Serientäter: «The Fear Index»

Worauf basiert unser Wirtschaftsmodell? Auf Produktion? Auf Innovationen? Auf Handel und Wandel? Alles falsch. Es basiert auf Angst. Dr. Alex Hoffman weiß das. Er hat einen Algorithmus erschaffen, der die Angst der Börsen vorhersagen und seine Nutzer sehr, sehr reich machen kann. Leider funktioniert der Algorithmus offenbar etwas zu gut.

Stab

DARSTELLER: Josh Hartnett, Arsher Ali, Grégory Montel, Leila Farzad, Jerry Killick, Aïssa Maïga
REGIE: David Caffrey
DREHBUCH: Caroline Bartleet, Paul Andrew Williams, Matthew Billingsley (eine Episode) nach einem Skript von Robert Harris
MUSIK: Kieran McGuigan
SCHNITT: Mark Davis, Lorene Dewett, Dermot Diskin
PRODUKTIONDESIGN: Kevin Phipps
«Angst» lautet der deutsche Titel des 2011 erschienenen Romans von Robert Harris, der ein seinerzeit aktuelles Ereignis aufgriff, das heute schon wieder in Vergessenheit geraten ist. Am 6. Mai 2010 sank der Leitindex der US-Aktienmärkte, der S&P500, innerhalb von sechs Minuten um sechs Prozent, um sich etwa 20 Minuten später wieder zu erholen. Seinerzeit hatte niemand eine Erklärung für diesen starken Kurseinbruch, Ökonomen stocherten Hexenmeistern gleich in der Asche der verbrannten Milliardenwerte. Jahre später wurde ein britischer Aktienhändler für diesen Kurssturz verantwortlich gemacht, der aus dem elterlichen Vorstadtreihenhäuschen heraus (!) an diesem Tag durch gezielte Eingriffe in den Aktienhandel 40 Millionen Dollar verdient haben soll (andere Quellen sprechen sogar von 70 Mio). Allerdings wird angezweifelt, dass er diesen kürzesten Börsencrash der Aktiengeschichte ohne massive Sicherheitslücken in den Computersystemen hätte durchziehen können. Überhaupt muss man mit der Wortwahl vorsichtig sein und darf etwa nicht von Manipulationen sprechen. So ließen die US-Ermittlungsbehörden 20 von 22 gegen ihn erhobene Anklagepunkte fallen, nachdem er vollumfänglich mit ihnen kooperiert hatte. Unter anderem, da er in vielen Belangen einfach nur Schwächen des Systems für sich ausgenutzt hatte. Moralisch mag sein Vorgehen fragwürdig gewesen sein, rechtlich indes …

Wie dem auch sei. Als Harris seinen Roman schrieb, konnte er nicht ahnen, dass ein einzelner Mann für diesen Mini-Crash die Verantwortung trug. Wie die Börsenhändler ging auch er von einem Algorithmus aus, der zum Einsatz gelangt war. Harris schrieb seinen Roman nicht nur in einem erstaunlichen Tempo, er verfasste für Paul Greengras auch noch ein Drehbuch für einen Spielfilm, der von der 20th Century Fox produziert werden sollte. Als Greengras das Projekt jedoch aufgab, landete auch das Drehbuch in der Wiedervorlage. Ob mehr als eine Idee übriggeblieben ist, nachdem Sky sich aufgemacht hat, Harris' Geschichte doch noch zu verfilmen?

