Ein neues Leben – oder: Wie dreist wird kopiert?

Kopiert wurde im deutschen Fernsehen seit je her, Sat.1 sprang nach erfolgreicher RTL-Programmierung auf den Talkshowzug auf und sendete nach dem «DSDS»-Erfolg eine eigene Castingshow. RTL wiederum kopierte Improcomedys. Anhand von Umzug-Dokus wird allerdings deutlich, dass der Trend des Kopierens eine neue Stufe erreicht hat.

Dass ein Umzug in ein neues Haus oder gar in eine fremde Stadt ein aufregendes Unterfangen ist, kann niemand abstreiten. Wie wird die neue Behausung sein? Findet man einen neuen Job oder macht's auf der neuen Arbeitsstelle genauso viel Spaß wie früher? Wie schnell finde ich neue Freunde? Fragen über Fragen, die mit einem Umzug einhergehen. Die sind wohl so spannend, dass die Kölner Produktionsfirma filmpool im vergangenen Jahr begann, eine Doku-Reihe rund um das Thema Umzug zu entwickeln. Mit dem Berliner Fernsehsender Sat.1 fand die Firma schnell einen Abnehmer – Verträge für die Produktion von 18 Folgen wurden abgeschlossen. Seit dem 10. Dezember produziert nun ein Team der filmpool die Doku-Soap, die den Titel «Unser neues Leben» tragen wird. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind zwölf Episoden im Kasten.

Am vergangenen Donnerstag kündigte der Kölner Privatsender RTL nun eine nahezu identische Doku-Soap an – selbst der Titel ist dem Original ähnlich. „Das ist dreist“, sagt Sat.1. «Umzug in ein neues Leben» soll ab dem Frühjahr beim Marktführer zu sehen sein – produzieren wird die Firma sagamedia. Da RTL allerdings erst zwei Folgen produziert hat, steht fest, dass die Sat.1-Reihe hier das Original ist. „Das ist eine sehr seltsame Art von Wettbewerbsverständnis“, sagte Kristina Fassler im Gespräch mit Quotenmeter.de. „Es wäre gelogen, wenn wir sagen würden, dass uns diese Kopiererei kalt lässt.“ Dennoch sieht sich der Berliner Sender im Vorteil. „Wir sind mit der Produktion – logischerweise – wesentlich weiter als RTL. Deswegen ist Sat.1 in der Lage schon im April auf Sendung zu gehen“, kündigte Faßler an. Wieso kopiert der Marktführer beim Klassenzweiten? RTL-Sprecher Evermann argumentierte, dass die Kölner das Original im Programm haben: „Sat.1 ist nach eigenen Angaben erst im Dezember auf das Thema "Umzug" angesprungen." RTL habe bereits im November sehr erfolgreich mit der Ausstrahlung der Umzugs-Doku «Unsere erste gemeinsame Wohnung» begonnen - "diese war von Beginn an die erfolgreichste Doku-Soap in der Daytime", so Jovan Evermann. "Die Pilotfolgen von «Unsere erste gemeinsame Wohnung» wurden von sagamedia bereits im Frühjahr 2005 produziert. Somit ist das Thema "Umzug" bereits seit über einem halben Jahr bei RTL on air - und RTL hat das Original. Zudem hat «EXTRA» bereits sehr erfolgreich den Umzug der Familie Reimann thematisiert - also lag es für RTL nahe, so etwas auch in Form einer Dokuserie zu zeigen.“

Iris Bettray, die Produzentin der Reihe «Umzug in ein neues Leben» bestätigt die Ausführungen Evermanns: „Unsere Sendung hat nichts mit Sat.1 zu tun“, sagte sie im Gespräch mit unserer Redaktion und erklärte den Werdegang des Formates.

Am Anfang sei die tägliche Dokureihe «Unsere erste gemeinsame Wohnung» gestanden, die seit November im Vormittagsprogramm bei RTL läuft. Dort geht es um Pärchen, die ihre erste gemeinsame Wohnung beziehen. Bei den Castings sei allerdings klar geworden, dass es viele andere Menschen gibt, die von Interesse wären, aber eben kein Pärchen sind, oder nicht die erste gemeinsame Wohnung beziehen würden. „So ist dieser Spin-Off entstanden.“ Zu diesem Zeitpunkt hätte die Produktionsfirma sagamedia noch gar nichts von den Plänen der Konkurrenz gewusst. „Ich weiß ja nicht mal, wie das Sat.1 Format genau aussieht“, so Bettray. Genauso wie «Unsere erste gemeinsame Wohnung» wird auch «Umzug in ein neues Leben» vorerst laufend produziert, ab April zeigt RTL dann die ersten acht Folgen.

Der Bällchensender gibt sich kampfeslustig: Denn die Berliner wollen bei diesem Format unbedingt Erster sein. Daher wäre auch ein Start ab Anfang April möglich. Zwar würden dann nicht alle 18 Folgen am Stück gezeigt werden, so Kristina Faßler, dennoch wäre es machbar, die bislang produzierten Episoden zu zeigen. Der Berliner Sender liebäugelt, die Doku-Soap mit einem Platz im Vormittagsprogramm zu bestücken.

Hat RTL hektisch produziert?
Alles in allem scheint festzustehen, dass der Marktführer durch das Sat.1 Projekt unter Zugzwang geraten ist - zumindest was den Einstarttermin betrifft. Ohnehin hat man das Gefühl, dass RTL seiner Sendung mehr vertraut, als Sat.1 dem vermeintlichen Original. Denn der Marktführer will das Format in der Primetime senden, mittwochs um 21.15 Uhr. Los gehen soll es – wie auch bei Sat.1 – bereits im April. Die Frage, wer als erstes mit der Produktion begonnen hat, ist bereits beantwortet. Die Frage, Die Frage, ob sagamedia von filmpool abgeschaut hat oder andersrum, kann niemand wirklich beantworten. Wer als erster auf Sendung geht – auch in diesem Punkt bleibt die Spannung erhalten. Die Zukunft wird aber zeigen, wie die TV-Gemeinde auf so etwas reagieren wird. Denn am Ende entscheiden – wie immer – die Einschaltquoten darüber, wer recht hat und wer nicht.

Eines zeigt dieses Wettrüsten aber ganz deutlich: Die Zeiten, in denen sich Fernsehsender zurück lehnen und lange an einem Format arbeiten können, sind vorbei. Der Kölner Sender verteidigt seine Position mit allen Mitteln, Sat.1 sieht unterdessen sich im Recht. Und eigentlich muss es eine gute Idee sein, wenn zwei unabhängige Fernsehanstalten zwei nahezu identische Formate entwickeln – ob es abgekupfert ist, soll nun jeder für sich selbst entscheiden.
21.03.2006 16:25 Uhr  •  Manuel Weis  •  Quelle: Quotenmeter.de Exklusiv Kurz-URL: qmde.de/13763