Es lebe die VHS-Kassette! Es lebe die Videothek!

Die ersten Videotheken veränderten Anfang der 1980er Jahre die Sehgewohnheiten des westdeutschen Fernsehpublikums. Nicht mehr ARD und ZDF bestimmten monopolistisch darüber, was auf deutschen Fernsehbildschirmen lief und was nicht. Nein, erstmals gab es eine Alternative. Der Gamechanger war – die Videokassette!

Im Jahr 1980 erschienen in Deutschland 716 Spielfilme auf VHS. Und fast ausnahmslos handelte es sich dabei um B- und C-Titel. Große Klassiker blieben den Videothekenbesuchern ebenso vorenthalten wie aktuelle A-Produktionen. Dem Videomarkt haftete der Geruch des Schmuddeligen an. Das, was dort in den Regalen stand, nannte die etablierte Filmkritik in der Regel Schund; manch ein Bedenkenträger sah gar das Ende der televisionären Kultur gekommen, obschon die bereits als Bastard des Kinos galt. Und Jugendschützer ergriff schon bei der Erwähnung des Wortes „Videothek“ pures Entsetzen, denn 1980 bestand das Filmrepertoire einer durchschnittlichen Vorstadtvideothek zu sage und schreibe 80 Prozent aus Hardcorepornos, Erotikfilmen und Rammelkomödien á la «Drei Schwedinnen auf der Reeperbahn». Es ist demnach nicht falsch zu behaupten, dass der Porno maßgeblich die Verbreitung des Videorekorders in deutschen Wohnstuben angefacht hat. Natürlich ließen sich mit Rekodern endlich auch Filme aus dem Fernsehen aufnehmen. Aber so ein kleiner erotischer Kunstfilm zwischendurch?

Die Literatur terminiert die Gründung der ersten Videotheken auf das Jahr 1977 in den USA. Zu dieser Zeit verlieh der Video-Film-Shop in Kassel jedoch schon seit zwei Jahren Filme. Allerdings nahm der seine Arbeit mit dem Verleihen von Spielfilmen auf Super-8 auf.



Die ersten „Videokassettenvideotheken“ öffneten rund ein Jahr nach dem Start in den USA auch hierzulande ihre Pforten. Der sensationelle Erfolg der ersten Läden zog Kreise. In allen Städten des Ruhrgebiets etwa gab es Trinkhallen, die neben Dosenbier und Gummibärchen Videos zur Ausleihe anboten; in eher ländlichen Regionen reservierten Tante-Emma-Läden oder Tankstellen Regale für Filmfreunde. Gleichzeitig verfielen die Preise für Videorekorder. Schlug ein VHS-Rekorder um 1980 mit rund 2500 Mark zu Buche, bot Tchibo 1982 das erste Gerät für unter 1000 Mark an (um genau zu sein, kostete es 998 Mark). Kurze Zeit später folgten die Versandhäuser Neckermann und Otto mit kostengünstigeren Geräten. Die hatten zwar nicht immer den besten Ruf, aber sie machten das Videovergnügen erschwinglich. Auch auf dem Aufnahmekassettenmarkt tat sich einiges. Kosteten Aufnahmekassen 1980 um die 50 Mark pro Stück (bei drei Stunden Laufzeit!), gingen die Preise schnell auf 20 oder 25 Mark (je nach Hersteller) runter. Das waren zwar immer noch keine Schnäppchen, der Spaß wurde allerdings erschwinglich. In viele Haushalte zog dann auch der zweite Rekorder ein → um Filme kopieren und im Freundeskreis verleihen zu können. Das war natürlich verboten, kümmerte die meisten Filmfans aber relativ wenig. Es lohnte sich ganz einfach, denn die Leihgebühren waren hoch. Da kostete um 1981 ein Film gerne mal 20 Mark in der Ausleihe. Zwar für mehrere Tage, aber günstig war das nun wirklich nicht - und ein Originalfilm schlug richtig ins Kontor. Um die 150 Mark durfte man da auf den Tisch legen. Da lohnte sich ein großer, dem Filmkonsum huldigender Freundeskreis ...

