Bei der Fußball-Europameisterschaft wurde das Bild deutlich: Nicht-Fußball-Fans suchen sich keine Alternative beim Privatfernsehen.
Das deutschsprachige Privatfernsehen steckt in einem riesigen Schlamassel. Seit Jahren fallen die Reichweiten massiv ab, nur über die zeitweisen guten Einschaltquoten können die Fernsehsender noch erfreuliche Pressemitteilungen versenden. Doch am spielfreien ersten Donnerstag der UEFA Euro 2020 konnte ProSieben damit wenig punkten. Die Premiere der dritten «Die Alm»-Staffel war zwar das beliebteste Programm bei den 14- bis 49-Jährigen, aber nur 690.000 junge Zuschauer schalteten ein. Weil so viele Menschen unterhalb von 50 Jahren das lineare Fernsehen meiden, verbuchte ProSieben „gute“ 11,4 Prozent. Nie haben sich weniger Menschen als im Juni 2021 für «Die Alm» interessiert. Vor zehn Jahren verbuchte die zweite Staffel im schlechtesten Fall 0,87 Millionen Werberelevante – aber auf dem 22.15 Uhr-Slot.
Das deutsche Privatfernsehen steht vor einem riesigen Image-Problem. Die jungen Zuschauer – sollte es sie noch geben – wechseln sukzessiv immer mehr zu Das Erste und zum ZDF. Die zwei öffentlich-rechtlichen Vollprogramme haben in den vergangenen zwei Jahren 2,2 Prozent hinzugewonnen, die ProSieben-Gruppe hat diesen Wert verloren. Auch der Konkurrent aus Köln schwächelt. Schlussendlich muss man sagen: Seit 20 Jahren haben sich die Rundfunkgebühren nicht mehr so gelohnt wie heute. Das Programm kommt sowohl bei den zwei großen Aushängeschildern als auch beim YouTube-Netzwerk funk und bei den Mediatheken an.
Seven.One-Geschäftsführer Wolfgang Link und Mediengruppe-RTL-Deutschland-CEO Bernd Reichart sollten dabei drei Strategien im Auge behalten, um die jungen Zuschauer wieder für sich zu gewinnen.
HD-Bezahlung kostenfrei zur Verfügung stellen
Sowohl im Kabelfernsehen als auch per Satelliten-Empfang müssen die deutschen Kunden der Sender nach wie vor einen moderaten Beitrag für die Nutzung der Sender bezahlen. Obwohl jährlich rund sieben Millionen neue Fernseher in Deutschland verkauft werden, sind die Nutzungszahlen verschwindend gering. Deutschland hat weit über 41 Millionen Haushalte, wovon fast 15 Millionen per Satellit den Dienst nutzen. Bei der letzten Veröffentlichung der Nutzerzahlen vor vier Jahren gab man an, dass etwa zwei Millionen Menschen für HD-Fernsehen zahlen. Lediglich 85 Prozent der Zuschauer sehen Privatfernsehen in mieser Qualität, die öffentlich-rechtlichen Sender haben also einen immensen Wettbewerbsvorteil.
Werbezeiten zusammenstreichen & Programm straffen
Fernsehsender wie ProSieben haben zahlreiche tolle Fernsehsendungen im Programm. Aber die elendig langen Werbeunterbrechungen bei «The Masked Singer» und Co, die Sendungen in die Länge ziehen, weil die Programmmacher glauben, es sei eine gute Idee, Sendungen auf vier Stunden aufzublähen, sind kontraproduktiv. Schon längst schlägt «maybrit illner» auf ihrem 22.15 Uhr-Slot das ProSieben-Aushängeschild «Germany’s Next Topmodel». Markus Lanz lockte mit seiner Talkshow am selben Abend von «Die Alm» 0,43 Millionen junge Zuschauer an – aber zwischen 23.15 und 00.30 Uhr. Selbst ohne Fußball-Europameisterschaft muss ProSieben bald befürchten, immer öfter vom «heute-journal» geschlagen zu werden.
Schon vor 13 Jahren wagte der amerikanische Sender FOX einen Versuch: «Fringe» sollte mehr Handlung bekommen und die Werbezeit wurde verkürzt. Das Projekt wurde damals nach einem Jahr abgebrochen. Allerdings handelte es sich lediglich um zwei Sendeplätze, die getestet wurden. «Dollhouse», der andere Testballon, war bereits nach einer Staffel Geschichte. Es wäre an der Zeit, die Werbung so zu gestalten, um nicht mehr die maximalen Regeln heraus zu holen. Klar, das private Fernsehen lebt vom Werbeumsatz, aber wenn die Zuschauerzahlen weiter sinken, verschwindet das Privatfernsehen in die Bedeutungslosigkeit.
Die deutschen Konsumenten haben ein riesiges mediales Angebot. Von Snapchat, Instagram über Netflix, Amazon und DAZN bis hin zu Diensten wie YouTube und Twitch. Obwohl fast jeder Medienmanager den Spruch kennt „Der Köder muss dem Fisch schmecken. Nicht dem Angler.“ wird selten danach agiert. Die zwei deutschen Sendergruppen haben die Ziele die Ausgaben zu kürzen, die Gewinne zu erhöhen, um den Aktienkurs zu steigern und die höchstmöglichste Dividende auszuschütten. Das ist bittere Realität.
Programm herstellen
Seit über 20 Jahren begleitet Quotenmeter die deutschen und amerikanischen Fernsehsender. Wie schon Hugo Egon Balder Ende Juni 2021 anmerkte, ist gerade das Programm von Sat.1 nach dem Jahr 2009 zusammengebrochen. Auch die anderen Fernsehstationen glänzen nicht gerade als Innovationstreiber. So gibt es keine wirklichen Filmexperten bei den Sendern, die auch mal Ware abseits der üblichen Filmpakete, lizenzieren.
Es werden noch nicht einmal Perlen aus dem Archiv entstaubt und neu gesendet. Die ProSiebenSat.1-Gruppe hat «Das Jesus Video» seit sieben Jahren nicht mehr gezeigt, «Die Säulen der Erde» wurde seit acht Jahren nicht mehr gesendet. Lediglich RTL hat zuletzt angefangen, die alten Produktionen in den Sommermonaten zu wiederholen. Gerade ProSieben ist unfassbar unkreativ und es werden stetig die gleichen Sendungen gezeigt. Die dritte Ausgabe von «Darüber spricht die Welt: Die unglaublichsten Hingucker» hat man innerhalb von einem Jahr und einer Woche sechs Mal im Programm ausgestrahlt, drei Mal um 20.15 Uhr.
Fazit: Das deutsche Privatfernsehen ist dem Untergang geweiht. Streaming-Dienste und die öffentlich-rechtlichen Programme spielen in der Bundesliga, sportlich gesehen sind die Privatsender eher ein 1. FC Kaiserslautern.