«Charité - Staffel 3»: «In aller Freundschaft» an der Berliner Mauer?

Große Gefühle waren der historischen Krankenhausserie in der ARD nie fremd. Doch die neue Staffel mit Nina Kunzendorf, Nina Gummich und Uwe Ochsenknecht verliert den Blick fürs Wesentliche.

Stab

Darsteller: Nina Gummich, Nina Kunzendorf, Philipp Hochmair, Uwe Ochsenknecht, Max Wagner, Franz Hartwig
Drehbuch: Stefan Dähnert, Regine Bielefeldt, John-Hendrik Karsten, Christine Hartmann
Drehbuch Mitarbeit und Konzeption: Dr. Sabine Thor-Wiedemann, Dr. Christine Otto, Dr. Jakob Hein
Regie: Christine Hartmann
Bildgestaltung: Holly Fink
Produzenten: Benjamin Benedict, Markus Brunnemann, Henriette Lippold
Nach Anfängen im Dreikaiserjahr und einer zweiten Staffel unterm Hakenkreuz hat sich die Berliner «Charité» in ihrer als eine Art Denkmal gedachten Erzählung der ARD in die Tage vor und nach dem Mauerbau 1961 vorgearbeitet. Weil sie von der erdrückenden Mangelwirtschaft die Nase voll haben, hauen fast täglich Oberärzte in den Westen ab, wo man die Chirurgen nicht mit Röntgenfilmen bestechen muss, damit sie einer jungen Magenkrebspatientin bitte doch den Tumor rausoperieren. Da können die schlaksigen Parteibonzen noch so kümmernd über die Gänge huschen: Dass der Sozialismus gerade die Talente aus dem Land treibt, halten weder Ochs noch Esel auf – höchstens eine Mauer. Aber niemand hat ja die Absicht, eine solche zu bauen.

Die junge Ärztin Dr. Ella Wendt (Nina Gummich) findet trotzdem alles dufte in der berühmten Ost-Klinik und stolziert in den ersten Szenen freudestrahlend mit zwei dicken Koffern bepackt durch das ganze Areal. Hier will sie endlich mit ihren Forschungen zur Krebsfrüherkennung richtig durchstarten – und hofft dabei auf die Unterstützung durch den berühmten Pathologen Professor Prokop (Philipp Hochmair). Auf dessen Tisch landet in so gut wie jeder Folge eine neue Leiche, wodurch «Charité» nun offenbar auch noch ein wenig Krimi-Feeling bekommen soll.

Unterdessen beißt sich die erfahrene – und in der Nazizeit durch die halbe Welt geflohene – Kinderärztin Dr. Rapaport (Nina Kunzendorf) regelmäßig am noch erfahreneren – und damals mit den Nazis kooperiert habenden – Dr. Kraatz (Uwe Ochsenknecht) die Zähne aus. Der will nämlich von einer engeren Verzahnung von Kleinkindmedizin und Geburtshilfe nicht viel wissen und verteidigt eisern sein Territorium. Der unterschwellige Konflikt zwischen dem alten, konservativen Mann und einer engagierten Frau, die beharrlich auf die Durchsetzung des Notwendigen setzt, ist damit schnell etabliert.

Doch während diese Serie in ihren vergangenen beiden Inkarnationen sehr bemüht war, ein Dokument der jeweils portraitierten Zeit zu entwerfen, ist davon in der dritten Staffel nicht mehr sonderlich viel zu sehen: Ja, die Figuren hadern – jede natürlich aus ihrer Warte – mit der Errichtung des „antifaschistischen Schutzwalls“, mit dem die DDR endgültig ihr wahres Gesicht zeigt und alle Freiheitshoffnungen enttäuscht. Doch dieser politische Hintergrund ist eher ein mühseliger Anker, um dieser Krankenhausserie etwas Besonderes zu verleihen.

Denn weil der klare Fokus auf möglichst spektakuläre medizinische Fälle und die Anbandelungen des Klinikpersonals untereinander gelegt wird, fühlt man sich bisweilen wie beim Trivialfernsehen von «In aller Freundschaft», wo jeder hoffnungsvolle Patient durch den gütigen Blick des Halbgotts in Weiß von jeder noch so scheußlichen Krankheit geheilt wird und das Pflegepersonal nicht im Akkord die Inkontinenzhilfen austauscht, sondern immer Zeit für einen Plausch mit den armen Kranken hat.

Hier in der «Charité» sind die bombastischen Krankheitsbilder dagegen historische Schaubilder: Kinder mit Polio, Babys mit Hepatitis, Arbeiter mit zerschundenen Atemwegen. Spätestens wenn der kleine Junge nach langem Leiden aus der eisernen Lunge geholt wird und wieder die ersten zaghaften Schritte über den Klinikboden macht, sind die Parallelen zum liebevollen Blick von Dr. Heilmann aus der Sachsenklinik kaum zu übersehen. Dabei hätte dieses Format gerade mit Darstellern wie Nina Kunzendorf und Nina Gummich in tragenden Rollen so viel mehr gekonnt.

Das Erste zeigt sechs neue Folgen von «Charité» dienstags ab dem 12. Januar ab 20.15 Uhr jeweils in Doppelfolgen. Alle Episoden sind bereits in der ARD-Mediathek abrufbar.
11.01.2021 11:00 Uhr  •  Oliver Alexander Kurz-URL: qmde.de/123983