Die Kritiker: «Operation Schwarze Krabbe»

Es herrscht Krieg in Schweden. Der Feind rückt an allen Fronten vor. Er beherrscht den Luftraum. Eine kleine Gruppe von Soldaten erhält einen Spezialauftrag. Sie sollen einer Forschungsstation im Norden ein Päckchen überbringen, das kriegsentscheidend sein kann. Der einzige Weg führt über eine zugefrorene Seenlandschaft.

Stab

Schweden 2021
Internationaler Titel: Black Crab
Schwedischer Titel: Svart krabba
1 h 54 min

REGIE: Adam Berg
DREHBUCH: Adam Berg, Pelle Rådström
DARSTELLER: Noomi Rapace, Aliette Opheim, David Dencik, Jakob Oftebro, Dar Salim, Susan Taslimi, Ardalan Esmaili, Erik Enge, Cecillia Säverman
PRODUCER: Malin Idevall, Matthias Montero
KAMERA: Kristofer Nordin
SCHNITT: Jeanette Klintberg
PRODUKTIONSDESIGN: Linda Janson
Wie bespricht man in diesen Tagen einen Film, dessen Protagonisten Schweden sind, die gegen einen namenlosen Feind ankämpfen? Einen Feind, der ihr Land in Grund und Bomben bombt? Und das in einer Zeit, in der ein Despot höchst real diesem traditionell neutralem Land recht unverhohlen Konsequenzen angedroht hat, wenn es nur darüber nachdenkt, sich möglicherweise einem Militärbündnis anzuschließen, das besagter Despot als Feind betrachtet? Soll man die Realität ausblenden, um den Film als ein reines, von der Realität entkoppeltes Kunstwerk zu betrachten? Wahrscheinlich gibt es auf diese Frage nicht die eine endgültige Antwort.

«Operation Schwarze Krabbe» basiert auf einem 2002 erschienen Roman: Jerker Virdborgs «Svart krabba». 2005 ist der in Schweden zum Bestseller avancierte Roman unter dem Titel «Eis» auch in Deutschland erschienen. Die Grundprämisse ist ähnlich, auch wenn die literarische Vorlage nie ausdrücklich Schweden als Spielort benennt. Der Film, auf Schwedisch gedreht, lässt derweil keine Zweifel daran aufkommen, wo sich die Handlung zutragen soll. Die Soldatin Caroline Edh wird während eines Truppentransportes aus ihrem Zug geholt. Im nahegelegenen Hauptquartier wird ihr Erscheinen gewünscht. Caroline versteht nicht ganz, warum? Sie ist keine Elitesoldatin und ihrer eigenen Auffassung nach verfügt sich auch über keinerlei besondere Skills. Doch schon auf dem Weg ins Hauptquartier muss sie sich erstmals ihrer Haut erwehren. Ihr Fahrer behauptet, er müsse kurz etwas erledigen, steigt aus seinem Wagen und schon wird dieser angegriffen. Die Angreifer sind keine feindlichen Soldaten. Schweden fällt. Der Krieg ist verloren. Die, die Carolines Wagen angreifen, sind normale Menschen, die nichts mehr zu essen oder trinken haben, die verzweifelt sind und längst in purer Anarchie ihr Dasein fristen. Caroline überlebt das Geschehen und verrät den Fahrer nicht einmal, als sie im Hauptquartier einander wiedertreffen. Sie kann sich tatsächlich nicht sicher sein, dass er sie verraten hat. Die Welt ist ein seltsamer Ort geworden. Wen kann man vertrauen? Wem nicht?

Im Hauptquartier erfährt Caroline endlich, welche Fähigkeiten sie besitzt, weswegen sie, eine gewöhnliche Soldatin, von höchster Stelle angefordert ist. Caroline war in ihrer Jugend eine hervorragende Schlittschuhläuferin. Und genau diese Fähigkeit ist es, die dringend benötigt wird. Caroline wird einem kleinen Kommando zugewiesen, das ein Paket gen Norden transportieren soll. Der kürzeste Weg führt über mehrere Seen. Es ist Winter, die Seen sind zugefroren, ein kleines Kommando, das im Schutz der Dunkelheit agiert, kann es schaffen, auf Schlittschuhen unbemerkt durch die feindlichen Linien zu gelangen. Ja, es ist ein Himmelfahrtskommando, aber wenn Caroline teilnimmt und überlebt, winkt ihr die Wiedervereinigung mit ihrer Tochter. Diese ist in der Frühphase des Krieges spurlos verschwunden. Das Oberkommando hat sie jedoch in einem Flüchtlingslager ausfindig gemacht. Nach gegenwärtigem Ermessen hat Carolines Tochter keine Zukunft. Hat Caroline aber Erfolg, werden die Karten in diesem Krieg ganz neu gemischt.

