Streicht NBC die 22.00-Uhr-Stunde?

Bereits vor 30 Jahren war das Ende des fiktionalen Programmes nahe. Im Jahr 2009 unternahm der Sender einen ersten Schritt, der sich als riesiger Flop herausstellte. Eine kommentierende Analyse von Fabian Riedner.

Im Vergleich zum heutigen Sehverhalten sind die Probleme, die NBC im Jahr 1993 hatte, wirklich überschaubar. Damals überlegte die Chefetage des Senders, wie man mit den rückläufigen Zuschauerzahlen umgehen könnte. Die NBC-Verantwortlichen wollten den dreistündigen Sendeplan auf zwei Stunden herunterfahren. Denn: FOX startete im Jahr 1987 und schlug neue Töne mit Serien wie «Eine schrecklich nette Familie», «21 Jump Street» und «Die Simpsons» an. Doch erfahrene Produzenten wie Warren Littlefield, der 1991 die Leitung von NBC übernahm, entwickelte erfolgreiche Formate wie «Emergency Room», «Der Prinz von Bel-Air», «Law & Order» und «Seinfeld». Mit den neuen NBC-Shows war die Programmkürzung vom Tisch.

Der damalige NBC-Chef Jeff Zucker traute es Late-Night-Host Conan O’Brien nicht wirklich zu, «The Tonight Show» erfolgreich zu führen. Da O’Briens Vorgänger Jay Leno weiterhin Lust hatte, durch eine werktägliche Show zu führen, hatte man die 22.00 Uhr-Stunde abgeschafft – zumindest im fiktionalen Bereich. Die Fernsehstation startete mit einem neuen Konzept ins TV-Jahr 2009/2010 und stellte Rekorde – wie Quoten fallen können – auf. Der Schaden wurde so massiv, dass O’Brien eine riesige Abfindung bekam, nach einer einjährigen Pause zu TBS ging und Leno auf dem 23.35 Uhr-Sendeplatz wieder durch die traditionelle Late-Night-Show führen durfte. Mit Jimmy Fallon fand man wiederum vier Jahre später einen Nachfolger. Allerdings baute man ihn als charmanten Nachfolger in «Late Night with Jimmy Fallon» auf. Conan O’Brien hatte einen viel spitzeren Humor.

Nun steht NBC ein weiteres Mal mit dem Rücken zur Wand. Das Unternehmen wirft zwar weiterhin riesige Gewinne ab, aber die Fernsehzuschauer schwinden. Man überlegt deshalb ernsthaft, die 22.00-Uhr-Stunde im kommenden Jahr an die lokalen Fernsehstationen abzugeben, sodass diese dort Nachrichten senden können. Das hat einen Vorteil: Nachrichtensender wie FOX News, MSNBC und CNN fahren mit ihren Live-Strecken sehr hohe Zuschauerzahlen ein und übertrumpfen am Nachmittag zeitweise die Reichweiten von einigen Primetime-Sendungen. Außerdem sind diese sehr günstig zu produzieren, wenn einmal die Infrastruktur steht.

Doch die Nachteile sind gewaltig: Mehrstündige Fernsehshows wie «The Voice», die vor allem viel Live-Publikum anziehen, müssen neu gedacht werden. Bislang werden neue Sendungen an die erfolgreiche Show angehängt, um die Programme zum Erfolg zu führen. Mit einer zweistündigen Unterhaltungsshow ist das Promoten von neuen Inhalten nicht mehr möglich.

Die Nachteile sind allerdings viel gravierender: Zwar spart NBC so viele Millionen an Entwicklungs- und Produktionskosten, aber gleichzeitig wird der Sender deutlich unattraktiver. Die neun attraktiven Fiction-Sendeplätze würden auf einen Schlag auf fünf zurückgestuft. Das neue Programm des Senders würde schlichtweg nur noch aus Football am Sonntag, «The Voice» am Montag und Dienstag und «Law & Order» und «Chicago» bestehen. Eine der erfolgreichen Serien, die durch Crossover gehypted werden, müsste gar am Freitag unterkommen.

Neben der Programmvielfalt würde die Attraktivität des Senders leiden. Schon in den vergangenen Jahren waren die Produktionen von Universal Television eher überschaubar, Fremdkäufe hat NBC kaum vorgenommen. Die am hochwertigsten produzierten Serien wie «Noch nie in meinem Leben» hat man trotz hervorragender Kritiken an Netflix veräußert. Solche Formate ständen auch dem Comcast-Sender gut. Böse Zungen behaupten allerdings, dass man die einzig guten Formate an Konkurrenten lizenziert.

Zwar fallen die Reichweiten vieler fiktionaler Formate, allerdings hat sich der Fernsehmarkt in den vergangenen Jahren gewandelt. Derzeit werden Stoffe gepusht, die sich in Miniserien erzählen lassen. In diesem Jahr sind eine Reihe solcher Projekte wie «Inventing Anna» (Netflix), «Dopesick» (Hulu), «The Dropout» (Hulu) oder «Ms. Marvel» (Disney+) angesagt, doch NBC und Universal Television lassen immer noch zahlreiche mittelmäßige Formate produzieren, die kaum spannend sind. Es stellt sich doch eher die Frage, ob man aufgrund der bescheidenen Handlung zum Smartphone greift oder ob man tatsächlich dazu greifen würde, wenn die typischen Network-Serien nicht so inhaltsleer wären.

Bei der Abschaffung der 22.00-Uhr-Fiktion würde die werktägliche Show «The Tonight Show» um 35 Minuten vorrücken und somit direkt um 23.00 Uhr beginnen. Das könnte ein durchaus kluger Schachzug sein, aber die Amerikaner sind im Konsum des Fernsehens eingefahren. Des Weiteren könnten sich auch die lokalen Nachrichten als fulminanter Flop erweisen, wodurch Jimmy Fallon erst recht ins Straucheln gerät.

Comcast muss endlich die Hand vom Bremspedal nehmen und eine sinnvolle Wachstumsstrategie umsetzen. Zwar versorgt man Peacock mit zahlreichen Sky-Serien aus Großbritannien, doch darunter waren auch schon zahlreiche Rohrkrepierer. Weder bei Peacock noch bei NBC sind in den vergangenen Jahren wirklich qualitativ hochwertige Formate ausgegraben worden. Die meisten Formate drehen sich relativ schnell im Kreis, haben eine hanebüchene Story oder werden von Produzenten todoptimiert. Vor Jahren hatte man selbst bei kleinen Sendern wie USA Network oder Syfy qualitativ hochwertige Programme. Man denke da nur an «Monk» oder «Psych», aber inzwischen sie zu das Reality-Show-Sendern verkommen. Man kann also Comcast durchaus attestieren, dass das Programm seit Jahren schlechter wird. Sollte die 22.00-Uhr-Stunde wirklich an Nachrichten abgegeben werden, wird NBC die größte Krise seiner Geschichte erleben.
17.10.2022 11:49 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/136769