Annalena Baerbock musste Profil gewinnen, Olaf Scholz durfte keinen Fehler machen und Armin Laschet sollte Schwächen ausbügeln. Haben alle irgendwie auch geschafft, aber echten Erkenntnisgewinn gab es kaum.
„Sagen Sie mal was Nettes übereinander“, lautete eine der letzten Fragen, mit denen Pinar Atalay das erste Kanzlertriell zu Ende bringen wollte. Vermutlich bestand ihr Zweck neben ein paar eher menschlich-persönlichen Kandidateneinschätzungen auch darin, ein paar in den vorigen zwei Stunden hochgekochte Emotionen wieder einzufangen. Das war aber gar nicht nötig. Denn obwohl sich die Parteiprogramme der jeweiligen Kandidaten in zahlreichen Aspekten in durchaus essentieller Art unterscheiden und die TeilnehmerInnen dieser Debatte auch dankbar jede Gelegenheit aufnahmen, um sich inhaltlich von den anderen abzugrenzen, blieb der Ton durchwegs ruhig, freundlich und immer der Sache verpflichtet.
Die Gelegenheiten, um selbst zu punkten und die politischen Gegner ins Abseits zu stellen, waren schließlich schon vor Wochen offensichtlich und von den Beteiligten aller Wahrscheinlichkeit nach umfangreich einstudiert worden: Wähler der politischen Mitte stehen der Linkspartei bekanntlich skeptisch bis ablehnend gegenüber, also ist es für Armin Laschet ratsam gewesen, auf die Möglichkeit eines rot-rot-grünen Bündnisses hinzuweisen, wenn man der SPD oder den Grünen seine Stimme gibt. Ein solches Bündnis gänzlich auszuschließen, ist derweil nicht im Interesse von Olaf Scholz und Annalena Baerbock: Beide brauchen es als potentielle Machtoption. Also kann die Distanzierung nur inhaltlich erfolgen – „Wir verlangen ein Bekenntnis zur NATO“ – und nicht in Form einer vollkommenen Ablehnung.
Dieses Beispiel kann gewissermaßen im Kleinen widerspiegeln, was sich während der gesamten fast zwei Stunden abspielte, in denen Armin Laschet, Annalena Baerbock und Olaf Scholz aufeinandertrafen, aber trotz Unterschieden in der Sache erstaunliche Einmütigkeit präsentierten. Wer nach gegensätzlichen Visionen für Deutschland suchte, war in dieser Sendung falsch, denn dieses Triell war ein Triell der Mitte. Das Klima wollen alle schützen, den menschengemachten Klimawandel leugnet niemand, keiner will einen weiteren Lockdown, niemand eine Impfpflicht. Angesichts dessen, dass laut aktueller Umfragen fast drei Viertel aller Deutschen für eine der drei Parteien stimmen werden, denen die Triellteilnehmer vorsitzen, ist Deutschland ein schier erstaunlich geeintes Land.
Trotzdem wollte Annalena Baerbock (im ureigenen politischen Interesse) die anstehende Bundestagswahl zu einem Richtungsentscheid ausrufen: Der Gegensatz laute „Weiter so“ mit den Parteien der großen Koalition oder ein „Neuanfang“ unter grüner Führung. Laschet und Scholz dagegen präsentierten sich als die Kandidaten des „Läuft doch“, die die negativen Entwicklungen ihrer zwölf bis sechzehn Jahre Regierungsverantwortung immer Aspekten zuwiesen, an denen sie keinen Anteil gehabt hatten.
Wer also auf Spannung gehofft hatte, auf einen politischen Schlagabtausch, bei dem ihm gegensätzliche Grundüberzeugungen über das Zusammenleben in Deutschland präsentiert würden, wird enttäuscht gewesen sein, und wer das politische Geschehen allgemein verfolgt, wird auch keinen großen Erkenntnisgewinn erlebt haben. Wer keine große Veränderung will, der wird sich in diesem Trielldeutschland sehr wohlfühlen.