Die Filmfreunde profitierten außerdem von einer sich immens schnell verändernden Verleihkultur. Stellten Sexfilme 1980 noch 80 Prozent aller Verleihtitel dar, waren es 1983 nur noch 12 Prozent. Dem Sex folgten vor allem Horrorfilme und Eastern. Billige Hongkong-Ware, kostengünstig produzierte Horror- und Splatterfilme: Die typische Vorstadt- und Bahnhofskinoware der 1970er Jahre verlagerte ihren Auswertungsschwerpunkt auf die Videotheken und bot das perfekte Kontrastprogramm zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Das Fehlen von Informationsquellen, wie sie das Internet heute in großer Zahl bietet und welche selbst über abseitige Titel Kritisches zu berichten wissen, gab es nicht. Man lieh sich aus, was mit einem knalligen Cover warb oder mit Sex, Gewalt und guter Laune das ganz große Abendvergnügen versprach.

Beta vs. VHS


Wer in dieser Zeit ins Filmlizenzgeschäft einstieg und in der Lage war, einen professionellen Verleih auf die Beine zu stellen, verdiente sich schnell eine goldene Nase. Das Publikum gierte nach dem neuen Medium und seinen Bewegtbildangeboten. Argwöhnisch beäugt wurde diese Entwicklung nicht nur von Jugendschützern, auch innerhalb der Filmbranche war man über diese Veränderung des Konsumverhaltens nicht glücklich. Oder, um dies zu präzisieren: Es waren die großen Studios, die mit dem Videothekenmarkt fremdelten und ihr Erfolgsmodell „Kino“ gefährdet sahen. Bereits 1978 hatten die Universal Studios eine Klage gegen Sony eingereicht. Sony war Patenthalter des sogenannten Betamax-Videosystems. Universals Begründung: Videorekorder seien in der Lage, illegale Kopien urheberrechtsgeschützter Bewegtbilder aufzunehmen. Explizit bezog sich die Klage zwar auf im TV ausgestrahlte Sendungen, hätte Universal gewonnen, hätte dies aber auch massive Auswirkungen auf den Videothekenmarkt gehabt. Die Klage zog sich allerdings über sechs Jahre hin und so wurden in dieser Zeit Fakten geschaffen. Dass Sony 1984 vor Gericht gewann, ging ebenso unter wie das Beta-Videosystem. Zwar wird heute noch von Videofans gerne und oft darauf hingewiesen, dass Beta VHS (das 1976 vom japanischen JVC entwickelt worden ist) in Ton und Bild überlegen gewesen ist. Offiziell aber konnte VHS den Formatkrieg gewinnen, da das Wiedergabesystem eine kompaktere Bauweise der Geräte ermöglichte. Inoffiziell lag es wohl eher daran, dass es kaum Pornos auf Beta gab, da Sony dies blockierte. Das deutsch-niederländische Video2000-System blieb ein Außenseiter, der im weltweiten Kampf der Systeme nur eine Nebenrolle spielte.

Das erste große Studio, das sich mit einem eigenen Label auf den Markt wagte, war Warner 1981. Es dauerte allerdings bis etwa 1984, bis alle anderen großen Studios nachgezogen waren.

Der deutsche Sonderweg


Die Entwicklung des Videothekenwesens ist in Ländern wie Frankreich, Italien, Dänemark, Großbritannien oder den USA in dieser Frühphase nicht großartig anders verlaufen. Auch dort waren es vorwiegend aus heutiger Sicht kleinere Verleiher, die den Markt in diesen Jahren beherrschten. Und wie in Deutschland schossen auch dort die Videotheken aus dem Boden. Hier wie dort fanden im Laufe der 80er Jahre verschiedene Konsolidierungen statt. Mit dem Eintreten der großen Studios in den Verleih veränderte sich das Spielfilmangebot gewaltig. Auf dem Videothekenmarkt selbst trat eine Professionalisierung ein. Filialisten verdrängten die Vorortvideotheken, Einzelkämpfer schlossen sich wiederum Einkaufsgemeinschaften an und nutzten fortan deren Logos.

