Mit der HBO Europe Produktion «Beforeigners» ist der ARD ein echter Glücksgriff gelungen.
Die „Versendung“ zur späten Stunde erinnert allerdings nur allzu sehr an das Schicksal von Serien wie «Die Sopranos» beim Schwestersender ZDF vor rund 20 Jahren. Die Öffentlich-rechtlichen haben es in den letzten Jahren vermehrt geschafft, immer wieder einerseits international hochwertige und innovativ produzierte Formate einzukaufen, diese dann aber andererseits im Nachtprogramm versauern zu lassen, um zur Primetime lieber eigene, stets nach Schema F produzierte Inhalte zu zeigen. Die norwegische HBO Europe Produktion «Beforeigners» ist das jüngste Beispiel für diese Systematik, die mittlerweile wenigstens durch die Mediathek etwas geschmälert wird.
Die Serie spielt im norwegischen Oslo, wo immer wieder Menschen aus verschiedenen Zeitlinien auf unerklärliche Weise im Hafenbecken auftauchen. Teilweise aus der Wikingerzeit, dann wieder aus dem 19. Jahrhundert und manchmal sogar aus der Steinzeit. Allen ist gemein, dass sie vom selben Ort, aber nicht derselben Zeit abstammen. Einige Jahre nach dem ersten Auftauchen der Zeitmigranten hat sich das Phänomen zum Usus entwickelt und viele der Zeitmigranten leben mittlerweile in Parallelgesellschaften, da sie mit den Gegebenheiten des modernen Oslos nicht zurechtkommen. Die Haupthandlung dreht sich um den erfahrenen, aber mittlerweile drogensüchtigen Polizisten Lars Haaland (Nicolai Cleve Broch), dem die erste Zeitmigrantin, die die Polizeiausbildung abgeschlossen hat, Alfhildr Enginnsdóttir (Krista Kosonen), als neue Partnerin zur Seite gestellt wird.
Glücklicherweise mutiert «Beforeigners» allerdings nicht zum typischen Procedural-Polizeidrama, wie wir es bereits unzählige Male auf amerikanischen Networksendern gesehen haben. Die Polizeiarbeit, die sich stets auf die übergreifende Geschichte, die Zeitmigranten betreffend bezieht, ist mehr Mittel zum Zweck, um aus erster Hand Brotkrümel für die immer noch unerklärlichen Ereignisse zu erhalten. Natürlich dienen die Einblicke in das Leben der Neuankömmlinge, die überwiegend als Ausgestoßene in Parallelgesellschaften leben als nicht ganz so versteckte Allegorie auf die tatsächliche Flüchtlingssituation in Europa der letzten Jahre. Dadurch, dass es sich bei diesen Migranten allerdings um das eigene Volk, nur eben aus einer anderen Zeit handelt, ermöglicht sich ein durchaus interessanter Blick auf das Thema Migration, dem weitaus mehr Spielraum zu Teil wird, als es mit einer reellen Flüchtlingsgeschichte möglich gewesen wäre. Schnell wird deutlich, dass Migrationsprobleme nicht aufgrund der Herkunft eines Individuums entstehen, sondern aufgrund des unterschiedlichen religiösen und kulturellen Hintergrunds. Einerseits wird dem modernen Christentum, ein viel klassischeres, ernsteres und streng ausgelegteres bzw. ausgelebteres Christentum mit dem Auftauchen der Menschen aus dem 19. Jahrhundert gegenübergestellt. Andererseits werden mit dem Erscheinen der Wikinger, die noch an die alten Götter glauben und zu ihrer Zeit gegen alles Christliche kämpften eindeutige Parallelen zum heute gängigen Zusammenprall gänzlich unterschiedlicher, teilweise inkompatibler Religionen gezogen. Auch der kulturelle Aspekt, der im hier vorliegenden Fall bis in die Steinzeit zurückreicht, beleuchtet hervorragend die Disparität zwischen vermeintlich sozialisierten und vermeintlich barbarischen Kulturen.
Neben der scheinbaren Aussichtslosigkeit, die das hier gezeigte Parallelleben ausstrahlt, wird anhand der ehemaligen Wikingerin Alfhildr Enginnsdóttir (Krista Kosonen) allerdings auch deutlich gemacht, dass ein friedliches Miteinander, bei dem beide Parteien voneinander profitieren und lernen können, durchaus möglich ist. Die ehemalige Schildmaid sorgt mit ihrem gänzlich ungenierten Auftreten zwischen Rülpsern, Furzen und einer eher direkten Haudrauf-Einstellung nicht nur für die unterhaltsamsten Einlagen der Serie, sondern bildet auch einen hervorragenden Gegenpool zum eher verklemmten Partner Lars Haaland (Nicolai Cleve Broch). Dass sich «Beforeigners» selbst zumindest teilweise nicht todernst nimmt, kommt der Erzählung zugute, denn die Logiklöcher, die in Zeitreiseserien mittlerweile zum guten Ton gehören, fallen so nicht übermäßig ins Gewicht. Insbesondere die gut dosierten Humoreinlagen sorgen dafür, dass der Serie beim Schauen eine gewisse Leichtigkeit zu Teil wird, die bei vielen Produktionen der letzten Jahre einfach fehlt.
«Beforeigners» schafft es in seiner kurzen ersten Staffel eine Vielzahl verschiedener Aspekte gleichzeitig abzudecken. Sie funktioniert als Sci-Fi-Serie, aber auch als klassischer spannender Krimi mit originellem Einfluss, der mit satirischem Blick auf ganz aktuelle, kulturelle Probleme aufmerksam macht, dabei aber auch nie vergisst eine Portion Humor einzustreuen, die die übermäßige Ernsthaftigkeit, die sonst nordischen Krimis zu Teil ist, gekonnt auflockert.
Die Serie ist noch bis zum 13.05.2021 über die ARD Mediathek abrufbar