Die Kritiker: «Tatort - Schattenkinder»

Nicht nur die Episodenrollen sehen im neuen «Tatort» ziemlich gruselig aus. Denn der Fall aus Zürich hält diese Woche so manche Abgründe parat.

Stab

Darsteller: Anna Pieri Zuercher, Carol Schuler, Rachel Braunschweig, Aaron Arens, Sarah Hostettler, Vincent Furrer
Musik: Marcel Vaid
Kamera: Simon Guy Fässler
Drehbuch: Stefanie Veith und Nina Vukovic
Regie: Christine Repond
Was ist Kunst? Kunst liegt im Auge des Betrachters, sagt man. Vielleicht ist das, was die Schweizer Körpertätowiererin Kyomi (Sarah Hostettler) so treibt, dann vielleicht auch Kunst. Sie nimmt junge Menschen und gestaltet ihre Körper radikal um, mit Tätowierungen am ganzen Leib, auch im Gesicht. Sie zeichnet ihnen die Hornhaut der Augen schwarz, rasiert ihnen die Haare ab und meditiert mit ihnen eifrig. Es geht ihr darum, Schmerz auszuhalten, nicht zurückzuweichen, sich der Umgestaltung des eigenen Lebens ganz hinzugeben – oder vielleicht auch um etwas ganz anderes, um viel weltlichere Dinge, wie die beiden Zürcher Kommissarinnen Isabelle Grandjean und Tessa Ott (Anna Pieri Zuercher und Carol Schuler) bald vermuten, nachdem sie in ihrem neuen Fall Kontakt mit dieser schwierigen Frau gemacht haben.

Eines ihrer Kunstobjekte ist nämlich nicht mehr am Leben. Sein Vater fand ihn in einer Lagerhalle vor. Sein lebloser Körper hing an Eisenketten von der Decke herab und war in Plastikfolie eingehüllt, wie ein Kokon. Was hat das nur zu bedeuten, rätselt die Schweizer Polizei, und beginnt, in der Vergangenheit des jungen Opfers nach Erklärungen zu suchen. Bald wird sie fündig: Denn vor einigen Jahren, damals war er noch ein Kind gewesen, hatte sein Schwimmtrainer ihn sexuell missbraucht. Bald darauf lief er von zuhause weg, die Beziehung zu seinem Vater war zerrissen. Kein Wunder also, dass sich jemand mit einer solchen Biographie bereitwillig einer Künstlerin anschließt, die ihn leicht glauben machen kann, ihn von all den Schmerzen zu reinigen, die er erdulden musste. Aber wer hat ihn umgebracht – und schweben auch die zwei anderen aktuellen Schützlinge der Tätowierungskünstlerin deshalb in Lebensgefahr?

Ein wahrhaft düsterer Fall also, mit dem sich der «Tatort» diese Woche beschäftigt, und der einen eintauchen lässt in die Abgründe des menschlichen Daseins. Lehrer und Trainer, die die ihnen anvertrauten Kinder missbrauchen, sind schließlich eine bittere Tatsache der Realität, vor der dieser Film seine Augen nicht verschließt. Und dass manch verzweifeltes Opfer solcher Taten Zuflucht bei Menschenfängern sucht, die aus nicht uneigennützigen Motiven einen Schlussstrich unter die Qualen der Vergangenheit versprechen, gehört ebenfalls zur allgemeinen Lebenserfahrung.

Dabei wirkt dieser Film und das Umfeld, das er von seinen Figuren zeichnet, manchmal etwas zu exzentrisch und abgehoben, während die beiden Kommissarinnen Isabelle Grandjean und Tessa Ott auch in einer solchen Umgebung Ruhe bewahren – was schwer genug ist, schließlich kriselt es gerade im «Tatort»-Team. Denn ob Tessa Ott weitermachen kann, hängt nach einem Unglück auch an der Bewertung ihrer Kollegin, die an der psychischen Stabilität der Partnerin so ihre Zweifel hat. So entstand gleich auf mehreren Ebenen ein ziemlich spannender Film, an dessen Ende nicht nur die beiden Hauptfiguren wissen, was sie aneinander haben, sondern wohl auch mancher Zuschauer, der diesem Schweizer Duo gerne beiwohnt.

Der Film «Tatort – Schattenkinder» ist am Sonntag, den 13. März um 20.15 Uhr zu sehen.
12.03.2022 11:00 Uhr  •  Oliver Alexander Kurz-URL: qmde.de/133053