„Sie kommen, dich zu holen / Sie werden dich nicht finden / Niemand wird dich finden, du bist bei mir.“ In Deutschland, Österreich und der Schweiz stand Falcos «Jeanny» zur Jahreswende 1985/86 auf Platz 1 der Charts. Die Geschichte eines Stalkers erhitzte die Gemüter, einige Radiosender boykottieren den Song, der diesem Thriller als Vorlage gilt.
Stab
Regie: Andreas Kopriva
Drehbuch: Andreas Karlström, Thorsten Wettke
Produktion: Sam Davis, Klaus Graf
Musik: Matthias Weber
Kamera: Josef Mittendorfer
Schnitt: Bernhard Schmid
Darsteller: Theresa Riess, Manuel Rubey, Patricia Aulotzky, Eva Herzig, Steffen Schroeder, Laura Bilgeri, Martin Brambach, Zeynep Buyraç, Johann Nikolussi, Stefan Gorski
Ein Film, der auf einem Song basiert? Da muss man verdammt lange suchen, um einen solchen zu finden. Die Idee zu Sam Peckinpahs Actiondrama «Convoy» aus dem Jahre 1978 basiert auf dem gleichnamigen Countrysong von C.W. McCall aus dem Jahre 1975. Das Jugenddrama «Quadrophenia» (1979) orientiert sich derweil an dem Konzeptalbum gleichen Titels von The Who. Dann aber wird die Luft dünn. Nun aber hat sich Regisseur Andreas Kopriva nach einem Drehbuch von Andreas Karlström und Thorsten Wettcke an die filmische Umsetzung von Falcos gewagt. Gelungen ist das nicht wirklich. Aber alles der Reihe nach.
Für Falcos Song «Jeanny» gibt es mehr als nur eine Lesart. Der Song lebt von seinen Auslassungen, dem, was Falco explizit nicht singt (oder eher spricht). Unbestritten ist «Jeanny» die Geschichte eines Stalkers, der eine junge Frau gleichen Namens verfolgt. Aber verfolgt er sie aus der Entfernung (wie dies im dazugehörigen Musikvideo angedeutet wird), weshalb Jeanny nichts von dem Unheil ahnt, das sich ihr nähert? Finden die Gespräche, die er mit ihr führt, daher auch nur in seiner Fantasie statt? Oder agiert er offen als ein möglicher, vielleicht sogar charmanter Verehrer, der seine krankhafte Obsession vor ihr verbirgt, bis sein Wahn (niemand außer ihm darf Jeanny „besitzen“) in Gewalt mündet?
Die Autoren Andreas Karlström und Thorsten Wettcke haben sich in ihrer Interpretation des Stoffes für die zweite Variante entschieden. Jeanny steht kurz vor ihrer Matura (Abitur). Regelmäßig hilft sie im Frisiersalon ihrer Mutter aus, an dessen Pforte eines Abends Johannes anklopft. Eigentlich möchte Jeanny den Laden schließen; mit Humor bringt Johannes Jeanny jedoch dazu, ihn doch noch zu bedienen. So kommen die beiden ins Gespräch und als Jeanny quasi nebenbei erzählt, dass ihr ein Thema der Matheprüfungen Magenschmerzen bereitet, schnappt sich Johannes kurzerhand einen Lippenstift und schreibt auf den Spiegel eine Beispielgleichung für das von Jeanny angesprochene Problem, welches sie in ihrer Simplizität verblüfft. Johannes ist Steuerberater von Beruf und Zahlen sind, wie er schmunzelnd bemerkt, halt sein Metier. Kurzerhand bietet er Jeanny an, ihr ein wenig unter die Arme zu greifen. Aus ihren Treffen entsteht bald eine Beziehung, die die beiden jedoch geheim halten und die vorerst auch platonisch bleibt. Nicht nur wegen des Altersunterschiedes, Johannes ist schließlich ein Mann in seinen Vierzigern. Grund dafür ist ein Schatten, der über Jeannys Heimatstadt liegt und dem auch Jeanny sich emotional nicht ganz entziehen kann: In den letzten Monaten sind mehrere Mädchen verschwunden, darunter Carla, die Schwester von Jeannys bester Freundin Luzia. Da die Polizei mit ihren Ermittlungen einfach nicht vorankommt, patrouilliert eine Bürgerwehr auf den Straßen der Stadt. Eine Bürgerwehr, die selbst in sich den Keim der Gewalt trägt.
