Der Streamingdienst unternimmt im Februar einen einzigartigen Feldversuch. Dieser könnte Netflix für immer verändern. Eine kommentierende Analyse von Fabian Riedner.
Die Kinetic-Content-Produktion
«Love Is Blind» ist in mehreren Punkten revolutionär. Bei dem Format nehmen 30 Singles teil, die so geliebt werden möchten, wie sie sind – und nicht gerade, wie sie aussehen. Daher nehmen sie an einem Experiment in der US-Metropole Chicago teil, bei dem sie ausschließlich miteinander über einen „Pod“ kommunizieren. Die Produktion stammt von einer Firma, die von der ProSiebenSat.1-Gruppe betrieben wird.
Lauren Speed und Cameron Hamilton sowie Amber Pike und Matthew Barnett fanden in «Liebe macht blind» zueinander und haben schließlich geheiratet. Nach der Premiere im Februar 2020 entstanden im Sommer 2021 weitere Episoden, die schließlich nach der Heirat einsetzten. Insgesamt wurden 14 Episoden veröffentlicht, die auf fünf unterschiedliche Ausstrahlungstage verteilt wurden. Anscheinend hat das Konzept Potenzial, denn mit der zweiten Staffel möchte Netflix ähnlich umgehen.
Die ersten fünf Episoden der neuen Staffel sind am 11. Februar zu sehen, eine Woche später erscheinen die weiteren vier Abenteuer. Das Finale können die Netflix-Abonnenten schließlich am 25. Februar bewundern. Eine Ausstrahlungsmethode mit Zukunft? Das Streamingunternehmen bleibt dem Freitag als Veröffentlichungstermin treu, auch wenn dieser Tag mit zahlreichen Diensten konkurriert.
Der Disney-Konzern wollte nicht mehr mit Netflix Kopf an Kopf gehen. Die junge Serie «The Book of Boba Fett» erscheint jeden Mittwoch, auch die neuen Produktionen «Marvel’s Hit-Monkey» und «Pan & Tommy» erscheinen ebenso wie die Animationsserie «Die Prouds: Lauter und trauter» am dritten Tag der Woche. Außerdem schickt Disney nicht gleich alle Episoden online, der Konzern veröffentlicht in der Regel nur eine Geschichte.
Das hat den Vorteil, dass die Formate im Feuilleton und in den sozialen Netzen weitaus mehr Beachtung geschenkt bekommen. Damit haben die Fans alle sieben Tage frischen Gesprächsstoff und können die Folgen sukzessiv analysieren. Auf YouTube gibt es zahlreiche Kanäle, die Szene für Szene die Handlung von Disneys «The Mandalorian» analysieren. Hätte der Micky-Maus-Konzern alle Episoden zeitgleich auf den Markt geworfen, wäre das mediale Interesse weitaus geringer gewesen.
Netflix versucht derzeit noch mit Masse zu punkten. Das Unterfangen kostet dem Unternehmen aus Los Gatos viel Geld, zahlreiche Serien gehen beim Publikum völlig unter. Ohnehin waren in den vergangenen Jahren auch Formate dabei, die auch inhaltlich totaler Mist waren wie die Serie von Julian Bam oder zahlreiche Comedys aus den Vereinigten Staaten von Amerika, bei denen die Autoren vergaßen, dass man Witze einbauen muss.
Bei den übrigen Streamingdiensten wie AppleTV+ und Amazon sieht es weiterhin düster aus. Zwar werden immer mal wieder Highlights veröffentlicht, aber mehr als ein wirkliches Aushängeschild haben beide Streamingdienste nicht. Es werden nur wenig neue Formate produziert, die wirklich das Qualitätssiegel „Gut“ verdienen. Am 18. Februar 2022 startet die vierte Runde von «The Marvelous Mrs. Maisel», die Amazon wenigstens zeitgleich veröffentlicht. Die ersten drei Runden liefen in Deutschland immer mit einem Jahr Verspätung an.
In den vergangenen zwölf Monaten zeigte sich, dass im Streaming-Krieg nur zwei Firmen mithalten können. Das Unternehmen Netflix, das Schulden vor sich herschiebt und durchaus ein Übernahmekandidat eines Tech-Unternehmens werden könnte und Disney. Der Vorteil beim Micky-Maus-Konzern ist ein völlig anderer: Ähnlich wie Prime Video braucht Disney+ keinen finanziellen Erfolg. Die Firma macht die großen Gewinne mit dem linearen Fernsehen, den Tourismus-Angeboten und Merchandising. Die Spielfilm-Auswertung war meist nur ein kleiner Teil des Disney-Gewinns.