Etienne Abelin: ‚Es werden neue Möglichkeiten eröffnet‘

Der Kommunikationsgigant Deutsche Telekom setzt sich seit Beginn der Pandemie für die Kulturszene an. Am Samstagabend steht nun Beethovens Neunte bei Magenta360 auf dem Programm, das Live-Konzert ist für alle Zuschauer kostenlos. Wir sprachen mit Moderator und Dirigent Etienne Abelin über die Wandlung der Kulturlandschaft und neue Möglichkeiten.

Am Samstagabend kann ich mir Ihr Konzert von „Beethovens Neunte“ im Livestream anschauen. Können Sie mir sagen, was beim Beethoven Orchester Bonn erwarten wird?
Beethoven war ein Erneuerer, der Grenzen sprengte und in diesem Konzert sprengen wir Grenzen ganz in seinem Sinn: Gabriel Prokofiev, der Komponist, DJ und Produzent, hat den berühmten letzten Satz der 9. Sinfonie Beethovens („Freude schöner Götterfunken!“, „Seid umschlungen, Millionen!“) einem Remix unterzogen und ihn quasi um-komponiert, für Orchester und Elektronik. Das wunderbare Beethovenorchester Bonn spielt und Gabriel spielt selber live die Elektronik. Ich darf das Ganze dirigieren. Genauso wie Beethoven verschiedenste musikalische Stile und Welten in seinem Stück vereint hat, tut es Prokofiev - übrigens der Enkel des großen russischen Komponisten Sergej Prokofiev - in seinem Remix mit modernen Stilen wie Minimalismus, Hip-Hop, Grime, Nord-Afrikanisches Rai, Neo-Klassik, Impressionismus, Ägyptischer Funk, Sufi Zikr, House, Barock oder Elektroakustik. Der Sound ändert sich, die Vision bleibt: „Alle Menschen werden Brüder!“

In der Ankündigung zum Konzert heißt es, dass Beethovens 9. auch gleichzeitig die voluminöseste ist.
Die 9. ist bei weitem Beethoven’s längste Sinfonie. Sie ist über eine Stunde lang. Dazu machen auch am meisten Musiker*innen mit, da ein ganzer Chor und Gesangssolisten mitsingen – das gab es vorher in Sinfonien nie!

Sie arbeiten mit der Deutschen Telekom zusammen. Das Kommunikationsunternehmen aus Bonn ist seit der Corona-Pandemie sehr aktiv, um Konzerte in die deutschen Wohnzimmer zu bekommen.
Ja, das ist ganz toll und total wichtig für die Kulturszene weit über Bonn hinaus. Es zeigt wie ein Großunternehmen sich in einer Krisenzeit für die Kultur einsetzen kann. Ein Vorzeigebeispiel!

Ist es nicht auch irgendwie enttäuschend, dass nur die Deutsche Telekom Klassik in diesem Umfang überträgt. Wäre ein solches Konzert nicht mal als Gegenprogramm im Ersten möglich, wenn das ZDF einen Krimi ausstrahlt?
Einverstanden! Das wäre tatsächlich großartig und richtig. Wie auch Konzerte anderer musikalischer Stilrichtungen! Vielleicht inspiriert das Engagement der Deutschen Telekom ja die öffentlichen Sender und in einigen Monaten wird diese Vision Realität?

Hoffen wir es! Mit der Pandemie und der Verlagerung in den Streaming-Bereich haben Menschen die Möglichkeit, solche Klassik-Übertragungen zu sehen, die vielleicht in unmittelbarer Umgebung eine Oper oder ein größeres Konzerthaus haben oder sich einen solchen Abend nicht leisten können.
Ja, absolut, da tut sich vieles und eröffnet auch neue Möglichkeiten. Ich denke auch, dass die Klassikwelt in naher Zukunft neue spannende audio-visuelle Formate entwickeln wird - beispielsweise unter Einbezug von Musikvisualisierungen -, welche Streamingangebote zusätzlich bereichern werden. Bis hin zu Virtual Reality oder Augmented Reality!

Ronja von Rönne schrieb vor einigen Jahren, dass man überspitzt sagen könnte, dass auf dem Land das Hochgefühl der Kultur das jährliche Laienschauspiel des Sportvereins sei.
Na klar! Ich bin ein großer Fan von kultur und kreativität mit kleinen „k’s“, jenseits der sogenannten Hochkultur. Stattdessen Hochgefühle von kultur und erfüllende kreativität im Alltag, täglich, stündlich – und selbstverständlich auch im Laienschauspiel, im Laienorchester oder -chor. Oder im Sportverein.

Kommen wir noch mal zurück zum Live-Streaming. Hoffentlich ist bald der Besuch von Konzerthäusern wieder möglich. Schon früher zog man sich schick an, bügelte sein bestes Hemd, suchte den schönsten Anzug heraus und gab sich Mühe für einen außergewöhnlichen Abend. Stört es Sie nicht, wenn Sie wissen, ein Teil ihrer Zuschauer sitzt in Jogginghose mit der Bierdose vor dem Fernseher?
Nee, im Gegenteil, das finde ich großartig. Das hat wieder mit meiner Leidenschaft für die Transformationskraft von Kultur in verschiedensten Situationen zu tun. Gerne auch in Jogginghose und Bierdose. Es geht ja auch darum, dass Menschen sich wohlfühlen wollen, wenn sie etwas tun. Nicht alle fühlen sich im schönen Anzug wohl! Ich habe auch schon Events mit Klassik im Club veranstaltet – auch weil ich selber gerne in Jeans und Converse auftrete und mit Kolleg*innen und Besucher*innen anschließend an der Bar ein oder zwei Bier trinke.

Sind Sie eigentlich schon geimpft? Oder werden sich impfen lassen?
Ich bin leider noch nicht geimpft aber werde das selbstverständlich tun, sobald ich an der Reihe bin!

Sie haben ja eine fantastische Vita, traten unter anderem beim Lucerne Festival auf, sind Musikkurator beim Festspielhaus in Sankt Pölten und wurden vom Feuilleton regelrecht verehrt. Musik ist also Ihre ganz große Leidenschaft?
Auf jeden Fall, ja. Musik kann die Grenzen der Sprache umgehen und hat die Kraft, Menschen auf einer anderen Ebene zu berühren und Emotionen auszudrücken. Sie ist geheimnisvoll, und dafür brenne ich leidenschaftlich.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Event wird live über den Sender #dabeiTV auf MagentaTV sowie kostenlos bei MagentaMusik 360 ausgestrahlt und steht im Anschluss in der Mediathek von MagentaTV und bei MagentaMusik 360 zum Abruf bereit.
16.04.2021 11:00 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/126224