Als Jeanny feststellt, dass Johannes sie nicht ganz zufällig an jenem Abend im Salon angesprochen hat, fällt es diesem nicht leicht, ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Gerade vor dem Hintergrund der Geschehnisse in Jeannys Heimatstadt.
«Jeanny – Das 5. Mädchen» scheitert daran, irgendwann seinen Mut zu verlieren. Anfangs ist «Jeanny» eine Geschichte über eine Obsession. Der Reiz liegt von Anfang an im Wissen darum, dass Johannes nicht einfach nur ein humorvoller Typ ist, der sich – versehentlich – in eine deutlich jüngere Frau verliebt. Von Anfang an steht fest, dass in dieser Beziehung etwas nicht stimmt. Und dies ist spannend, solange Johannes mit Charme und Humor agiert. Johannes ist der nette Kerl von nebenan, der Typ, der einer älteren Nachbarin ohne zu zögern den Einkauf ins Haus trägt, der aber auch einen Schwiegersohn-Appeal mitbringt. Er ist zuverlässig, er hat einen guten Job, er muss nicht einmal seinen Kopf in der Hose tragen, sondern ist auch noch ganz ansehnlich. Gerade weil von ihm so gar keine Gefahr auszugehen scheint, wir als Zuschauer aber wissen, dass dem nicht ganz so sein kann, ist das – spannend!
Nach und nach aber kommt die Inszenierung nicht darum herum, diesen Johannes mit diversen Traumata zu belegen. Natürlich gibt es eine Geschichte, die ihn brutal aus der Bahn geworfen hat. Je mehr jedoch über seine Vergangenheit bekannt wird, desto uninteressanter wird seine Figur, denn so mutiert Johannes bedauerlicherweise doch nur zum Durchschnittspsychopathen der Woche.
Das ist sehr schade. Vielleicht erinnern sich geneigte Filmfreunde an den Thriller «The Stepfather» aus dem Jahre 1987, der vor einigen Jahren ein eher lahmes Remake erfahren hat. «The Stepfather» erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich gezielt alleinstehende Frauen mit Kindern sucht, um mit ihnen ein perfektes Familienleben erleben zu dürfen. Sobald sich aber Schatten auf dieses Leben werfen (vulgo: der Alltag mit seinen Höhen und Tiefen einzieht), plant er seine Flucht, die leider nur dann vollumfänglich funktionieren kann, wenn er zuvor seine Familie ermordet. Die grausame Faszination der Figur Jerry Blake fußt darauf, dass nie auch nur ein Momentum seiner Vergangenheit offenbart wird. Jerry Blake ist ein Monster. Ob er schon immer ein Monster war oder durch ein Trauma zu einem Monster wurde, interessiert die Inszenierung nicht, denn am Ende zählt nur, was er „ist“! So beginnt auch «Jeanny». Johannes ist, was er ist. Dann aber verliert die Inszenierung ihren Mut irgendwann setzt die Story nur noch Klemmbausteine aus dem Psychopathen-Setzkasten artig zusammen. Das ist in sich zwar alles schlüssig, man hat dies aber leider auch schon alles bereits x-fach gesehen. Packend ist das nicht. Und es beweist: Manchmal sind es die Auslassungen, die die Spannung steigern.
«Jeanny» aber lässt bedauerlicherweise nichts aus.
Zum Ende hin vollzieht die Story dann zwar ein paar Wendungen. Die aber wirken nie wirklich überraschend, sondern eher wie Pirouetten der Pirouetten wegen, deren einzige Aufgabe darin besteht, die vorhersehbare Auflösung etwas hinauszuschieben.
Irritierend wirkt mit Verlaub die Aufsplitterung der Inszenierung in zwei Teile. Während es an der ersten Hälfte der Geschichte und ihrer filmischen Umsetzung an sich nicht zu bemängeln gibt, finden all die in diesem Text bemängelten Schwächen des Filmes im zweiten Teil seiner Spielzeit ihren Niederschlag.
Am 19. Februar 2022 wäre Falco alias Johann Hölzel übrigens 65 Jahre geworden. Sein Hit «Rock Me, Amadeus» ist bis heute das einzige deutschsprachige Lied, das je den ersten Platz der amerikanischen Billboard-Charts erklommen hat.
Mittwoch, 9. Februar 2022, Das Erste um 20.15 Uhr
08.02.2022 12:05 Uhr
• Christian Lukas
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