Josh Hartnett ist auf jeden Fall Dr. Alex Hoffman, ein ehemaliger CERN-Wissenschaftler, der die edle Forschung an den Nagel gehängt hat, um reich zu werden. Also hat er eine Firma gegründet, die die Aktienmärkte aufmischen will gegründet. Die eigentliche treibende Kraft hinter der Gesellschaft ist der Londoner Geschäftsmann Hugo Quarry, der Alex' Genialität auch jenseits des Forschungslabors entdeckt und ihn zur Gründung des eigenen Unternehmens überredet hat. Ihr gemeinsames Ziel: Die Entwicklung eines Algorithmus, der perfekt auf Kursschwankungen reagiert und aus diesen ein Maximum an Profit generiert. Nun ist es soweit, den Algorithmus finanzstarken Investoren präsentieren zu können, mit deren Power Hugo und Alex den Finanzmarkt umzukrempeln gedenken. Vixal-4 lautet der Name des Algorithmus, der darauf basiert, dass er die Angst an den Börsen misst. Denn das ist Alex' Theorie. Kapitalismus basiert auf Gier. Wachstum basiert auf Gier. Gier ist der Faktor, der die Wirtschaft am Leben erhält. Gier aber erzeugt auch Angst. Die Angst, etwas zu verlieren. Es heißt nicht umsonst, dass Märkte auf eine unerwartet schlechte Nachricht „nervös“ reagieren. Angst ist der unterschätzte Faktor, über den niemand redet, da Angst nach Schwäche klingt. In Wahrheit ist es die Angst, die das System am Leben erhält. Alex hat einen Algorithmus entwickelt, der diese Angst voraussagen kann und sie entsprechend in Investments umzusetzen versteht. Langfristige Investments, kurzfristige Investments, egal: Hauptsache, sie generieren Gewinne.

Am Abend vor der Präsentation aber wird Alex fast das Opfer eines Verbrechens. Ein fremder Mann gelangt in sein Haus am Genfer See, allen Sicherheitsvorkehrungen zum Trotz. Zwar geht die Geschichte letztlich glimpflich aus, die Polizei kann aber keine Spuren eines Eindringens erkennen. Und dann ist da die Sache mit dem Buch. Alex' Ehefrau ist eine Künstlerin. Zur Eröffnung ihrer neuen Vernissage hat ihr ein unbekannter Verehrer ein kostbares Buch geschenkt. Der Rechnung nach ist es aber Alex selbst gewesen, der dieses Buch über eine Auktion ersteigert hat. Alex versucht sich von den seltsamen Geschehnissen nicht aus der Fassung bringen zu lassen. Er will den Investoren Vixal-4 vorstellen, doch mitten während der Präsentation klingelt sein Telefon und damit fangen die Probleme erst richtig an.

Die Besetzung der Hauptrolle mit Josh Hartnett ist ein Glücksfall. Hartnetts schien eine ganz große Karriere bevorzustehen. Mit 23 verkörperte er 2001 die Figur des Danny Walker in «Pearl Harbor» neben Hollywoods damals neuem Traumboy Ben Affleck. Während Affleck sicher einige Höhen und Tiefen durchlebt hat, gehört er, allen Unkenrufen zum Trotz, zur A-Liga der Traumfabrik. Hartnett indes hat nie wieder einen solchen Moment wie 2001 im Rampenlicht erlebt. Er hat gute Filme und Serien gedreht. Und er hat in Werken mitgewirkt, die jenseits jeden Radars verschwunden sind. In «The Fear Index» darf er einmal mehr belegen, dass seine holprige Karriere nicht einem eher übersichtlichem Talent geschuldet wäre. Hartnett steht in 90 Prozent aller Szenen im Mittelpunkt und er ist es, der so einige handwerkliche Stolperer in der Inszenierung übersehen lässt, indem er sie souverän überspielt.

