Tim Niedernolte: 'Mussten erstmal vertrauen aufbauen'
Am Donnerstag läuft die zweite Folge des Sozial-Experiments «Das Berlin Projekt» bei RTLZWEI. Talpa begleitete die Obdachlosen über zwei Jahre in den Start in ihr neues Leben.
Sehr geehrter Herr Niedernolte, in «Das Berlin Projekt» begleiten Sie obdachlose Menschen und bieten ihnen die Chance an, mit 10.000 Euro ihr Leben umzukrempeln. Nicht alle Teilnehmer waren anfangs von der Idee begeistert?
Das stimmt – wobei ich zunächst einmal ergänzen will, dass das Geldbudget nur einen Teil des Hilfsangebotes darstellt. Hinzu kommt ein Experten- und Unterstützerteam, dessen Hilfe und Kontakte jeder Teilnehmer mehr oder weniger rund um die Uhr in Anspruch nehmen kann. Also, Sozialarbeiter, Wohnungsexperten, Ärzte, Anwälte und Schuldenberater. «Das Berlin Projekt» ist nämlich viel mehr als „nur“ eine Summe Geld. Dennoch haben Sie Recht: der eine oder die andere war anfangs zögerlich. Da musste sich erst einmal Vertrauen aufbauen. Eine Währung, die auf der Straße völlig in Vergessenheit gerät. Verständlicherweise. Und, ebenfalls ein Punkt: Hilfe dieser Art anzunehmen bedeutet oft eben auch: Verantwortung zu übernehmen. Dass einen Pflichten wieder einholen, vor denen man vielleicht sehr lange weggelaufen ist.
Wie kamen Sie auf die Idee von «Das Berlin Projekt»?
Dankenswerter Weise kam die Idee in diesem Fall zu mir. Über meine Agentin habe ich von dem TV-Projekt erfahren und war sofort ganz begeistert von der Idee und dem holländischen Vorbild. Zu dem Zeitpunkt hatte ich übrigens gerade mein erstes Buch veröffentlicht, „Wunderwaffe Wertschätzung“, in dem ich über ein sehr persönliches Erlebnis mit einem Berliner Obdachlosen geschrieben habe. Das ist dann auch bei den Produzenten gelandet – und so durfte ich erst beim Casting dabei sein und dadurch dann auch bei der Sendung.
Im Gegensatz zu anderen RTLZWEI-Reportagen wie «Hartz und Herzlich» oder «Hartes Deutschland» ist erstmals ein Moderator/Redakteur aktiv vor der Kamera. Eine Idee, die auch andere Formate übernehmen sollten?
Auf jeden Fall eine Idee, die man weiter verfolgen sollte. Wobei ich da natürlich eher aus der Moderatorenperspektive sprechen kann und nicht aus Produzenten- oder Sendersicht. Aber meine Erfahrung ist, dass es bei einzelnen Formaten durchaus einen großen Unterschied machen kann. Als persönlicher Begleiter der Protagonisten kann man einfach eine viel engere Beziehung aufbauen, kann noch mal ganz anders Vertrauen herstellen. Und wenn es gut läuft als ein Bindeglied zwischen Zuschauer und Teilnehmer fungieren. Oft eine Hilfe, wie ich finde. Auch, wenn es eine aufwändigere Produktion bedeutet. Doch die kann sich lohnen.
Ihre Produktion begann schon im Jahr 2018. Wie lange haben Sie gedreht? Entstand Ihr Projekt auch unter der Corona-Pandemie?
Am Ende hatten wir mit dem tollen Team von Talpa Germany über 100 Drehtage im Kasten, über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren. Eine Zahl, über die ich manchmal noch immer erstaunt bin. Unsren letzten Drehtag hatten wir im Frühjahr 2020, kurz vor Beginn der ersten Beschränkungen in Deutschland. Im Nachhinein ein riesen Glück, denn unter Corona-Bedingungen wäre «Das Berlin Projekt» in seiner jetztigen Form wohl kaum mehr möglich.
Wie dankbar sind Sie einem Sender wie RTLZWEI, dass Sie und Ihr Team ein solches Langzeitprojekt umsetzen durften?
