‚Welt‘ übt massiv Kritik an Regierung und öffentlichen Rundfunk

Die digitale Tageszeitung ‚Welt‘ setzte sich in ihrer Dienstagsausgabe mit der gescheiterten Corona-Strategie der Regierung auseinander. Zudem kritisierte der Artikel Journalisten, die mit Politikern schmusen. Eine Zusammenfassung.

Am heutigen Dienstag werden sich die Ministerpräsidenten wieder mit der Kanzlerin verabreden. Nach ersten Berichten am Montag soll der Lockdown bis Ende Januar verlängert werden, berichtete unter anderem die „Bild“. In den vergangenen Tagen sei die Zahl der aktiven Corona-Zahlen auf rund 330.000 aktive Fälle gesunken, aber sowohl das Robert-Koch-Institut als auch der Regierungssprecher Steffen Seibert mussten bei der Pressekonferenz eingestehen, dass man dies gar nicht wisse.

„Welt“-Autor Jörg Phil Friedrich ist entsetzt: „Obwohl die Entwicklung der Infektions- und Todesfallzahlen gerade über die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel als so wesentlich hingestellt worden ist, obwohl der Lockdown doch eigentlich nur bis zum 10. Januar festgelegt war, man also gerade jetzt zuverlässige Daten bräuchte, haben die Behörden offenbar nichts getan, um über die Zeit von Heiligabend bis zum ersten Januarwochenende zuverlässige Daten zu bekommen.“

Janko Tietz vom „Spiegel“ stellt fest, dass die deutschen Gesundheitsämter am Sonntag nur knapp 10.000 Neuinfekten meldeten. „Weil während der Weihnachtsfeiertage und um den Jahreswechsel wohl nicht alle Ämter ihre Daten übermittelten, ist mit erheblichen Nachmeldungen zu rechnen, manche kalkulieren mit dem Faktor zwei.“ Klaus Geiger von der „Welt“ sagte, dass die Regierung sich „keine Expertise aus Asien einholte, bis es zu spät war“. Aber er mahnt: Diese Strategie funktioniere nur, wenn die Zahl der Infektionen gering ist. Mit dem ersten, harten Lockdown wurde die Zahl der Infizierten überschaubar gehalten.

„Dann kam der Sommer. Es wurde für die Bundesrepublik ein Sommer des politischen Versagens“, so der Autor. Die Beschaffung des Impfstoffs „ist nur ein Element in einer monatelangen Folge von Zögerlichkeit und strategischen Fehlern.“ So führte er an, dass es zu einem „Sommer des Nichtstuns“ kam und das aufgestockte Personal an Gesundheitsämter wieder abgebaut wurde – obwohl andere Länder schon Erfahrungen mit einer zweiten Welle machten. Noch mehr: Führende Virologen sagten dieses Szenario voraus. „Als die Infektionszahlen dann im Oktober wieder schnell anstiegen, war klar: Deutschland hatte die Zeit vor der zweiten Welle verschenkt“, resümiert Geier. Er fordert Strategien, denn „Nur mit dem Prinzip Hoffnung auf den Impfstoff zu setzen, wäre jedenfalls verantwortungslos.“

„Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt ging noch einen Schritt weiter: „Die Blamage der deutschen Politik und Verwaltung ist beispiellos. (…) Das Scheitern der EU beim Einkauf ist das eine. Die Rücksichtnahme auf die Franzosen beim Erwerb des Impfstoffs das andere. Das Sparen beim Kauf der Impfdosen das Nächste – während Hunderte Milliarden für Staatsunterstützungen hinausgefeuert werden.“

Vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht bei Poschardt in der Kritik: „Statt kritische Fragen zu stellen, fokussiert sich die überwiegende Mehrheit der Journalisten, allen voran die gebührenfinanzierten, darauf, die Mächtigen zu exkulpieren. Einige rufen dazu auf, jetzt keine schlechte Laune mit kritischen Geschichten zu schüren.“ Es sei als wolle sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit gute Laune-Geschichten von den Fehlern der Politiker ablenken.

In diese Kerbe schlägt auch Andreas Rosenfelder: „Reihenweise werfen sich Medienvertreter in die Bresche, um die Verantwortlichen in Schutz zu nehmen (…)“ und verweist auf die „Spiegel“-Geschichte „Das Impfstoffdrama“. Für ihn sollen sich Journalisten neutraler verhalten. Es könne nicht sein, dass der ZDF-Korrespondent Stefan Leifert auf Twitter „die Kritiker der Bundesregierung“ kritisieren. Auch Zurückhaltung sei gefragt, denn ausgerechnet ARD-Talkerin Anne Will kommentierte den Beitrag mit Applaus und ARD-Hauptstadtstudio-Redakteurin Birthe Sönnichsen unterschrieb den irren Twitter-Austausch.





Er übt auch Kritik an den von ARD und ZDF ausgestrahlten Bildern. Schuld an den verlängerten Corona-Maßnahmen seien, so sagte es Gesundheitsminister Jens Spahn, „glühweintrinkende Bürger“ die „für das Scheitern ihrer Corona-Strategie verantwortlich gemacht werden.“ Süffisant fasst er zusammen: „Beklatscht von der Journalistenblase“. Jörg Phil Friedrich schreibt im Artikel „Die falschen Verdächtigen“, dass niemand „einen Nachweis oder auch nur ein Indiz dafür beibringen, dass es bei geschlossenen Skiliften und Gastronomiebetrieben an den Abfahrtspisten des Sauerlands möglich wäre, sich mit dem Coronavirus anzustecken.

Mit der Familie Zeit an der frischen Luft zu verbringen, war im März und April 2020 noch in Ordnung. „Die Empörung gilt in diesen Tagen den Familien, die die Chance auf einen Spaziergang in verschneiten Wäldern des Sauerlandes nutzen wollen oder gar ihre Kinder auf einem Schlitten einen Hang hinunterfahren lassen möchten.“, sagt Friedrich. „Und diese Leute, so liest man dann, sind vorgeblich schuld daran, dass der Lockdown verlängert werden muss“, schrieb Friedrich und verweist auf die Behörden, die den Sommer keine Konzepte entwickelten. „Ein Ausflug in die verschneiten Berge birgt aber noch keine Gefahr, nur weil auch andere dorthin unterwegs sind, und wenn man nicht gerade die Neigung hat, wildfremde Menschen mit Schnee abzureiben, ist das Einhalten der Mindestabstände dort kein Problem. Die Verantwortung dafür, dass der Lockdown sich hinzieht, liegt sicher bei anderen.“, fasst der „Welt“-Autor zusammen.
05.01.2021 10:50 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/123894