Social-Media – Die neue Parteimitgliedschaft?

Seit der Wiedervereinigung sind die Mitgliedschaften bei politischen Parteien im freien Fall. Seine Meinung zu verbreiten, ist durch das Internet einfach geworden, dafür muss man nicht mehr in Gaststätten Veranstaltungen planen.

In den 70er Jahren waren fast zwei Millionen Deutsche Mitglied einer politischen Partei wie der SPD, der CDU, CSU oder der FDP. Mit der deutschen Wiedervereinigung und zuletzt der EU-Osterweiterung fühlten sich die West- wie Ostdeutschen in ihren Grenzen sicher. Eine Partei-Zugehörigkeit stand in Dörfern eher im Mittelpunkt, um sich mit der Nachbarschaft zu vernetzen. Mit gemeinsamen Aktivitäten wie das Plakate kleben, politische Dinge auf die Dorfebene herunterzubrechen oder aktiven Sport wurde die Freizeit gestaltet. Hierbei waren die Sportvereine, die Obst- und Gartenbauvereine oder doch der eine oder andere politische Dorfverein, der jährlich ein kleines Fest veranstaltet, das Mittel zum Zweck: Die Freizeit zu nutzen und sich auszutauschen.

Mit der Einführung der Ganztagesschule sowie der politischen Sicherheit sank das Interesse an diesen Freizeitbeschäftigungen. Mit dem Start des mobilen Internets, das vor allem durch das iPhone im Jahr 2007 geprägt war, wurde die Freizeit sukzessiv von den Medienkonzernen verändert: Twitter statt Fußball, Facebook anstelle von Wanderungen. Der Mensch ist bequem und bleibt deshalb lieber auf dem Sofa sitzen, schaut sich auf den vielen Streamingplattformen wie Twitch, YouTube oder Netflix lieber Videos an, statt aktiv zu werden.

Das merkten vor allem die Volksparteien, die im Jahr 2020 auf insgesamt 800.000 Mitglieder schrumpften. Zwar erlebten die Grünen in den vergangenen Jahren ein deutliches Wachstum, aber das macht das politische Desinteresse nicht wett. Oder muss man heutzutage überhaupt noch in einem Ortsverein Mitglied sein, um sein politisches Interesse auszudrücken? Immer öfter tauchen in der Facebook-Timeline Online-Petitionen auf, die zwar immer noch kein wirkliches Gewicht haben, aber die Menschen zusammentrommeln, die sich in eine bestimmte Richtung bewegen.

Social-Media lebt von Algorithmen, mit Likes auf ein Thema sortieren Medien wie Facebook und Twitter uns nicht gutgesinnte Meinungen aus. Das Beispiel ist besonders in den Vereinigten Staaten von Amerika sichtbar, dort treffen mit dem Demokraten und Republikanern zwei völlig verschiedene Welten aufeinander. Das nimmt solche Züge aus, dass Menschen, die Gewalt an Straftätern akzeptabel finden, auch Meinungen ausgespielt werden, die ihre Sichtweise bestätigen.

In einer solcher Social-Media-Blase befinden sich auch zunehmend deutsche User. In Foren versammeln sich beispielsweise die Aktivisten von „Fridays for Future“ und tauschen sich über ihre Aktionen aus. In Telegram-Gruppen scharen sich hunderttausende um Michael Wendler, Attila Hildmann & Co. Auch in Zeiten, in denen die Corona-Beschränkungen gen Null gehen, organisieren sich Menschen unter dem Namen „Eltern stehen auf“, um gegen die Maßnahmen der Regierung zu protestieren. Durch Social-Media-Anwendungen kommt es immer häufiger zum Aufeinanderprallen von Meinungen, der Diskurs wird zunehmend reduziert. Jede Meinung muss härter sein als die Forderung zuvor.

Es ist nicht davon auszugehen, dass Tesla-Gründer Elon Musk ein Twitter bauen wird, das zur Deeskalation beiträgt. Vor allem das amerikanische Rechtssystem sieht vor, dass jeder US-Amerikaner seine Meinung, egal wie falsch sie ist, im Internet teilen darf. Obwohl allen Beteiligten eigentlich offensichtlich sein sollte, wie das System der Algorithmen funktioniert und wie es die Meinungen letztendlich nur bestärkt, hinterfragt kaum einer das System.

Ein Beispiel: Als in Deutschland die Impfpflicht gegen das Corona-Virus debattiert wurde, beantwortete man die falsche Frage. Wieso wurde letztendlich eine Impfpflicht des Staates diskutiert, wenn die Grundlage, wie ein Impfregister und wer dieses aufbauen und pflegen sollte, nicht Gegenstand der Diskussion war? Und was müssten die verantwortlichen Stellen tun, wenn sich die Bürger nicht impfen lassen? Was wäre bei etwa zehn Millionen Menschen die letzte Konsequenz? Wer muss die Millionen Strafzahlungen und die weiteren Verurteilungen verwalten, wer würde dies umsetzen? Käme Beugehaft in Frage? Statt sich aber mit diesen komplexen Fragen zu beschäftigen, brechen die meisten Medien sowie Politiker und andere Personen das komplexe Thema auf eine einzelne Frage herunter. So hat es Social-Media geschafft, einmal mehr die politische Meinung zu kontrollieren.

Das Internet gab den Menschen einen Rückkanal, den sie nutzen konnten, um Gleichgesinnte zu finden. Doch während das Internet in seinen Anfangsjahren vor allem durch Internetforen geprägt war, nutzten die intelligenten Denker im Silicon Valley, wie sie die Beliebtheit ihrer Dienste deutlich erhöhen können. Der Anfangsgedanke dieser Dienste war durchaus lobenswert, dass Gleichgesinnte mit Hilfe von Algorithmen zu sammeln und eine gemeinsame Community aufzubauen. Doch inzwischen haben sich Themen-Blasen entwickelt, die sich gegenseitig bestätigen.

Daher wird auch weiterhin der große Konsens im Internet fehlen. Jeder sollte für sich entscheiden, ob er dieses Spiel mitspielt oder sich von dieser Algorithmen-Suppe entfernt und sich wieder mit den wirklichen Themen auseinandersetzt und eine Kompromissbereitschaft anbietet.
25.08.2022 12:06 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/136340