Unendlich dankbar! Und das ist jetzt nicht nur so dahin gesagt. Diesen langen Atem zu haben, dafür ziehe ich bis heute meinen Hut vor RTLzwei und auch vor Talpa Germany. Dazu den Mut, Menschen am Rande der Gesellschaft so viel echte Aufmerksamkeit, gelebte Wertschätzung und Respekt zukommen zu lassen, das berührt mich sehr. Denn auch wenn im harten Alltag auf der Straße oft so erschreckend wenig davon zu sehen ist: Obdachlose sind Menschen wie Sie und ich – und ein Projekt wie dieses trägt dazu bei, ihnen wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken, gerade in den harten Corona-Zeiten. Und ihnen ihre Würde zurück zu geben.
Im Mittelpunkt stehen unter anderem Marcus und Ronja. Solche Geschichten gehen ans Herz und bleibt bei Ihnen mit Sicherheit auch hängen. Gibt es nach dem Dreh Gruppenbesprechungen oder Supervisionen? So etwas trägt man ja in die eigene Familie mit.
Wir haben uns nach jedem einzelnen Dreh ausgetauscht. Und an den Tagen, die besonders intensiv waren, kam oft noch jemand aus dem Talpa-Team dazu, um das Erlebte mit uns aufzuarbeiten. Außerdem waren wir permanent im Austausch und jeder von uns wusste: wenn mich irgendetwas belastet oder man Gesprächsbedarf hat, dann ist immer jemand da und erreichbar.
Wie haben Sie sich auf die Sendung vorbereitet? Immerhin sind einige der Obdachlosen Drogen- oder Alkoholabhängig. Hatten Sie schon vorab mit Experten recherchiert und gesprochen?
Das war durchaus vielschichtig. Noch vor Drehstart bin ich mit dem Berliner Produktionsteam zu RTLzwei nach München gefahren, um dort an einem Brainstormingtag gemeinsam zu erarbeiten, wie wir vorgehen, welche Aufgaben auf mich zukommen und wie wir potentielle Schwierigkeiten meistern. Außerdem hatte ich ein zweitägiges Coaching, um meine Rolle zu definieren und mich persönlich auf die Drehs vorzubereiten. Und es gab immer wieder neu intensive und professionelle Briefings, die mir sehr geholfen haben.
RTLZWEI dokumentiert seit geraumer Zeit Drogenabhängige und möchte aufklären. Immer wieder steht der Vorwurf im Raum, der Sender arbeite mit Statisten.
Dazu kann ich wenig sagen. Ich persönlich kann nur für «Das Berlin Projekt» sprechen. Und was diese Dokumentation betrifft, so taucht da von Drehtag 1 bis Drehtag 100 plus x kein einziger Statist auf. Und das wird ja ziemlicher sicher auch beim Anschauen der Folgen deutlich.
Sie müssten in der ersten Folge auch schon aktiv ins Geschehen eingreifen, weil die Teilnehmer überfordert waren. Ist das bei einem Doku-Format geeignet oder völlig legitim, weil Sie und Ihr Team das offen kommunizieren?
Man sollte ja nicht ganz vergessen, dass es sich bei «DBP» um ein „Sozial-Experiment“ handelt. Was immer man darunter im Einzelnen versteht, erlaubt es natürlich mehr aktiven Spielraum als eine reine Doku. Zumal ich als Host und persönlicher Begleiter ja ohnehin auch die Legitimation habe, meine Meinung kund zu tun und den Teilnehmern auch persönlich etwas zu raten. Allerdings, und das ist mir sehr wichtig, habe ich „aktiv“ nie verstanden im Sinne von „ich gebe eine Richtung vor“ oder „ich wünsche mir, dass du das so oder so machst“. Ich habe immer nur Optionen aufgezeigt, Pros und Contras skizziert. Entscheiden und machen – in welche Richtung auch immer – das war die Aufgabe der Teilnehmer.
Zu guter Letzt: Wie viele Teilnehmer haben ein neues Leben begonnen?
Das verrate ich Ihnen gerne. Und zwar am 28. Januar bei RTLzwei, spätestens um 22.15 Uhr kennen Sie dann die Antwort (lacht).
Vielen Dank für das Gespräch!