111 Millionen Abrufe in den ersten vier Wochen können nicht irren: «Squid Game» ist der erfolgreichste Serien-Neustart bei Netflix. Dennoch sind nicht alle Kritiker vollends überzeugt.
Eigentlich dürfte nach dem Phänomen K-Pop und dem überraschenden Oscar-Gewinner von 2020 «Parasite» niemanden mehr überraschen, dass Pop-Kultur aus Südkorea gut beim Publikum ankommt. Nun hat Netflix trotzdem für eine Überraschung gesorgt und sich dabei sogar selbst verblüfft, wie Ted Sarandos, Co-CEO und Chief Content Officer von Netflix, bei der Code Conference von Vox Media zuletzt zugab: „Wir haben das im Hinblick auf die weltweite Popularität nicht erwartet.“ Gemeint ist natürlich die derzeit bei Netflix äußerst beliebte Serie «Squid Game», die nun laut Angaben des kalifornischen Streamers offiziell die Serie «Bridgerton» als beliebtester Neustart abgelöst hat.
Die erste Staffel der Shonda-Rhimes-Serie wurden in den ersten 28 Tagen nach der Veröffentlichung stolze 82 Millionen Mal angeklickt. Netflix wertet wie üblich seine Aufrufzahlen mit der Prämisse aus, dass die Sendung mindestens zwei Minuten geschaut werden muss. In den ersten vier Wochen nach dem Start am 17. September zählte «Squid Game» 111 Millionen Abrufe. Die Serie führte zwischenzeitlich die Netflix-Charts in 90 Ländern an, darunter Japan, Pakistan, Polen, Deutschland, Ägypten, Guatemala und die USA. Dazu sollte man nicht vergessen, dass die Abonnentenzahlen von Netflix stetig wachsen, ergo ergibt sich eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass ein Titel häufiger als in der Vergangenheit abgerufen wird.
Die Thriller-Slasher-Serie stammt vom Drehbuchautor und Regisseur Hwang Dong-hyuk, zu dessen Credits die Spielfilme «My Father», «Silenced» und «Miss Granny» gehören. Die ersten beiden Filme lassen sich ins Genre des Sozialdramas einordnen, während «Miss Granny» eine Abkehr davon ist und eher eine Komödie ist. Bei der Filmvorstellung sagte der Regisseur daher: „Mit «My Father» und «Silenced» schien ich immer Sozialfilme mit dunklen Themen zu machen, aber in Wirklichkeit bin ich ein lustiger Mensch. Dieses Mal wollte ich wirklich einen fröhlichen und leichten Film machen.“ Im Jahr 2017 widmete sich Hwang einem mächtigen Thema. Er verfilmte mit «The Fortress» Kim Hoons Roman „Namhansanseong“, ein Historienfilm über die zweite Invasion der Mandschu in Korea im Jahr 1636.
Mit «Squid Game» kehrte Hwang gewissermaßen zu sozialkritischen Erzählungen zurück. Die Serie erzählt die Geschichte einer Gruppe von Teilnehmern, die sich bereit erklären, an einem mysteriösen Überlebensspiel mit einem Gesamtpreis von 45,6 Milliarden Won (rund 33 Millionen Euro) teilzunehmen. Das Spiel umfasst Hunderte von Teilnehmern, die traditionelle Kinderspiele spielen, wer verliert, wird grausam exekutiert. Hwang hatte die Idee zu «Squid Game» auf der Grundlage seiner eigenen wirtschaftlichen Kämpfe in seinem frühen Leben sowie der Klassenunterschiede innerhalb Südkoreas entwickelt. Das Drehbuch verfasste er bereits 2008, damals fand er jedoch kein Produktionsstudio, um die Serie umzusetzen. Erst als Netflix seine internationale Expansion vorantrieb, fand er Zulauf. Netflix bemühte sich vor zwei Jahren um die Serie.