In Deutschland jedoch erfuhr dieser Markt 1984 eine Zäsur, denn es traten die üblichen Bedenkenträger auf den Markt. Ein Beispiel aus einem Artikel des Spiegels aus dem Jahr 1982: „Die Flut von Sex, Horror und Gewalt auf dem Cassetten-Markt alarmiert die Jugendschützer. 744 Filme sollen indiziert werden, die Video-Branche plant eine Freiwillige Selbstkontrolle. Rudolf Stefen, Chef der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPS), hat sich schon manch einer Schlammflut entgegengestemmt. [...]. Er hat diverse Fick-Paraden abgeblasen, die supergeile Doris, Dralle Po-Backen und [andere] unter den Ladentisch verbannt. Was die Bonner Jugendschützer auf ihren Index setzen […], darf öffentlich nicht zur Schau gestellt und nur an Erwachsene über 18 Jahre ausgehändigt werden.“ Am 23. August 1982 berichtete das Hamburger Magazin über den Videothekenkult mit exakt diesen Worten! Die Fokussierung auf Filme, die eher den Trieb und nicht den Geist ansprechen mögen, sagt einiges über die Wahrnehmung der Videothekenkultur aus der Perspektive des deutschen Bildungsbürgertums aus. Der etabliere Kultur- und Publizistikbetrieb rümpfte halt die Nase.

Der Spiegel-Artikel ist aber noch harmlos im Vergleich zu jenem wahren Schund, den das ZDF am 1. März 1984 ausstrahlte: «Mama, Papa, Zombie». «Mama, Papa, Zombie» ist ein an publizistischer Tieffliegerarbeit nicht zu unterbindendes Pamphlet der Lächerlichkeit. Die Macher dieses „Filmes“ (man muss das Wort in Anführungszeichen setzen, denn jeder ernsthafte Filmemacher würde sonst ob dieser Wortwahl beleidigt), haben Zeugen gesucht, die ihnen bestätigt haben, dass Videofilme die Zuschauer in hirntote Sabberbratzen verwandeln, die unweigerlich nach dem Konsum von Gewaltfilmen zu Gewalttätern werden. Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich die Medienpädagogik seit 1984 weiter entwickelt hat und viele Wirkungsmechanismen von Filmen bis dato nicht wirklich erforscht waren, muss konstatiert werden, dass die Kausalkette, die diese Bewegtbildverschwendung seinerzeit aufgestellt hat, bereits 1984 vollkommener Unsinn gewesen ist: Auch 1984 gab es bereits sehr differenzierte Arbeiten über das Medienkonsumverhalten von Jugendlichen und die Wirkung etwa von Gewalt im Film auf diese Gruppe. Diese Arbeiten aber interessierten die Macher nicht, denn das hätte ja nicht zu ihrem Narrativ „Zombie“ gepasst.

Man findet diese Doku auf YouTube. Sie anzuschauen ist eine Strafe, man möchte sich nach dem Konsum die Augen mit Brennspiritus auswaschen. Leider fand dieser von einer Mission getriebene Mist offene Ohren, denn vor dem Hintergrund der geistig-moralischen Wende wurde dieses Pamphlet der Liederlichkeit nun zum Kronzeugen all derer, die dem bunten, ungezügelten Treiben auf dem Videomarkt eh skeptisch gegenüberstand. Sie lieferte den Beweis, auf den die besorgten Bürger jener Zeit nur gewartet hatten: „gewalttätige Filme erzeugen gewalttätige Menschen“. Ohne einen einzigen haltbaren wissenschaftlichen Beweis, ohne einen einzigen haltbaren statistischen Befund, basierend auf billigsten Stammtischgerede erzeugte diese Aneinanderreihung von sich zufällig bewegenden Bildern eine Meinung, die teilweise bis heute nach halt. Es ist unbestritten, dass Kinder keine Filme mit an Glockenseilen baumelnden Zombies oder aus Bäuchen herausplatzenden Gewürm sehen sollten. Das war 1984 wahr. Das ist es heute. Genauso wie die Tatsache, dass verbotene Früchte die leckersten Früchte sind und dass Medienerziehung begleitend stattfinden muss. Die Medien sind da. Sie aus dem Verkehr ziehen zu wollen, macht sie nur noch interessanter. Kinder müssen lernen, mit ihnen verantwortungsvoll umzugehen.

