Dr. Stefan Woinoff: ‚«Let’s Love» ist ein guter Ansatz‘

«Love Island»-Moderatorin Jana Ina Zarella ist bei der neuen Datingshow von RTLZWEI als Moderatorin dabei. Paartherapeut Woinoff erzählt, wie sich Paare im Jahr 2021 kennen lernen.

«Let's Love – Eine Hütte voller Liebe»

Das erste Date: Bei «Let's Love – Eine Hütte voller Liebe» dauert es mindestens 24 Stunden. Zwei Singles, die sich vorher nie gesehen haben, ziehen gemeinsam in eine gemütliche Hütte. Sie lernen sich kennen, einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang, ehe sie nach 24 Stunden entscheiden, ob sie das Abenteuer gemeinsam fortsetzen wollen. Drei parallel erzählte Dates mit viel Zeit für Flirt, Romantik, tiefe Gespräche und echte Gefühle: Moderatorin Jana Ina Zarrella präsentiert die wahrscheinlich ehrlichste Datingshow unserer Zeit. RTLZWEI zeigt «Let’s Love – Eine Hütte voller Liebe» ab Herbst 2021, montags bis freitags in der Daytime. Die Dating-Show wird von Bildergarten Entertainment produziert.
24 Stunden mit dem ersten date allein in einer Hütte. Warum ist das Konzept von «Let’s Love» für dich persönlich interessant?
Liebe auf den ersten Blick gibt es nur selten. Die Regel ist: Man kennt sich gut und dann verliebt man sich. Deshalb sind 24 Stunden zusammen ein guter Ansatz, dann verkrampfen die Beteiligten nicht, weil sie glauben, sie müssen schon in der ersten halben Stunde top performen. Sich öffnen, Kennenlernen, Zuneigung und Liebe brauchen Zeit.

Haben Social Media, Dating Portale und Apps es leichter gemacht, einen Partner zu finden?
Bis vor zehn Jahren haben primär Berufstätige Online-Partnerbörsen benutzt, während sich die Jüngeren ganz klassisch real kennenlernten. Seit dem Aufkommen der Dating-Apps suchen alle von 17 bis 70 digital, egal ob feste Partnerschaften oder schnellen Sex – auch viele meiner Patientinnen und Patienten. Die Frage ist dann nur noch, in welchem Teich man fischt, also welche App genutzt wird.

Das ist ein guter Trend. Gerade, wenn man nicht so viele soziale Kontakte hat, können Menschen auf diese Weise jemanden finden, dem sie sonst nie begegnet wären – wenn sie zum Beispiel auf dem Land leben und einsam sind, weil der Mann oder die Frau gestorben ist. Gerade Ältere sollten da noch mehr Hemmschwellen überwinden und sich sagen: Ja, ich darf das, ich trau mich, in den Ring zu steigen.

Also alles wunderbar? Gibt es nicht auch negative Effekte des digitalen Datens?
Natürlich gibt es die. Die Algorithmen matchen keine Menschen, sondern quasi Avatare. Die sind in der Regel etwas aufgehübscht. Das wissen alle, aber die reale Begegnung wird dann trotzdem oft zur Enttäuschung.

Man muss sich klar machen: Die Plattformen sind wie riesige Supermärkte, in denen wir nicht nur Käufer sind, sondern auch als Ware im Regal stehen. Auf einer Party sehe ich die Konkurrenz und kann meine Chancen im Vergleich recht schnell einschätzen. Im Internet sehe ich die Wettbewerber nicht und glaube dann vielleicht, ich bin allein da und habe die große Auswahl. Das ist ein systematischer Fehler, der bewirkt, dass man sich überschätzt.

Die Partnersuche im Netz ist also nicht unbedingt erfolgversprechender als analog?
Oftmals nicht. Ich fände einen Button gut, mit dem man sehen kann: Wer interessiert sich gerade außer mir für diese Frau, diesen Mann? Dann würde ich bei ausbleibendem Interesse oder negativem Feedback vielleicht meinen Auftritt oder die Suchkriterien anpassen. Stattdessen geht man zur nächsten App. Das Digitale befördert einen gewissen Größenwahn, der in einer nicht endenden Suche resultiert.

