Eine Zwangsräumung mitten in Berlin. Rücksichtslos räumen sich die Möbelpacker förmlich den Weg frei. Eine Familie verliert in Zuhause. Am nächsten Tag liegt der Miethai auf dem Asphalt vor dem Haus. Jemand hat ihn von einem Balkon geschmissen.
Stab
DARSTELLER: Meret Becker, Mark Waschke, Jamila Marques, Sesede Terziyan, Özay Fecht, Daniel Kraus, Timo Jacobs, Tijmen Govaerts, Murat Dikenci, Berit Künnecke, Yvonne Yug He Bormann
REGIE: Norbert ter Hall
DREHBUCH: Katrin Bühling
KAMERA: Richard van Oosterhout
SZENENBILD: Uli Friedrichs
KOSTÜME: Gitti Duchs
SCHNITT: Gesa Jäger
MUSIK: Max van Dusen, Lukas McNallyDamit könnte der «Tatort» auch schon zu Ende sein. Das Schicksal hat zugeschlagen, es hat mal einen der Bösen erwischt. Fertig. Leider ist dies aber nur der Einstieg in einen Film, der in erster Linie erziehen möchte und über seine politische Agenda so etwas wie einen Spannungsaufbau schlicht vergisst zu erschaffen. Stattdessen reden Menschen sehr viel. Und manchmal auch sehr bedeutungsvoll. Aber am Ende ist klar, was zu Beginn des Filmes bereits gesagt wird: Die Mietsituation in Deutschland ist bescheiden und gerade in den Großstädten ist die Lage dramatisch. Das ist keine neue Erkenntnis, es ist die bittere Wahrheit. Das kann man sicher auch in einem Kriminalfilm thematisieren. Man kann es aber auch sein lassen, wenn die einzige Botschaft, die es zu verkünden gibt, lautet: „Schlimm, schlimm, schlimm“. In graublauer Tristes rumpelt die Geschichte vor sich hin, in der die Kommissare Karow (Mark Waschke) und Rubin (Meret Becker) versuchen zu ergründen, wer denn Cem Ceylan (Murat Dikenci) vom Balkon geschmissen hat. Dass sie sich zunächst auf die Familie, die gerade ihre Wohnung verloren hat, einschießt, ist verständlich. Die hätten schließlich mehr als nur ein Motiv. Doch schnell wird klar, dass der Kriminalfall die Macher dieses «Tatortes» gar nicht wirklich interessiert. Dass der Familienvater, der bei der BVG als Busfahrer arbeitet, kaum der Mörder sein wird, ist von Anfang an klar. Es wäre zu offensichtlich. Problem: Dadurch kommen nur ein belgischer Mieter in Frage, der den Rausschmiss gefilmt hat und einen Kleinkrieg mit den Ceylans führt. Und eine Mieterin, die als alleinerziehende Mutter bald vor dem Rausschmiss steht. Mehr Verdächtige gibt es nicht, da die Geschichte überhaupt und zu keinem Moment Interesse aufbringt, so etwas wie Wendungen, Verdächtigungen, echte Motive zu kreieren. Okay, Motive haben die genannten Personen schon. Cem Ceylan war ein Drecksack, der schöne Häuser gekauft und dann mit miesen Tricks (energetischen Sanierungen) die Mieten durch die Decke gepustet hat. Dass er ganz nebenbei auch noch das Umzugsunternehmen besitzt, das dann die Menschen aus den Wohnungen holt und dessen Geschäftsführer wegen Totschlags im Gefängnis saß, wo er kein besserer Mensch geworden ist... Ja, dieser Cem ist wirklich keiner der guten Jungs (gewesen).