Doch Medienerziehung sah 1984 wie folgt aus: Es wurde Alarm geschlagen und der Videomarkt reguliert, die ganz wilde Zeit war vorbei. «Mama, Papa, Zombie» für diese Regulierung alleine verantwortlich zu machen, wäre zu viel der zweifelhaften Ehre. Diese sogenannte Doku war vielmehr der letzte "Beweis", auch dies muss in Anführungszeichen gesetzt werden, den es zu erbringen galt, um belegen zu können, dass Videotheken böse waren.

Umgebracht hat dies den deutschen Videomarkt nicht. Durch seine gleichzeitig Mitte der 1980er Jahre stattfindende Professionalisierung entwickelte sich sogar ein breiter gefächertes Angebot. Unterm Strich wuchs der Markt sogar.

Dennoch hat dieser Eingriff Folgen gehabt, nämlich auf die Entwicklung des Originalfilm-Verkaufsmarktes hierzulande. Solch ein Markt entwickelte sich Ende der 1980er Jahre auf breiter Front in den USA und auch Großbritannien. Dort sanken die Preise für Originalfilme irgendwann auf ein Niveau, dass sie für Filmfans interessant machte, die ihre Lieblingsfilme endlich auch legal besitzen wollten. Also begannen auch Kaufhäuser mit Videofilmen zu handeln, das Angebot wuchs, Preise fielen, es wurden mehr Filme verkauft, es begann ein reger Handel mit Originalkassetten. In Deutschland jedoch startete dieser Markt erst mit sechs, sieben Jahren Verspätung durch, statt dessen führte hierzulande die Raubkopie noch sehr lange ein sehr gesundes Leben. Warum? Das lässt sich leider nur vermuten, da es an Untersuchungen mangelt. Aber: Es ist auffällig, dass sowohl im Vereinigten Königreich als auch den USA drei Genres dem Kaufvideo den Weg ebneten: Action, Horror, Scifi. Zwei davon, Action und Horror, waren in Deutschland sehr oft jedoch aufgrund der strengen Jugendschutzbestimmungen, die seit 1984/85 galten, nur in gekürzten Varianten erhältlich. Warum sollte sich so etwas ein Filmfan ins Regal stellen? Zwar begann um 1990 auch hierzulande das Interesse an Kauffilmen zuzunehmen, doch anfangs waren es eher Familien- und Kinderfilme, die ihren Weg in die Wohnstuben fanden. Erst Mitte der 90er konnten auch in deutschen Landen Filmfans auf breiter Front auf Kauffilme fürs heimische Regal zugreifen: Es waren vor allem junge, progressive Verleiher wie die Kinowelt oder VMP, die diesen Markt aufmischten. Verleiher, die heute schon wieder vergessen beziehungsweise in anderen Produktionsbetrieben aufgegangen sind.

Doch zurück zu den Videotheken, deren wildeste Zeiten im Grunde um 1990 endeten. Nach Jahren des Ausprobierens und auch schneller Profite (und Pleiten), hatte sich ein professioneller Markt mit professionellen Strukturen entwickelt. Dass es hinter den Kulissen des Videothekengeschäfts oft mit harten Bandagen im Kampf um Marktanteile zuging, sei nur am Rande erwähnt, denn davon bekamen die Filmfans nichts mit. Stattdessen öffneten sich vor allem in großen Städten Videotheken ab 1990 auch thematisch neuen Publikumsschichten. So zogen ab Anfang der 1990er Jahre zum Beispiel Arthausfilme in die Videotheken ein oder englischsprachige Originalfilme. Diese mögen zwar immer Nische geblieben sein und fanden ihr Publikum vorwiegend in großen (Uni-)Städten, die Videothek als solche wurde jedoch familienfreundlicher. Reine 18er-Videotheken, die nur erwachsenen Kundinnen und Kunden einen Zutritt gewährten, verschwanden Anfang der 90er Jahre weitestgehend. Vielmehr war es bald Usus, Videotheken in zwei Teile zu trennen. In einen offenen Bereich und einen (von Außen nicht einsehbaren) 18er-Bereich. Die kleinen Schmuddelvideotheken gingen, von Ausnahmen hier und da, endgültig den Weg allen Daseins, lediglich in den Ländern der ehemaligen DDR gab es für zwei, drei Jahre Anfang der 90er so etwas wie eine Renaissance des Schmuddeligen. Das Publikum gierte nach allem, was Staats- und Parteispitzen ihnen vorenthalten hatte, hier wartete das schnelle Geschäft, das manch ein Profiteur schnell mitnahm. Dann aber beruhigte sich der Markt auch hier und professionalisierte sich. Wer demnach heute vom Goldenen Zeitalter der Videothek spricht, meint damit in erster Linie die 1980er Jahre im Westteil der Republik.



