Maren arbeitet für ein Abschleppunternehmen. Eines Tages findet sie in einem gerade abgeschleppten Lada eine Tasche voll Geld. 600.000 Euro. Das Geld ist das Ende all ihrer Probleme. Oder vielleicht doch eher der Anfang?
Stab
DARSTELLER: Rosalie Thomass, Friedrick Mücke, Thomas Loibl, Hilmar Eichhorn, Kerem Can, Annika Meier, Artemis Chalkidou, Lorna Ishema
REGIE: Emily Atef
BUCH: Frédérick Hambalek
MUSIK: Christoph M. Kaiser, Julian Maas
KAMERA: Bernhard KellerMan fragt sich manchmal schon, ob bei der Degeto Drehbücher eigentlich gegengelesen werden? Im Fall dieses Filmes hätte ein Lektorat manch einen Stolperer sicher verhindern können, denn die Ausgangssituation ist ja erst einmal nicht zu bemängeln. Da ist also Maren, die einen Wagen abschleppt, auf den Hof des Unternehmens stellt, für das sie arbeitet, und dann im Wageninneren diese Tasche voller Geld entdeckt. Gelegenheit macht Diebe, heißt es nicht umsonst. Und beim Anblick des Geldes geht mit Maren die Gier durch. Durchaus verständlich, denn ihr Mann Dennis ist seit einem Unfall an den Rollstuhl gefesselt. Zwar erlernt er wieder das Laufen, aber eine gute Behandlung kostet gutes Geld und mit den 600.000 Euro wäre das Problem gelöst. Bis zu diesem Punkt gibt es nichts an der Story auszusetzen. Die Probleme beginnen eigentlich in dem Moment, in dem Dennis vom Fund erfährt und im Grunde das einzig Richtige sagt: Liebe Maren, leg das Geld ins Auto zurück. Dennis nämlich weiß, dass niemand 600.000 Euro im Auto einfach durch die Gegend fährt. Schon gar nicht in einem Mittelklassewagen. Wer so viel Geld im Wagen kutschiert, mit dem sollte man sich nicht anlegen. Womit er recht hat, denn der Zuschauer weiß – im Gegensatz zu Dennis und Maren -, dass an diesem Geld bereits Blut klebt. Dem bis zu diesem Zeitpunkt namenlosen Besitzer des kleinen Vermögens ist dieses Geld schon einmal gestohlen worden und den Dieb hat er zur Strecke gebracht. Mit einem Kopfschuss.
Das Problem, das nun auftaucht und den Film leider scheitern lässt, besteht darin, dass Maren im Grunde als eine Getriebene dargestellt werden soll. So verlangt es die Regie. Immer wieder wird der Grund ihres Tuns – Dennis' Genesung und die Geldschwierigkeiten, in denen sie deshalb stecken, als Entschuldigung für ihr Tun beigebracht. Sie hat das Geld ja nicht aus Selbstsucht an sich genommen, sagt die Regie, Maren hat durchaus einen Grund für ihr Handeln. Aber von dem Moment an, in dem Dennis sie bittet, das Geld einfach zurückzulegen – wissend, dass dies für seine Genesung den harten Weg bedeuten wird, denn er ist sich darüber bewusst, worauf er in diesem Moment verzichtet – trägt Maren im Grunde für alles, was nun folgt, die Verantwortung. Aus der Getriebenen wird eine normale Diebin, eine Frau, die nicht in der Lage ist, sich einen Fehler, den sie begangen hat, einzugestehen und ihn rückgängig zu machen. Tatsächlich hätte sie einige Möglichkeiten im Verlauf der Handlung, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Immer wieder gibt es Momente, in denen sie im Grunde nur sagen müsste, sie bringt das Geld zur Polizei. Oder sie legt es ins Auto zurück. Die Story bietet diese Augenblicke, in denen sie einsichtig agieren könnte. Sie tut es aber nicht. So trägt sie mehr und mehr die Verantwortung für das, was geschieht.
