Eike Adler: 'Wir müssen immer wieder unsere Sensibilität überprüfen'
Eike Adler, ausführender Produzent des UFA Fiction-Formats «All You Need», spricht im Quotenmeter-Interview über den Bedarf diverser Serien auf dem deutschen Markt und fordert, dass man als vermeintlich aufgeklärter Mensch noch immer dazulernen muss.
Herr Adler, vielen Dank, dass Sie sich für das Interview Zeit nehmen. Eine Beziehung in der Zerreißprobe, Schulden, eine Affäre, geplatzte Lebensträume, unerwiderte Liebe. Ganz schön was los in der neuen Serie «All You Need». Warum gibt man dem Publikum gerade jetzt solche mitunter belastenden Themen an die Hand?
Wenn Sie die Serie so beschreiben, dann hört es sich wirklich nach einem drama-lastigen Format an, aber ich glaube, es geht auch um so viel mehr. «All You Need» ist eine Geschichte über Freundschaft, Lebensträume und die Suche nach Liebe und Anerkennung. Dass es auf diesem Weg auch mal Tiefen gibt, kennen wir ja auch aus unserem eigenen Leben und genau das soll «All You Need» auch sein, ein Einblick in das Leben einer queeren WG in Berlin mit Höhen und Tiefen.
Warum betont man eigentlich explizit, dass die Charaktere der Sendung schwul sind? Ist dies einer besonderen Erwähnung wert?
Ich glaube, heute Ja, und hoffe, morgen Nein. Wenn wir beispielsweise in die USA schauen, die mit Formaten wie «Queer as Folk» (2000) oder «Looking» (2014) bereits viele queere Formate etabliert haben, sieht es auf dem deutschen Markt doch eher mau aus. Deswegen war es dem Drehbuchautor und Regisseur Benjamin Gutsche und uns als UFA Fiction sehr wichtig, ein Format aus Sicht der Community für die Community zu erschaffen. Endlich soll es auch in Deutschland eine Serie geben, die LGBTQI+ nicht nur mal als Nebenstrang erzählt, sondern in den Mittelpunkt der Geschichte stellt. Und da dies aktuell in Deutschland nicht, wie eben in den USA, erwartbar ist, müssen wir noch laut sein und sagen ‚schaut mal, es gibt uns auch, hier sind wir‘. Ich hoffe aber, dass auf «All You Need» weitere Stoffe folgen und wir irgendwann nicht mehr darauf hinweisen, sondern es selbstverständlich ist, dass die Welt nicht immer nur noch aus einer Perspektive erzählt wird.
Produziert wurde die fünfteilige Serie für die ARD-Mediathek, auch eine lineare Ausstrahlung erfolgt im Mai – allerdings nur im Spartenprogramm ONE. Hat man Angst das eher ältere Publikum des Hauptprogramms zu überfordern?
Die Eigenproduktionen der Mediatheken zielen darauf, einen zusätzlichen Mehrwert zu den linearen Haussendern zu erzeugen. Deshalb war die Frage, wie die Zuschauer:innen des Hauptprogramms unsere Serie finden, nicht wirklich relevant. Dass jetzt zu der ursprünglichen Planung die Serie nur in der Mediathek zu zeigen, auch eine Ausstrahlung auf ONE folgt, freut uns natürlich. Wir glauben aber, gerade in der ARD-Mediathek, das Publikum altersunabhängig zu finden.
Sie haben in Babelsberg und Los Angeles studiert. Wie unterscheidet sich das Studium dort von dem in Deutschland?
Um das vorwegzunehmen, ich habe deutlich länger in Babelsberg als in Los Angeles studiert. Und abgesehen davon, dass es in Brandenburg mehr Seen und in L.A. mehr Pazifik gibt, war es das Autorensystem, was mich in den USA interessiert hat. Ich war während des Studiums in Babelsberg schon sehr von dem System des Writers Rooms angetan, das wir hier bis dato, wenn überhaupt, nur in den Soaps kannten. Aus meiner Sicht bringt dieses kollektive Schreiben, und damit auch die verschiedenen Perspektiven aus unterschiedlichen Lebenswelten, einen Mehrwert für unsere Formate. Doch dieser Unterschied ist in den letzten Jahren zum Glück immer kleiner geworden. Jetzt würde ich vor allem für frische Pazifikluft nach Los Angeles reisen.
Immer mehr deutsche Serien schaffen es mittlerweile auf die weltweite Bühne, aktuellstes Beispiel: «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo». Wandelt sich im Moment die Produktionsweise hin zu einem internationaleren Publikum?
Ich denke, zum einen haben wir in Deutschland eine gewisse Selbstsicherheit wiedergefunden und zum anderen sind durch die neuen Plattformen die Anforderungen auch andere als vor zehn Jahren. Früher gab es zwar auch schon Serien wie «Unsere Mütter, unsere Väter», die ihre internationalen Zuschauer:innen gefunden haben, doch heute gehört es mehr zum System diese direkt für den internationalen Markt zu produzieren. Was ich wirklich begrüße, weil es einem so viel mehr Möglichkeiten bietet, und deswegen freut es mich, dass immer mehr international erfolgreiche Serien aus Israel, Schweden, Frankreich und eben auch aus Deutschland kommen.