Dass die Videotheken noch einmal einen Booster erfahren sollten, ist der Einführung der DVD um das Jahr 2000 zu verdanken, die das Filmangebot sprunghaft in die Höhe schnellen ließ. Mit den fallenden Preisen für Kauf-DVDs aber schwand diese neu entfachte Euphorie einige Jahre später auch schon wieder.

Als letzter Film, der auf VHS erschienen ist, wird David Cronenbergs «A History of Violence» 2006 genannt. Schon wenige Jahre später waren VHS-Titel aus den meisten Videotheken verschwunden, ihren Platz haben digitale Bildtonträger eingenommen.

Heute sind Videotheken vom Aussterben bedroht. 2019 gab es in Deutschland zwar noch überraschende 345, ihre Zahl ist jedoch fallend. Erst waren es die immer günstiger werdenden DVDs, die ihnen das Wasser abgedreht haben – warum sich einen Film ausleihen, wenn er im Sonderangebot für 7,99 Euro zu haben ist? Dann fielen die Preise für „ältere“ Kauf-DVDs auf oft weniger als 2 Euro das Stück, schließlich entdeckte der deutsche Michel Netflix, Amazon und Co. Für die klassische Videothek bleibt da letztlich nur eine Nische. Eine Nische, die immer schmaler wird.

Eine überraschende Renaissance


Seit einigen Jahren erlebt das Videoband eine kleine Renaissance. Nicht im Sinne der Schallplatte. Niemand legt neue Filme auf Videoband auf. Das Videoband erfährt eher als Sammlerobjekt neue Wertschätzung. Was die Feunde des Magnetbandes interessiert, erklärt Hendrick Johannsmeier: „Unabhängig von den Titeln sind dies zunächst einmal Filme in Buchboxen und solche mit gezeichneten Covern. Buchboxen sind typische Videothekstitel und die sind bei Sammlern sehr beliebt. Sehr begehrt sind sogenannte Glasboxen von VMP Telerent. Die finde ich zwar gar nicht so toll, aber diese Boxen gab es in den 80ern nur in den Geschäften der Telerent-Kette, die TV-Geräte und Videorekorder verlieh. Als Titel stark nachgefragt werden bei mir Klassiker von Stallone, Schwarzenegger, Filme wie «Star Wars», «Aliens», die Indiana Jones-Filme und die Top-Titel und Kultfilme der 80er. Das sind Filme, die oft gar nicht so rar sind; sie werden vor allem von Kunden nachgefragt, die mit diesen Filmen aufgewachsen sind. Sie sind für sie Kult. Und stilecht möchten sie diese als VHS im Regal stehen haben. Als Genre ist wiederum Horror sehr gefragt. Selbst Filme, die, um eine Freigabe zu erhalten, gekürzt werden mussten, da es sie bis heute nicht auf DVD oder BD gibt. Ein Genre, das überhaupt nicht mehr läuft und wie Blei in den Regalen steht, ist der klassische Eastern. Bruce Lee – ja, der ist eine Ausnahme und läuft gut. Für den Rest finde ich jedoch kaum noch Fans. Dafür ist Blaxpoitation sehr beliebt. Blaxpoitation war ja in den 80ern, als die Videotheken ihren Siegeszug antraten, schon Vergangenheit und die Titel, die dann in den 80ern erschienen, sind heute schwer zu bekommen. Auf jeden Fall gibt es die meisten Titel nicht auf DVD, da wird das Videoband wieder interessant.“

