. Das ist edles Bio-Fleisch. Acht Pakete gibt es noch.
Wo werden Sie Weihnachten verbringen?
Wahrscheinlich im Zug. Ich fahre immer ganz spät aus Berlin heraus, auch schon mal am 24. nachts. Die Stimmung mit den letzten Reisenden mag ich irgendwie.
Groß gefeiert werden darf wegen Corona ja nicht. Traurig oder haben Sie sich damit bereits abgefunden?
Am Anfang dachte ich: ‚Gaia, die Erde schüttelt sich. Das wird ihr jetzt zu viel.‘ Es ist eine von Menschen verursachte Pandemie, und ich fand es gar nicht mal so schlecht, dass sich alles mal etwas entschleunigt. Aber das jetzt wieder alles dicht ist und sich die Menschen noch nicht mal richtig treffen können, lässt viele in Depressionen verfallen.
Ein schweres Jahr. Was erhoffen Sie sich von 2021?
Es geht nur noch darum, wie man unsere momentane Situation irgendwie deckeln kann. Der Mensch ist aber ein soziales Wesen und perspektivisch muss ihm ein Licht gezeigt werden. Ansonsten entzieht uns das zu viel Kraft, gerade jetzt in dieser dunklen Jahreszeit. Insofern wünsche ich mir, dass der Deckel bald wieder aufgeht.