Vielleicht soll es ja genau darum gehen. Vielleicht möchte «Jackpot» ja die Geschichte eines fürchterlichen Scheiterns erzählen. Das ist möglich. Allerdings gibt es da ja auch noch die Geschichte des Besitzers des Geldes. Henning heißt er. Henning Karoske. Wer er ganz genau ist, das bleibt im Graubereich. Er war wohl mal Polizist in einem Spezialeinsatzkommando. Ein harter Hund, der den Polizeidienst quittiert hat und dann ins halbseidene Milieu abgetaucht ist. Als ein Mann fürs Grobe. Je mehr über Henning jedoch offenbart wird, desto sympathischer wird die Figur im Grunde. Klar ist Henning niemand, der lang und breit seine Anliegen diskutiert. Aber er hat einen Grund für das, was er tut. Henning ist verheiratet und hat eine kleine Tochter, eine Familie, die er wirklich liebt. Die nun mit einem Ehemann und Vater leben muss, der Dinge tut, die nicht richtig sind. Und das ist der Punkt: Henning weiß, wer er ist. Und das gefällt ihm nicht. Das Geld ist im Grunde sein Fahrschein raus aus seinem Leben. Seine Frau ist Griechin, sie hat Verwandtschaft in Griechenland, einen besseren Ort, um dem alten Leben zu entkommen, gibt es für sie nicht. Im Grunde möchte Henning einfach ein guter Vater sein können, der mit Frau und Tochter ein anständiges Leben führen kann. Das Geld, wo immer es auch herkommen mag, ist für ihn ein Akt der Vorsorge, denn ein Mann wie er bekommt nun einmal keine Rente. Die 600.000 Euro sind also nicht dafür gedacht, um sich in der Sonne den Bauch bräunen lassen zu können. Es ist das Geld, von dem er und seine Familie werden lange leben müssen.
Der Fokus der Story jedoch richtet sich immer wieder auf Maren. Sie steht im Mittelpunkt - und es ist einfach nicht möglich, für diese Figur so etwas wie Sympathie – oder wenigstens ein Verstehen – zu entwickeln. Anders sieht dies in Bezug auf den vermeintlichen Killer Henning aus. Thomas Loibl stellt diesen Henning als einen Mann dar, der seinen Moment der Reinigung im Grunde schon abgeschlossen und sein vergangenes Leben hinter sich gelassen hat. Gerade die Momente, in denen er mit Frau und Tochter agiert, sind von einer zurückhaltenden Zärtlichkeit durchzogen. Loibl lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass dieser Mann mit dem Mann, der er war, nichts mehr zu tun haben will und am Ende nur durch äußere Einflüsse gezwungen wird, immer wieder in seine alte Persönlichkeit zurückzukehren. Wenn er in einer Szene Marens Chefs durchaus unter Einbeziehung körperlicher Gewalt zu verstehen gibt, dass er Informationen über den Aufenthaltsort Marens wünscht, dann spürt man Loibls Spiel eine gewisse Verzweiflung an. Die einzige Emotion, die wirklich mit Händen spürbar wird, ist Wut. Dieser Mann ist wütend – weil ihm Marens Tat die Aussicht auf ein normales Leben genommen hat. Das Problem: Die Inszenierung braucht Henning als Antagonisten von Maren, weil die Dramaturgie einem schlichten Aktion-Reaktion-Muster folgt, in dem Hennings Tun nun Maren nächsten Schritt bedingt. Das Problem ist, in diesem Szenario ist Henning per Definition der finstere Geselle. Aber ist es nicht Maren, die in Wahrheit Henning bestohlen hat?
Sicher, vielleicht es viel zu konservativ gedacht, dieses an vorangegangener Stelle kritisierte Spiel von Protagonistin und Antagonisten. Und vielleicht geht es ja auch genau darum, Erwartungen an einen Film zu brechen, indem klare Zuordnungen von Schwarz und Weiß in einem einzigen Grau untergehen. Nur braucht gerade eine solche Geschichte Spannung, um Emotionen zu wecken. Durchaus für beide Parteien. Für Maren, die doch nur etwas Rückkehr zur Normalität in ihrem Leben sucht. Und auch für Henning, der seinem alten Leben doch nur entkommen will. Eine Geschichte voller Grau lebt von Zwiespalt der Gefühle, die durch die Spannung entsteht, die hier allerdings vollkommen fehlt. «Jackpot» ist einfach nicht spannend, Szenen folgen auf Szenen. Aber ohne Tempo. Was den Zuschauer zum Beobachter degradiert. Ein Gefühl, das die Distanz zwischen Film und Zuschauer bricht und die Zuschauer emotional am Geschehen teilhaben lässt, wird in diesem Umfeld nicht erzeugt.
Irgendwann ist der Film dann zu Ende und es bleibt die Frage unbeantwortet, was «Jackpot» eigentlich sein will. Ein Drama? Ein Thriller? Eine Studie über falsche Entscheidungen? Irgendwie ist «Jackpot» alles ein bisschen. Aber nichts davon wirklich.
«Jackpot» ist am Mittwoch, 24. März 2021, 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.