Welchen Einfluss haben Bildung oder Einkommen auf die Partnersuche?
Meistens suchen Frauen noch immer primär Männer mit Geld, die auch einigermaßen gebildet sind, während viele Männer eher nach jung und hübsch filtern. Neuere Studien im Umfeld von Dating-Apps zeigen aber einen neuen Trend: Danach sind immer mehr Frauen, gerade gut verdienende, bereit Männer zu akzeptieren, die unter ihrem eigenen sozialen Status liegen. Das wäre sehr positiv. Und ebenso, wenn mehr Männer eine Partnerin akzeptieren, die höher gebildet ist und wohlhabender als sie.

Ist also die Debatte um Emanzipation und Gleichstellung Jahrzehnte weiter als die Realität?
Wenn es nicht nur um Sex geht, sondern den Partner oder die Partnerin fürs Leben, sind die Ansprüche klassisch und steigen sogar immer weiter, auf beiden Seiten. Der Selbstoptimierungswahn führt dazu, dass sich immer mehr Menschen als nicht gut genug empfinden und ihr Selbstwertgefühl leidet.

Gibt es Berufe, mit denen man sich leichter tut bei der Partnersuche?
Berufe bewirken Selbstbewusstsein und Selbstbewusstsein hilft bei der Partnersuche. Und insbesondere in der digitalen Sphäre tun sich Menschen mit Medienkompetenz deutlich leichter. Die wissen, wie man sich in Szene setzt, in Bildern und mit Texten. Der typische Ingenieur wiederum kann sehr gut über Fakten reden, aber nur schlecht über seine Gefühle.

Also sind Medienleute schneller erfolgreich, aber bekommen anschließend Probleme, weil es in der Branche viele Narzissten gibt, die nicht so beziehungsfähig sind?
Eine geschickte Selbstdarstellung korreliert praktisch überhaupt nicht mit der Fähigkeit ein guter Partner zu sein. Für Narzissten oder Verliebtheits-Junkies ist die digitale Partnersuche natürlich ideal, weil sie effizient und unverbindlich ist. Generell ist die Medien- und Werbebranche ja sehr auf Jugendlichkeit fixiert. Ich hatte mal einen Patienten aus einer Werbeagentur, Ende 40, der hat gesagt: Mit 50 ist man in der Agentur entweder Chef, leitend, oder man muss gehen. Die älteren Männer dort sind also ständig von der Versuchung der Jugend umgeben. Der hat dieser Patient auch gerne mal nachgegeben. So ein schnelllebiges Umfeld färbt unvermeidlich darauf ab, wie man mit Menschen umgeht und wie beziehungsfähig jemand ist.

Ist die Trennungsrate bei Selbstdarstellern aus den Medien, dem Marketing oder der Werbung höher als in anderen Branchen?
Die Arbeitszeiten in der Medienbranche sind nicht beziehungsfördernd: ständige Verfügbarkeit, auch mal am Wochenende arbeiten. Gleichzeitig wird viel genetworkt, man lernt ständig neue potenzielle Partner kennen. Wer vor der Kamera oder auf einer Bühne steht, trennt sich auffallend oft, die Beziehungen der meisten anderen Kreativschaffenden sind recht stabil. Bei Sales- und Media-Managern liegen die Trennungsraten dagegen über dem Durchschnitt. Das alles zeigen zumindest Zahlen aus den USA. Demnach haben Barkeeper, Flugbegleiter, Bauarbeiter und Callcenter-Agenten die geringsten Chancen, lange mit jemandem zusammen zu bleiben. Stress und lange Abwesenheit sind neben unregelmäßigen Arbeitszeiten die größten Beziehungskiller.

Hat Corona das Verlieben erschwert? Daheimbleiben, Abstand halten?
Nur zum Teil. Eine sehr nette Patientin von mir arbeitet bei einem großen Münchner TV-Sender, und die hat während des harten Lockdowns den Mann fürs Leben gefunden. Viele junge Menschen gehen beim ersten Date gleich miteinander ins Bett und lernen sich erst danach richtig kennen. Diese beiden haben es anders gemacht, die sind ewig lange gemeinsam spazieren gegangen, mit Corona-Abstand. Nur ganz langsam haben sie sich getraut, einander auch körperlich näher zu kommen. Ganz altmodisch. Jetzt sind sie ein Paar.