Ist «All You Need» auch unter diesen Gesichtspunkten entstanden? Der Name der Serie klingt jedenfalls schon so, als würde man sich nicht ausschließlich auf den deutschen Markt beschränken wollen.
„Alles was du brauchst“ hätte einfach nicht zur Serie gepasst und wäre auch nicht sexy. Aber im Ernst. Was queere Formate angeht, können wir dem internationalen Markt gerade noch nichts vormachen. Deswegen ist «All You Need» erst mal eine Serie für den deutschen Markt. Ein kleines Zeichen von vielen. Was aber nicht heißt, dass wir uns wehren würden, wenn andere Länder an der Serie interessiert sind. Und wenn der englische Titel für das nationale Publikum ein Dealbreaker ist, dann glaube ich, wäre die Serie für diejenige Person sowieso nicht die richtige gewesen.
Zuletzt sorgte Marcus Prinz von Anhalt beim Staffelauftakt für «Promis unter Palmen» für einen Skandal, in dem er die Dragqueen Kathy Bähm homophob beleidigte. Sat.1 ordnete die Szenen in der Sendung nicht ein und postete lieber einen eher halbherzigen Tweet während der Sendung. Welchen Umgang hätten Sie sich mit der Situation gewünscht?
Uns muss bewusst sein, welchen Einfluss die Formate haben, die wir produzieren und damit geht natürlich auch eine Verantwortung einher, aber eben auch eine Möglichkeit alte Ansichten abzulösen. Dieser Verantwortung und den Möglichkeiten müssen wir dringend nachkommen, um die Welt zu einem lebenswerteren Ort zu machen. Deswegen hätte ich mir schon gewünscht, dass dieser Situation ein klares Statement in gleicher Güte entgegengesetzt worden wäre. Also in dem Fall eine Reaktion innerhalb der Sendung.
Wie erklären Sie sich, dass es von Produktions- und Senderseite zu diesem Skandal kommen konnte?
Nicht immer sind die Situationen so eindeutig wie hier und wir müssen immer wieder unsere Sensibilität überprüfen. Das fällt uns gerade schwer, weil wir gerne glauben aufgeklärt und offen zu sein, aber die Realität sieht zumindest unbewusst anders aus. Man kann nicht alles wissen, wir können aber immer etwas lernen. Deshalb glaube ich auch, dass diversere Teams diese vulnerablen Punkte identifizieren, damit diese diskutiert werden können, um daraus eine klare Haltung zu formulieren und zu leben. Da will ich mich auch gar nicht ausschließen und habe bei der Produktion von «All You Need» selbst viel gelernt.
Nun wurde «All You Need» schon vor der Ausstrahlung um eine zweite Staffel verlängert. Hat Sie das für die Sendung besonders gefreut?
«All You Need» war von Anfang an ein Herzensprojekt. Da war ab der ersten Sekunde eine unglaubliche Energie dabei, von Benjamin Gutsche, der UFA Fiction-Produzentin Nataly Kudiabor und der ARD Degeto-Redaktion um Christoph Pellander und Carolin Haasis, die von Anfang an das Projekt unterstützt und gefördert haben. Mit den ersten Büchern, war auch das Team Feuer und Flamme und viele unserer Teammitglieder kommen selbst aus der LGBTQI+ Community und häufig hörten wir ‚na endlich‘. So wurde «All You Need» mehr als nur ein Serienprojekt, sondern auch ein Projekt als erster Schritt zu einer Perspektiverweiterung. Deswegen freut es mich umso mehr, dass «All You Need» jetzt auch einen weiteren Schritt machen kann und dass Christoph Pellander und Carolin Haasis diesen mit uns begehen, noch bevor die erste Staffel on Air ist, ist natürlich ein großer Vertrauensbeweis.
Was waren die Gründe für die vorzeitige Verlängerung?
Am Ende hat «All You Need» durch Authentizität und Erzählweise überzeugt. Benjamin Gutsche ist ein wirklich toller Autor und Regisseur. Er bringt in diese Geschichte auch seine persönliche Sicht und hat es geschafft, dass die Welt der Serie so unglaublich facettenreich ist und die Charaktere sich von Folge zu Folge mehr und mehr aufblättern. Da fällt es allen Beteiligten schwer nach einer Staffel schon aufzuhören.
Wird es in Zukunft noch weitere Formate geben, die Homosexualität in den Mittelpunkt stellen?
Ich kann nur hoffen, dass «All You Need» der Anfang ist und wir in Zukunft die Welt auch aus sehr viel mehr Blickwinkeln sehen und kennenlernen. Dabei würde ich hier gar nicht nur von einer homosexuellen Sicht, sondern von Diversität sprechen, inhaltlich, wie auch vor und hinter der Kamera. Aber da tut sich zum Glück aktuell viel und die UFA beispielsweise hat sich eben dieser Diversität mit der Selbstverpflichtung offiziell verschrieben. Und so hoffe ich, dass wir in einigen Jahren nicht mehr über diese Themen sprechen müssen, sondern sie selbstverständlich sind.
Das Interview erschien erstmals am 4. Mai 2021. Das Erste zeigt die fünfteilige UFA-Fiction-Serie «All You Need», die seit dem 7. Mai in der ARD-Mediathek abrufbar ist, am heutigen Dienstag ab 22:50 Uhr am Stück.