Hartnett verkörpert Alex als einen Mann von Welt. Er ist, wie bereits erwähnt, mit einer Künstlerin verheiratet, mit der er ein wunderschönes Anwesen am Genfer See bewohnt. Er ist charmant, er versteht es, Menschen für sich zu begeistern. Allerdings gibt es da einen Moment in seinem Leben, über den er nicht gerne spricht. Offiziell hat er das CERN verlassen, weil er Hugo kennengelernt hat, der ihn davon überzeugen konnte, dass es nicht schlimm ist, ein Talent wie seines ganz egoistisch gewinnbringend einzusetzen. Warum in einem Labor für ein Gehalt arbeiten, das an der Besoldung von Beamten angelehnt ist, wenn man in der freien Wirtschaft mit einem solchen Talent Millionen verdienen kann – und vielleicht sogar noch mehr? Inoffiziell hat Alex seine Tätigkeit in der Forschung allerdings nicht freiwillig aufgegeben. Alex hat vielmehr einen Nervenzusammenbruch erlitten, der seine Karriere als Wissenschaftler beendet hat. Dass er dann Hugo kennenlernte, der sein Börsen-Talent erkannte und ihm eine zweite (finanziell höchst profitable) Chance bieten konnte – ist die Geschichte, die im Firmenprofil seines Unternehmens nicht vermerkt wird. Das würde nicht zum Image desSelfmademans passen. Eines Selfmade-Millionärs, der nach und nach den Verdacht hegt, dass Vixal-4 besser funktioniert als er sich erhofft hat. Vixal-4 sieht nicht nur Kursschwankungen voraus oder erkennt Chancen lange vor allen anderen Mitbewerbern. Spätestens der Moment, in dem Vixal-4 gegen eine Fluglinie wettet und kurze Zeit später ein Flugzeug eben dieser Linie abstürzt, muss Alex davon ausgehen, dass Vixal-4 mehr ist als ein Algorithmus. Vixal-4 hat sich selbst weiterentwickelt und eine Art Bewusstsein kreiert, das nicht mehr nur Vorhersagen trifft, sondern seinerseits Ereignisse kreiert. Dumm nur, dass Alex die Sache mit dem Flugzeug gar nicht mitbekommt, da er erst einmal einer Spur zu dem Mann folgt, von dem er glaubt, dass er in sein Haus eingebrochen ist. Ihr Zusammentreffen eskaliert und ab diesem Moment...

… kann man sich nie wirklich sicher sein, ob Alex gerade einen psychischen Zusammenbruch erfährt der jenen Wahn auslöst, dass dass Vixal-4 eine Art von Bewusstsein erlangt hat – oder ob Vixal-4 tatsächlich mehr ist als nur eine ziemlich intelligente Ansammlung von Nullen und Einsen. Hartnett stellt Alex' Tour de Force mit dunklem Verve dar, schließlich ist sich Alex bewusst, dass er gerade einen psychischen Zusammenbruch erlebt. Der steht außer Frage. Bedeutet das aber, dass er auch verrückt geworden ist? Und wenn ja: Wann hat das alles begonnen – siehe das Buch, das schon vor Wochen ersteigert wurde. Hartnett rennt, stolpert, flieht. Vor der Polizei, die bald schon glaubt, dass er in ein ganz reales Verbrechen verwickelt ist. Aber auch vor – Vixal-4? Alex weiß es nicht. Aber zu wissen, dass der Verstand aussetzt, aus welchen Gründen auch immer, diese Panik lässt sich in nahezu jeder Szene mit Händen greifen.



Damit rettet der Hauptdarsteller die Serie, die eindeutig Probleme in der Umsetzung der Actionszenen hat. Action findet zwar nur in übersichtlichen Dosierungen statt und dann meist sehr konfrontativ (etwa Mann gegen Mann), aber diese Szenen wirken nie wirklich dynamisch. Weder Kamera noch Montage finden ein Konzept, um etwa auf einem engen Raum wirklich so etwas wie Tempo oder eine Bedrohungslage zu erschaffen. Die handelnden Personen wirken in solchen Spannungsmomenten nicht selten wie Schauspieler des Epischen Theaters nach Brecht, bei dem die Darsteller auf der Bühne herumstehen und emotionslos verbleiben, um die Zuschauerschaft nicht vom schrecklich wichtigen Inhalt abzulenken. Auch in der Schauspielführung fehlt es an Beweglichkeit.

Neben Hartnetts hervorragendem Spiel, das die Inszenierung trägt, sei positiv die Kürze der Serie anzumerken. Vier Episoden? Das wären in den 80er und 90er Jahren zwei 90-Minuten-Filme gewesen. Die Handlung ist nicht gezwungen, Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen, um eine Anzahl von sieben, acht, zehn Episoden mit Inhalt zu füllen, stattdessen darf sich der Fokus ganz auf Alex' Kampf gegen den Algorithmus konzentrieren. Oder auf die Frage, ob Alex sich das alles nur einbildet.

Fazit: Die Geschichte ist schlüssig, der Hauptdarsteller ein echter Leading Man, jedoch hapert es manchmal in der handwerklichen Umsetzung. Statt High Concept bietet die Serie in diesem Segment im besten Fall Hausmannskost.

«The Fear Index» ist bei Sky abrufbar.
06.07.2022 11:44 Uhr  •  Christian Lukas Kurz-URL: qmde.de/135253