Ist das ein Tipp, wie man es machen sollte? Langsam angehen lassen?
Ich rate, das erste Treffen nach dem digitalen Kennenlernen nicht Date zu nennen, sondern Seeing. Ein Date ist von der emotionalen Bedeutung gleich so schwer. Man kennt bisher nur den Avatar und lernt jetzt den echten Menschen kennen. Also besser erstmal nur anschauen, Seeing, und wenn man sich dann noch immer sympathisch ist, verabredet man das erste Date.

Können Digital Natives noch klassisch flirten oder nur noch durch das digitale Angebot swipen?
Die Fähigkeit normal zu flirten, bei dem man sich auch gegenseitig die Angst nimmt durch Lächeln, freundliche Gesten und Worte, geht nach meiner Beobachtung tatsächlich mehr und mehr verloren. Schon immer war es schwer, offen auf jemanden zuzugehen, für den man sich interessiert. Frauen fällt das noch schwerer als Männern. Deshalb gab es früher so bekannte Nettigkeiten, die einen niederschwelligen Einstieg in den Flirt erlaubten, wie das von der Dame fallengelassene Taschentuch. Wenn es der Herr aufhebt, gut. Wenn nicht, hat sich die Dame nix vergeben. Wenn ich jungen Frauen und Männern dieses Beispiel erkläre, machen sie große Augen. Diese Formen des subtilen Annäherns, bei denen man keine harte Abfuhr riskiert, geraten leider wirklich in Vergessenheit.

Spiegelt solche Galanterie nicht einfach alte Rollenbilder, die nicht mehr zeitgemäß sind?
Ja, auch, aber einige altmodische Verhaltensweisen sind hoch im Kurs wie nie. Ich gebe meinen männlichen Patienten nur eine Dating-Regel mit: Laden Sie die Frau auf jeden Fall ein, oder bieten Sie es wenigstens an. Beim ersten Date alles 50/50 teilen, das geht gar nicht. Eine Patientin hat zu mir gesagt: Geiz ist noch schlimmer als schlecht im Bett (lacht).

Ist das nicht etwas schizophren? Auf der einen Seite sollen wir tradierte Geschlechterrollen überwinden, aber sich einladen lassen und der Herr hält die Tür auf, das nimmt die Frau gerne mit?
Da muss man sauber differenzieren. Im gesellschaftlichen und beruflichen Miteinander sollte Gleichberechtigung herrschen, in jeder Form. Im Privaten, wenn es um die Rolle als geschlechtliches Wesen geht, stecken wir tief in der Vergangenheit: Da hat der Mann galant zu sein, großzügig und Kavalier, und die Frau darf sich begehrt fühlen und umworben.

Internet, schneller gesellschaftlicher Wandel, neu oder neu sichtbare geschlechtliche und sexuellen Identitäten: Sind klassische, Mann-Frau-Zweier-Beziehungen nicht ohnehin von gestern?
Was die aktuell intensive Beschäftigung mit geschlechtlichen Identitäten angeht: Das halte ich ein bisschen für einen Hype, der wieder abnehmen wird. Nur ein verschwindend geringer Teil der Menschen ist dauerhaft nicht imstande, sich als männlich oder weiblich einzuordnen. Die sexuelle Identität ist bekanntermaßen etwas anderes. Und dann gibt’s ja auch noch Trends wie die Polyamorie. Nach meiner Erfahrung suchen die weitaus meisten von uns noch immer nach der romantischen Liebe mit einem einzigen Menschen. Das Bedürfnis nach Einzigartigkeit und Exklusivität in der Liebe und Partnerschaft ist sehr stark, und das spiegelt ja auch «Let’s Love».
09.10.2021 12:00 Uhr  •  Sebastian Schmitt Kurz-URL: qmde.de/129827