«Operation Schwarze Krabbe» beginnt vielversprechend. In dem Moment, in dem das kleine Kommando zur Mission aufbricht, gelingt der Regie erstaunliches. Obschon sich die Soldatinnen und Soldaten über riesige Seen in offener Landschaft fortbewegen, entsteht ein fast schon intimes, kammerspielartiges Gefühl im Zusammenspiel der Figuren. Durch die Nähe, die sie verbindet, wirkt «Operation Schwarze Krabbe», als stünden die Schauspielerinnen und Schauspieler zusammen auf einer Bühne. Als Menschen sind sie unterschiedliche Typen, deren Erfahrungen in den letzten Jahren ebenso unterschiedlich aufgefallen sind. Sie haben keine Zeit gehabt, sich kennenzulernen und müssen doch als Team agieren, in dem sich einer auf den anderen verlassen muss. Das Nicht-Kennen schürt jedoch gegenseitige Animositäten: der Verdacht, dass sich unter ihnen ein Verräter befindet, steigert nicht gerade die gute Laune. Und dann ist das erste Opfer der Mission ausgerechnet ihre Kommandantin, die keinesfalls in einem Gefecht stirbt, sondern an einer dünnen Stelle im Eis in den See einbricht. Carolines Versuch, die Kommandantin zu retten, scheitert. Das einzige, was sie retten kann, ist das geheimnisvolle Paket, das sie überstellen sollen. Ein Paket, von dem niemand eine Ahnung hat, um was es sich eigentlich handelt.

Womit der große Schwachpunkt der Geschichte benannt ist. Die tatsächliche Spannung des Filmes ergibt sich aus der Mission. Das Eis kann in diesem Zusammenhang durchaus als eine Metapher für die dünne Schicht zwischen Zivilisation und der Dunkelheit betrachtet werden. An einigen Stellen ist das Eis dicht und transportiert das Kommando sicher. An anderen ist es von sich aus brüchig. Da bedarf es nicht einmal eines sichtbaren Feindes, um das Kommando in Gefahr zu bringen. Erfolgreich können die Soldaten und ihre de facto-Anführerin Caroline diese Mission nur abschließen, wenn sie einander vertrauen, so unterschiedlich sie als Charaktere sein, so unterschiedlich ihre Erfahrungen ausgefallen sein mögen. Solange der Fokus diesen Aspekt der Geschichte in den Mittelpunkt des Geschehens stellt, ist «Operation Schwarze Krabbe» ein bemerkenswert guter Film.

Leider kippt er in dem Moment, in dem sich offenbart, welcher Art das Paket ist, das sie über das Eis transportieren. Warum bleibt es nicht ein MacGuffin, ein Objekt, das einfach die Handlung antreibt?



Stattdessen verliert die Geschichte im Moment der Offenbarung vollkommen ihren Fokus. Die Geschichte degradiert ihre Charaktere zu Zählopfern, die nur mehr einer Mission dienen – ihr Überleben oder Sterben spielt kaum noch eine Rolle. Vor allem aber ist da der nun bekannte Inhalt des Pakets, dessen Einsatz wenig glaubwürdig erscheint. Er entwertet im Grunde den gesamten Kampf der Armee; wo der Film anfangs auf eine in sich geschlossene Welt setzt, die ihre Menschlichkeit auf dem Schlachtfeld verloren hat und dessen Handlung davon lebt, dass Menschen eben doch zueinander finden können, dass ein Kampf auch in einer aussichtslosen Situation einen Sinn hat: negiert die Story all diese Sinnhaftigkeit in dem Moment, in dem sich der Inhalt offenbart. Dadurch verliert «Operation Schwarze Krabbe» seine gesamte Kraft und erschlafft zu einem 08/15-Apokalypse-Schocker, in dem hochrangige Uniformträger eh nur ihre eigenen Spielchen spielen. Alles, was der Film zuvor an starken Momenten erschafft, reißt er mit dem Hintern wieder ein. Endgültig gekillt wird die schwedische Netflixproduktion durch den Zusammenbruch seines Spannungsbogens, von dem am Ende nichts, aber auch wirklich gar nichts übrig bleibt.

Im Stream auf Netflix verfügbar.
28.07.2022 12:14 Uhr  •  Christian Lukas Kurz-URL: qmde.de/135737