«Sex Education» Staffel 3 Kritik – Auch ohne Sextherapie und Hauptdarsteller noch unterhaltsam?
Die titelgebende Sexualtherapie ist in Staffel drei ebenso Geschichte, wie der Status der einstigen Hauptdarsteller, die sich nun in einen Ensemble Cast relativ gleichberechtigt einreihen müssen.
Viel hat sich verändert in einem langen Sommer, Otis trägt nun Schnurrbart und ist wie auch die meisten restlichen Rollen merklich gereift. Die Sexualtherapie ist zumindest in dieser Staffel Geschichte und scheint für diejenigen des Ensembles, die seit Beginn der Serie dabei sind und mittlerweile weitestgehend zu sich selbst gefunden haben auch immer unwichtiger. Dem initialen Cast sieht man das Alter von Mitzwanzigern zudem mehr und mehr an, sodass man diesen die Darstellungen als unsichere Schüler immer weniger abnehmen kann. Statt also die titelgebende Sex Education durch die „Klinik“ von Otis und Maeve zu betreiben, finden eine Vielzahl individueller Coming-of-Age-Geschichten statt.
Einerseits mag dieser Kniff der Autoren ein sinnvoller sein. Denn durch das Aufteilen der Erzählung auf einen größeren Cast, gibt es weniger Probleme, die Handlung von rund acht einstündigen Episoden zu füllen, auch wenn durch diese Maßnahme viele liebgewonnene Charaktere in den Hintergrund rücken. Ziel war es hier offensichtlich ein möglichst breites, kulturelles und sexuelles Spektrum abzudecken, sodass insgesamt eine großflächigere Repräsentation stattfindet. Die Einführung dieser neuen Charaktere funktioniert weitestgehend überzeugend, da alle mit ihren eigenen, kleineren oder größeren Problemen und Geschichten bedacht wurden. Die Intention der Autoren, niemanden ausschließlich positiv oder negativ zu zeichnen, sondern individuelle Stärken und Schwächen der Personen aufzuzeigen gelingt äußerst gut, sodass auch beim Zuschauen Zuneigung oder Abneigung für bestimmte Charakter- und Handlungsstränge relativ im Einklang stehen. Die neue Schulleiterin wird hier als Extrembeispiel eingeführt, denn diese durchläuft einen Parkour zwischen gutherzig und hasserfüllt, zwischen progressiv und erzkonservativ und erzeugt trotz im späteren Verlauf klarer Grenzüberschreitungen sowohl Verständnis als auch eine Menge Kopfschütteln.
Was den Sex betrifft, so ist die Serie hingegen mittlerweile vollkommen amerikanisiert, denn dieser findet angezogen mit BH oder aufgeknöpfter Bluse statt und könnte zumindest rein visuell bis auf einige Ausnahmen so auch im amerikanischen Network-TV laufen. Der Dialog schneidet hingegen in die gegensätzliche Kerbe und wird gefühlt seit drei Staffeln immer expliziter, sodass die Autoren hier möglichicherweise einen Ausgleich zwischen visueller Prüderie und imaginärer Obszönität schaffen wollen.
Der individuelle Fortschritt der Charaktere ist indes weitaus höher als der Handlungsfortschritt, denn hier tritt «Sex Education» mit Staffel drei etwas auf der Schwelle. Einige Handlungsstränge sind zudem schon wie in Staffel zwei der Kategorie übertrieben zuzuordnen und können schnell für Augenrollen sorgen. Der Humor und die zahlreichen Good-Feel-Vibes können hingegen in Staffel drei weiterhin hochgehalten werden, was auch den überzeugenden Darstellern zugeschrieben werden kann, denen von Jung bis Alt ihre Rollen sichtlich Spaß zu machen scheinen.
«Sex Education» bricht in Staffel drei gänzlich mit der Prämisse der Sexualtherapie zweier Jugendlicher, auch wenn sich die Autoren hier für die kommende Staffel offensichtlich noch ein Schlupfloch offenhalten wollen. Trotz inhaltlicher und darstellerischer Änderungen, die einige Schwächen nicht verbergen können, wird allerdings auch die dritte Staffel für Fans der Vorgänger wie im Fluge vergehen und aufgrund eines abermals offenen Endes das Warten auf Staffel vier äußerst schwer machen.
Das Review basiert auf der kompletten dritten Staffel «Sex Education». Diese startet am 17. September auf Netflix.
12.09.2021 10:30 Uhr
• Marc Schneider
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