Hendrick Johannsmeier betreibt in der ostwestfälischen Stadt Löhne den Film Retro Shop, der damit wirbt, der einzige VHS-Laden Deutschlands zu sein. Wer sein Geschäft betritt, wähnt sich in einer gemütlichen Videothek der 1980er Jahre. Die Filme stehen mit ihren Covern nach vorne auf den schmalen Regalen, Filmplakate „neuester“ Videoklopper hängen an den Wänden; es gibt aber auch Sitzgelegenheiten (stilecht aus den 80ern): Wer die Videothek betritt, soll sich wohlfühlen. Allein fehlt eine Kleinigkeit: Die Verleihanhänger unter den Hüllen. „Eine Ausleihe findet nicht statt.“ Das wäre zu aufwendig. Was in den Regalen steht, steht dort zum Verkauf. Die Preise variierten. Vieles gibt es schon für unter 5 Euro. Und Horror, obwohl stark gefragt, ist meist für unter 10 Euro zu haben. Ansonsten bestimmen Nachfrage und natürlich auch die Bild- und Coverqualität die weitere Preisgestaltung. „Die Videokassette ist einfach ein schönes Medium“, erklärt Hendrick Johannismeier seine Sicht auf die Renaissance des Bandes. „Du hast etwas in der Hand; die Boxen und Cover sind oft interessant gestaltet, außerdem sind viele Filme, die in den 80ern veröffentlicht worden sind, wie bereits erwähnt, nach wie vor auf DVD oder anderen Medien nicht erhältlich. Es macht zudem einfach Spaß zu sammeln und zu wissen, da gibt es noch Titel, die man unbedingt haben muss. Und wenn du dann einen Film findest, den du lange gesucht hast, ist das ein schönes Gefühl.“ Mit seinen 40 Jahren ist der Ostwestfale selbst noch ein Kind des Videothekenzeitalters, seine Sturm- und Drangphase liegt jedoch in der Zeit des Übergangs von der Kassette zur DVD. Seine Kundschaft ist altersmäßig übrigens breit aufgestellt und beschränkt sich keinesfalls auf die Generation 40+, die ihrer verlorenen Jugend mit Trauer gedenkt. „Es kommen viele Schüler und Studenten zu uns, die einfach Spaß am Retrotrend haben. Da sind ältere Kunden, die bei uns eine kleine Zeitreise in ihre Jugend erleben. Oder da sind die Filmfans, die gezielt nach Titeln suchen, die sie auf Kassette besitzen wollen.“ Und ja, er hat sogar Kunden, die der DVD und BD gar nichts abgewinnen können. Diese stellen allerdings eine Minderheit dar.

Hendrick Johannsmeier bietet zwar in erster Linie VHS-Titel an, aber auch Beta- der Video2000-Freunde werden bei ihm fündig, weshalb er Titel in allen Formaten einkauft. Funfact: Überraschend schwer zu bekommen sind ausgerechnet die Filme, mit denen der Videothekenboom einst seinen Anfang nahm -> die kleinen, billigen Softsexfilmchen vom Schlage «Der Hausfrauen-Report». Übrigens: Auch bei Videoreparaturen hilft er gerne. „Die letzten Rekorder, die hergestellt wurden, waren in der Regel nicht wirklich toll, hingegen sind die Rekorder aus den 90ern teils von hervorragender Verarbeitung und daher äußerst langlebig.“ Aus diesem Grund sollte man sie hegen und pflegen.



Als letzter Hersteller von Videorekordern hat Funai 2016 seine Produktion eingestellt, ein Jahr nach Branchengigant Sony. Unter dem Markenlabel Sanyo brachte Funai immerhin noch um die 750.000 Rekorder im letzten Fertigungsjahr auf den Markt. Ganz freiwillig hat der japanische Hersteller die Produktion übrigens nicht eingestellt. Am Ende fehlten Einzelteile, die von Zulieferern nicht mehr produziert worden sind und für die keine neuen Hersteller gewonnen werden konnten.
07.01.2022 12:06 Uhr  •  Christian Lukas Kurz-URL: qmde.de/131675