Anja Reschke: 'Ich würde gerne eine politisch-journalistische Late-Night ausbauen'
Moderatorin Anja Reschke verrät im Quotenmeter-Interview ihren Lieblings-Autor bei «Panorama» und was sie gerne in Zukunft aus dem Magazin machen würde. Außerdem spricht sie über ihre Aufgabe als Journalistin.
Liebe Frau Reschke, vielen Dank, dass Sie sich für dieses Interview Zeit nehmen. «Panorama» ist nun seit 60 Jahren auf Sendung, das Format startete beim Testsender ARD2. Rückblickend hätten doch die wenigsten Menschen gedacht, dass Ihr Format so erfolgreich wird?
Ich denke, dass die Gründer von Panorama schon wussten, dass das Magazin wirklich für Aufmerksamkeit sorgt. Es ist ja tatsächlich nach dem Vorbild der BBC Sendung Panorama entstanden, die es auch bis heute gibt. Einer der alten Granden von Panorama hat in den 60ern mal gesagt, „Die Sendung hat den Sinn, mit Salz die Demokratie schmackhaft zu machen“. Das funktioniert bis heute.
Der frühere Bundeskanzler Helmuth Kohl sagte, «Panorama» hätte nichts mit Journalismus zu tun. Waren solche Aufnahmen für die Kamera von höherer Tragweite als die Floskeln, die viele Minister – sofern Sie einem Interview zustimmen – heute von sich geben?
Nun ich denke dieser Ausschnitt zeigte ganz gut das Verhältnis von Helmut Kohl zu kritischem Journalismus. Und da stand er ja stellvertretend für eine Generation von vor allem konservativen Politikern, denen «Panorama» schon ein Dorn im Auge war. Dass sich Politiker in Floskeln ausdrücken ist letztendlich eine Form der Professionalisierung, weil sie sich nicht angreifbar machen wollen. Unsere Aufgabe als Journalisten ist dann genau, diese Floskeln zu hinterfragen und zu dechiffrieren.
Ihre Redaktion hat in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche politische und gesellschaftspolitische Vergehen aufgedeckt. An welche Geschichten können Sie sich noch besonders gut erinnern?
Oh, das sind wirklich viele. Interessant ist, dass es wirklich Themen gibt, die sich durch 60 Jahre durchziehen. Also «Panorama» hat sich immer schon mit Rechtsextremismus beschäftigt. Zu Beginn mit den Alt-Nazis, die noch in vielen Positionen in der Bundesrepublik saßen, später dann mit den Neonazis. Wir haben auch darüber berichtet, wenn das Thema Rechtsextremismus gerade nicht oben auf der Medienagenda stand. Genauso wie über Thema Sexualität, beziehungsweise die Rollen von Mann und Frau. Das begann Anfang der 60er mit einer sehr umstrittenen Sendung über Verhütung, zog sich weiter über die Debatte um den Paragraphen 218 und reicht bis in die heutige Zeit, wenn es um Frauenquoten oder Gendersprache geht. An großen investigativen Geschichten fällt mir der Skandal ein, dass weltweit auch NS- und Kriegsverbrecher sogenannte ‚Opferrenten‘ aus der Bundesrepublik bekamen. Oder die Rolle Deutschlands im US-amerikanischen Drohnenkrieg und in jüngster Zeit ganz bestimmt unsere komplette Berichterstattung über Cum Ex.
Ihre Redaktion, geleitet von Volker Steinhoff, produziert neben «Panorama» und STRG_F, auch «Panorama – Reporter» und «Panorama 3». Ein fünftes Magazin ist zum 60. Geburtstag aber noch nicht geplant?
Nein, derzeit nicht. Die Panorama Familie ist gut aufgestellt. Aber wir haben, versucht mit der Jubiläumssendung nochmal was ganz anderes zu präsentieren. Wer weiß, vielleicht ergibt sich daraus etwas?
Seit der Corona-Pandemie sind die Reichweiten und Marktanteile wieder gestiegen. Haben die Menschen wieder vermehrt Lust auf politische Einordnung oder bleiben eher so viele Zuschauer nach dem Krimi im Ersten hängen?
Mein Eindruck ist, dass diese Entwicklung sogar schon vorher eingesetzt hat. Wir erleben seit ein paar Jahren, im Prinzip seit 2014/15 eine verstärkte Aufmerksamkeit des Publikums für gesellschaftliche Debatten. Und einen Wunsch nach Einordnung. Da ist ein Magazin wie «Panorama» natürlich im Zentrum des Interesses.
Sie setzen sich oft kritisch mit dem Amazon-Konzern auseinander. Müsste der Gesetzgeber nicht strenger handeln? Also rückläufige Klamotten spenden lassen statt zerstören oder wenn es Gesetze gibt, dann auch Strafen zu verhängen?
Grundsätzlich gilt: Wir sind Journalisten, keine Aktivisten oder Politiker. Daher können und wollen wir keine Handlungsvorschläge machen. Wir können nur Missstände aufzeigen. Wir haben uns in den letzten Sendungen verstärkt mit Arbeitsschutz – vor allem in der Pandemie – bei Amazon beschäftigt. Das ist natürlich ein Thema, bei dem wir immer hinschauen. Die Problematik mit der Herstellung von billiger Kleidung haben wir vor Jahren sehr intensiv bei kik aufgearbeitet.
Bevor Ulrike Meinhof zur RAF ging, war Sie «Panorama»-Autorin.
Manche waren früher radikal und wurden später Außenminister. Bei Ulrike Meinhof war es offenbar andersrum. Sie hat Beiträge für Panorama gemacht, lange bevor sie zur Terroristin wurde.
Unter den weiteren bekannten Autoren waren Stefan Aust, Alice Schwarzer und Peter Scholl Latour. Haben Sie einen Lieblingsautoren in der Vergangenheit gehabt?
Alle drei haben wirklich besondere Beiträge für «Panorama» gemacht, sei es der Abtreibungsbeitrag von Alice Schwarzer oder die Recherchen zur NS-Vergangenheit des damaligen Ministerpräsidenten Hans Filbinger von Stefan Aust. Diese außergewöhnlichen Recherchen haben zum Erfolg von Panorama beigetragen. Wenn ich ins Archiv schaue, mag ich auch immer die Beiträge von Gerhart Bott. Er hatte einen sehr besonderen Sprachstil.
Ihre Moderationstätigkeit bei «Panorama» jährt sich am 19. Juli zum 20. Mal. Haben Sie sich schon Gedanken um Ihre Zukunft gemacht?
Ich habe großen Spaß an unserer Jubiläumssendung, in der wir große Bögen geschlagen haben und Recherchen mal anders erzählt haben. Mehr im Stil einer durchmoderierten Sendung. So eine Form würde ich persönlich gerne ausbauen, sozusagen eine politisch-journalistische Late-Night.
Wie sind Sie und Ihr Team durch die Corona-Pandemie gekommen? Haben wir die meisten Probleme überstanden?
Naja, wie für alle in diesem Land war das keine besonders tolle Zeit. Sich nicht zu sehen, nicht im direkten Kontakt miteinander zu diskutieren, sondern alles immer nur per Video- oder Telefonschalte auszuhandeln war nicht so toll. Ich bin froh, wenn sich das jetzt dem Ende zuneigt.