Nun ist das Thema als solches wirklich hoch aktuell und brisant. Es schreit förmlich nach Tränen, Gewalt, Verzweiflung. Nach einer Inszenierung, die unter die Haut geht, die vor Härten nicht zurückschreckt. Eine Inszenierung, die Opfer auf Cem Ceylans Grab tanzen lässt, die Wut ausbrüllt, die die wahre Gegenwalt auftreten lässt - sprich die Anwälte der Abzocker, die sich hinter ihren Gesetzen verkriechen und „doch nur ihre Arbeit tun“. Solch ein Thema braucht Emotionen, die an den Eingeweiden fressen. Stattdessen bietet die Inszenierung biederes, kriminalistisches Vorabendtheater, in dem die Figuren brav ihre Dialoge aufsagen, während sich die Story saft- und kraftlos müht, irgendwie die Spielzeit mit Handlung zu füllen. Und damit niemand vergisst, dass dies eine moralische, pädagogisch wertvolle Geschichte ist, die ein aktuelles Thema behandelt – werden zwischendurch noch Bilder echter Obdachloser in die Geschichte eingefügt. Was irgendwie zynisch wirkt, fast so, als wüsste die Geschichte, dass sie es aus sich heraus nicht packt Dramatik zu verkaufen – und daher auf diese Bilder zurückgreifen muss.
Es ist nicht so, dass es nichts Positives zu sagen gäbe. Da sind die Konflikte zwischen den Kommissaren Karow und Rubin. Während Karow den Fall kühl annimmt und nicht an sich heranlässt – er macht seinen Job -, verspürt Rubin durchaus Sympathie für die Betroffenen. Vor allem zum Ende hin ist sie sogar bereit … etwas zu tun, was sie als Beamtin nicht tun darf. Was sie in diesen Moment menschlich wirken lässt und der Inszenierung jene Emotionalität verleiht, die diesem Film ansonsten fehlt, wenn die Inszenierung Emotionalität behauptet, aber eben doch nur moralisch erhobene Zeigefinger präsentiert.
Nicht uninteressant ist auch der Handlungsstrang um die Schwester des Toten, Yeliz Dahlmann (Sesede Terziyan). Sie ist keine böse, hinterhältige Figur. Sie versteht im Grunde nicht, warum man ihrer Familie den Erfolg neidet. Und das ist nicht nur ein Schutzschirm, den sie vor sich aufbaut. Sie versteht es wirklich nicht, denn das Unternehmen hat ihre Mutter gegründet, die als Gastarbeiterin nach Deutschland gekommen ist und sich hier die Knochen kaputt malocht hat. Der Erfolg der Familie basiert auf harter – ehrlicher – Arbeit. Der Konflikt, der sich hier aufbaut, entbehrt nicht einer gewissen Tragik. Hier traut sich die Inszenierung zum Bruch. Wo Cem eine Klischeefigur darstellt, die nun wirklich so eindimensional gezeichnet ist, wie man einen Typen wie ihn nur zeichnen kann, ist Yeliz durchaus ein tragischer Charakter – da sie, so taff sie auch wirken mag, irgendwo auch ihren Halt verloren hat. Was ist sie? Wer ist sie? Es sind diese Momente, die Interaktion der Yeliz Dahlmann mit ihrem Umfeld, die durchaus Tiefe erreichen. Leider bleiben sie kurze Momente, die diesen «Tatort» auch nicht wirklich retten können. Dafür würde er klimafreundlich inszeniert. Kein Scherz. Der produzierende RBB teil mit, «Die dritte Haut» „... wurde als Green Producing entsprechend den offiziellen Nachhaltigkeitskriterien der ARD hergestellt. Dazu gehört u. a. die Umstellung der gesamten Filmproduktion auf Ökostrom, die Erfassung sämtlicher CO2-Emissionen sowie der verstärkte Einsatz von E-Fahrzeugen für Reisen und Transporte. Caterer und Hotels für die Unterbringung von Cast und Crew werden ebenfalls nach ökologischen Kriterien ausgesucht.“ Das ist ja immerhin etwas...
Ausstrahlung: Sonntag, 6. Mai 2021, 21.15 Uhr Das Erste