Neben den nackten Zahlen überzeugte die Serie auch viele Kritiker – wenn auch nicht voll und ganz. John Doyle von The Globe and Mail beschrieb die Serie als „eine mutige, dunkle, ehrgeizige Geschichte, manchmal bewegend und manchmal erschreckend“ und fügte hinzu: „Ihre Kraft liegt darin, zu verstehen, dass Geld Überleben bedeutet. Dies ist keine dystopische Fantasie wie Tribute von Panem. Das ist das heutige Leben in all seiner komplexen Schrecklichkeit.“ Etwas sachlicher besprach CNNs Brian Lowry «Squid Game». Er schrieb, dass die Reihe „eine visuell fesselnde Variation von Themen präsentiert, die schon oft zuvor gesehen wurden, darunter das Abgrasen der Klassenunterschiede – und die Reichen, die im Wesentlichen die Armen und Mittellosen ausbeuten – in einem Moment, in dem das Publikum möglicherweise mehr empfänglich für diese Botschaft ist."
Weniger lobende Wort fand Mike Hale, TV-Kritiker für ‚The New York Times‘. «Squid Game» sei für ihn ein „völlig traditionelles und gründlich vorhersehbares ... Melodrama" mit „auffälligem“, aber „nicht besonders interessantem ... Produktionsdesign und Kostüm“. Er war auch der Meinung, dass der „Vorwand der zeitgenössischen sozialen Relevanz" der Serie ihre „mehr als leicht widerliche“ Gewalt nicht rechtfertigen könne, und hielt ihre Charaktere für „flache Ansammlungen von Familien- und Schlachtfeld-Klischees“. Auch Vincent Henssler vom ‚Spiegel‘ machte die Schwächen der Serie deutlich: „Die viel zitierte Kapitalismuskritik ist zwar über kulturelle Grenzen hinweg verständlich, aber weder besonders subtil noch allzu neu. Die Problematik der wachsenden sozialen Ungleichheit lässt sich global kommunizieren, garantiert jedoch keinen Streaming-Hit. Und stilistisch ist «Squid Game» oft schmal, die Dialoge etwas zu gestelzt, die Protagonisten eindimensional.“ Er fügte aber an, dass man mit dem Betrachten der Spiele über die Schwächen hinwegsehen könne, da die Serie in den besten Momenten „wie ein Fiebertraum“ wirke, der „die Zuschauer mit aller Macht in das dunkle Paralleluniversum einer bisher unbekannten Kindheit zurücksenden“ wolle. Die «Squid Game»-Ästhetik – im Ambiente einer bonbonbunten Teletubbies-Welt (‚Tagesspiegel‘) – berge dazu einen starken, globalen Wiedererkennungswert, so Henssler.
Alles in allem fiel die Resonanz sehr positiv aus. Auf der Kritiker-Plattform ‚Rotten Tomatoes‘ kommt die «Squid Game» auf ein Rating von 92 von 100 Prozentpunkten. Der sogenannte „Average Audience Score“ weißt 85 Prozentpunkte aus. Bei ‚Metacritic‘ lässt sich erahnen, dass nicht jeder zufrieden mit der Serie ist, zwar sind die bisher abgegebenen Kritiken „generell positiv“, der durchschnittliche Wert liegt jedoch
nur bei 69 von 100 Punkten. Alle positive Kritik ist für Netflix zwar schön und gut, doch was zählt, ist letztlich, was dabei rumkommt – und das ist wohl noch schöner und besser. Netflix zahlte 21,4 Millionen US-Dollar für die neunteilige Serie. Laut ‚Bloomberg‘, das am Wochenende vertrauliche interne Daten zitierte, die ein Netflix-Mitarbeiter leakte. Demnach werde «Squid Games» mehr als das vierzigfache davon einspülen – 891 Millionen US-Dollar. Netflix nennt dies „Impact Value“. Die firmeneigene Messgröße ist ein Maß für den wirtschaftlichen Beitrag eines Titels zu Netflix basierend auf der Wiedergabe durch Abonnenten.