Ein Gefangenentransport auf einer Landstraße im Nirgendwo. Draußen herrschen eisige Temperaturen. Und dann ist da ein Angreifer, der den Transport lahmlegt und klare Forderungen stellt. Wird ihm nicht ein bestimmter Häftling ausgeliefert, wird niemand diesen Transport lebend verlassen.
Stab
REGIE: Lluís Quílez
DREHBUCH: Lluís Quílez und Fernando Navarro
PRODUKTION: Josep Amorós, Pedro Uriol
MUSIK: Zacarías de la Riva
KAMERA: Isaac Vila
SCHNITT: Antonio Frutos
DARSTELLER: Javier Gutiérrez, Karra Elejalde, Louis Callejo, Andrés Gertrúdix, Isak Férriz, Florin Opritescu, Miquel Gelabert
An sich beginnt Martins Tag schon ziemlich mau. Ausgerechnet auf dem Weg zu seinem neuen Revier hat er eine Reifenpanne. Im strömenden Regen. Viel schlechter kann der Tag eigentlich nicht werden. Martin ist ein Beamter, der sich an die Regeln hält. Das gilt auch für den Umgang mit Sträflingen. Professionell würde man sein Verhalten wohl nennen. Sofort an diesem ersten Tag im neuen Revier bekommt er auch schon einen wenig erbaulichen Auftrag: Er wird dem Begleitschutz eines Gefangenentransportes zugeteilt. Um zum Beispiel Befreiungsversuche von Gefangen zu verhindern, werden Überführungen von Sträflingen in andere Gefängnisse stets nur kurzfristig bekanntgegeben. Darüber hinaus findet dieser auch noch nachts statt. Ein „toller“ Auftrag. Aber das ist Martins Arbeit. Also begleitet er Sträfling für Sträfling in ihre Zellen im Transporter und nimmt seinen Platz in diesem Container ein. Zwei Polizisten sitzen in der Fahrerkabine, ein ebenfalls mit zwei Beamten besetzter Begleitwagen fährt voraus. Viel ist das nicht, schließlich gehört zu den zu überführenden Sträflingen Mihai, ein rumänischer Drogendealer, Zuhälter und Mörder, dem man dem organisierten Verbrechen zurechnen kann. Die anderen Sträflinge sind allerdings tatsächlich eher kleine Fische. Sicher, da ist ein Kommunalpolitiker, der öffentliche Gelder in die eigene Tasche umgeleitet hat und aufgrund seiner Verhaftung zu einer gewissen Prominenz gelangt ist. Aber ihn würde ebenso wenig jemand aus dem Transporter befreien wollen wie Ramis, einen Betrüger mit ziemlich großer Klappe, der sicher gerne im Mittelpunkt des Interesses steht, aber ansonsten eine kleine Nummer darstellt. Der Rest der Gefangenen sind für Martin nur Namen auf einer Liste. So setzt sich der Transport in Bewegung. Bis er in einem Wald im Nirgendwo attackiert wird. Wer immer dort draußen den Transport ins Visier nimmt, macht keine Gefangen. Er schaltet die Polizisten aus, über ein in die Außenwand gebohrtes Loch lässt er Benzin in eine der Zellen laufen, entflammt dieses und tötet einen der Gefangenen. Im Grunde, gibt er Martin zu verstehen, sind ihm die Männer in dem Wagen allerdings egal. Wenn Martin die Tür öffnet, können sie verschwinden oder bleiben, auch Martin hat nichts zu befürchten. Er ist nur wegen einem von ihnen gekommen. Und das ist zur allgemeinen Überraschung nicht Mihai.
«Bajocero» ist ein feiner, kleiner Actionthriller aus Spanien, der über weite Strecken hinweg von der klaustrophobischen Enge lebt, in der sich die Hauptfiguren bewegen müssen. An sich wirkt dieser Ort sicher. Er hat Stahlwände, er verfügt über Notstrom und zumindest Martin hat auch eine Waffe. Aber diese Sicherheit ist trügerisch. Das beweist nicht nur der Flammentod eines Gefangenen. Es ist also durchaus möglich, von Außen in den Wagen einzudringen. Was, wenn der Angreifer Gas einsetzt? Und dann sind da natürlich die Sträflinge. Warum sollten sie dem Mann draußen nicht – auf ihre Weise – glauben, dass er sie abziehen lässt, wenn sie die Türen öffnen? Warum nicht den vorgeschlagenen Deal annehmen: Einen von ihnen ausliefern – für die eigene Freiheit? Andererseits gibt es aber auch einen Sträfling wie Ramis, der selbst an einem Ausbruchsplan getüftelt hat und eigentlich über das Geschehen entzückt sein müsste – der aber sehr wohl Bedenken gegenüber dem vermeintlichen Wohltäter hegt. Abgesehen davon, dass der Sträfling, nach dem es den Unbekannten verlangt, kein Interesse hat, die sichere Zelle zu verlassen.
So steht Martin bald schon zwischen allen Fronten, denn schließlich ist er nicht nur ein Begleiter – er ist auch für die Sicherheit der Männer verantwortlich. Selbst für die Sicherheit derer, die ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, selbst umbringen würden.
Die Inszenierung erlaubt sich keinen Stillstand. Zwar erreicht «Bajocero» nie eine inszenatorische Dichte wie John Carpenters Meisterstück «Assault on Precinct 13» aus dem Jahr 1976, an dem sich Regisseur Lluís Quílez immer wieder orientiert; dafür aber gelingt es ihm erstaunlich gut, auf diesem kleinen Raum Tempo zu inszenieren. Mögen die Räder des Gefangentransportes stillstehen, gilt dies für die Handlung keinesfalls. Überhaupt spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle, denn zufällig hat der unbekannte Angreifer diesen Ort für seine Attacke nicht ausgewählt: Kilometer von der nächsten Siedlung entfernt gelegen – steckt der Transport in einem Funkloch fest. Auf der einen Seite gibt dies dem Unbekannten Zeit, die Männer im Transport unter Druck zu setzen. Auf der anderen Seite steht er selbst unter Druck, denn sein Zeitfenster schmilzt dahin.
Ob, wie in diesem Fall, ein Netfli-Original – oder von Netflix für den internationalen Markt exklusiv eingekaufte Produktionen, die Liaison zwischen Netflix und dem spanischen Kino trägt ihre Früchte. Ob ein Horrorfilm wie «Voces», eine dystopische Extravaganz wie «Der Schacht», der Zeitreisethriller «Parallelwelten» und natürlich Serien wie «Haus des Geldes», «Élite» und der Überraschungshit «Deine letzte Stunde»: Es ist offensichtlich, dass man im Hause Netflix Gefallen an Produktionen von der Iberischen Halbinsel gefunden hat. «Bajocero» kann sich zwar nicht ganz in diese Liste einreihen, dafür ist er einen Tick zu klein und zum Ende hin auch vorhersehbar, an seinem Unterhaltungswert aber ändert diese Kritik nichts.
«Bajocero – Unter Null» kann bei Netflix gestreamt werden.
15.04.2021 11:40 Uhr
• Christian Lukas
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