Die Kritiker: «Tatort: Spur des Blutes»

Eine junge Prostituierte wird in einem Kanal bei Köln gefunden. Der Mörder hat sie förmlich zu Tode geprügelt. Solch ein Fall lässt auch die Hauptkommissare Max Ballauf und Freddy Schenk nicht unberührt. Mehr noch als sie scheint jedoch ihre Kollegin Nathalie Roth von dem Fall berührt zu sein.

Stab

REGIE: Tini Tüllmann
DREHBUCH: Arne Nolting, Jan Martin Schaf
PRODUKTION: Jan Kruse
MUSIK: Reinhold Heil
KAMERA: Ralph Kaechele
SCHNITT: Benjamin Kaubisch
DARSTELLER: Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Roland Riebeling, Tinka Fürst, Greta Bohacek, Robert Stadlober, Sophie Roeder, Charlotte Lorenzen, Carlos Lobo, Joe Bausch
25 Jahre Ballauf und Schenk, 25 Jahre Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär im Dienste der deutschen Kriminalfilmunterhaltung. Zu diesem Jubiläum hätte der WDR sicher einmal ein etwas größeres Budget springen lassen dürfen. Die beiden Veteranen hätten es verdient, schließlich gehören sie zu den beliebtesten deutschen Fernsehkommissaren. Behrendt und Bär stellen ihre beiden Ermittler stets als souveräne Beamte mit Herz dar. Sie sind zu echter Empathie fähig, was einem beachtlichen Teil deutscher TV-Ermittler dann doch etwas abgeht, die es oft, da von persönlichen Dämonen besessen, an eben dieser Empathie fehlen lassen. Gleichzeitig jedoch lassen sie nie einen Zweifel daran aufkommen, dass die Figuren, die sie darstellen, Profis sind, die sich nicht von persönlichen Gefühlen leiten lassen.

Doch auch Ballauf und Schenk können den Beruf nicht immer vom Mensch trennen. Die junge Frau im Kanal ist gerade einmal 19 Jahre alt und ihr Tod ist ein Akt barbarischer Gewalt. Sie wurde geschlagen, sie wurde vergewaltigt, der Täter hat ihr diverse Knochen gebrochen. Die Identität der jungen Frau ist schnell geklärt. Zur Überraschung von Ballauf und Schenk stammt die Tote, Lara Krohn, aus einem wohl situierten Umfeld und die Reaktion ihrer Mutter auf die Todesnachricht, die müssen selbst die beiden altgedienten Hauptkommissare verdauen. Ihre Mutter nämlich nimmt ihren Tod zur Kenntnis. Lara war schon lange verloren, erklärt sie den Ermittlern lapidar. Es habe so kommen müssen. Nun ist passiert, was sie und ihr Mann lange befürchtet haben.

Es fließen keine Tränen.
Ihre Tochter ist tot.
Ihr Leben geht weiter.

Ganz anders reagiert Kim, Laras beste Freundin. Sie bricht fast zusammen, als sie von Ballauf und Schenk vom Tod Laras erfährt. Ganz im Gegensatz zu ihrem Zuhälter, einem schmierigen, zweitklassigen Goldkettchenträger, dem der Tod Laras nur nahegeht, weil sie ordentlich Geld angeschafft hat. Immerhin kann Kim den Ermittlern eine erste Spur präsentieren: Als sie Lara zum letzten Mal gesehen hat, ist sie in ein Auto eingestiegen und sie, Kim, hat das Kennzeichen fotografiert.

Währenddessen stolpert die Gerichtsmedizinerin Nathalie Roth bei ihren Untersuchungen der Leiche über eine seltsame Übereinstimmung der DNA der Toten mit ihrer eigenen. Geht sie zunächst davon aus, dass sie versehentlich eine Probe verunreinigt hat, übersteht das Ergebnis jedoch auch einen zweiten Test. Sie hegt einen Verdacht – den sie Schenk und Ballauf jedoch vorenthält. Stattdessen stellt sie selbst Ermittlungen an.

Independent Regisseurin
Regisseurin Tini Tüllmann erlebte 2018 mit dem von ihr ohne Filmförderung inszenierten Thriller «Freddy/Eddy» ein Wechselbad der Gefühlte. Die Geschichte über einen Maler, der angeblich seine Ehefrau brutal zusammengeschlagen hat, sich an die Tat aber nicht erinnern kann und dann von seinem imaginären Freund aus Kindertagen heimgesucht wird, wurde von der deutschen Kritik, sofern die gerade einmal 75.000 Euro teure Produktion überhaupt zur Kenntnis genommen worden ist, ziemlich auseinandergenommen. Anders sah dies im Ausland auf, wo der Film vor allem von Freunden des Horrorfilms sehr wohlwollend aufgenommen wurde.

Mit 45 Jahren hat die Regisseurin, die früher unter anderem im Catering tätig war, nun ihren ersten «Tatort» inszeniert. Und der setzt Ausrufezeichen, auch wenn zu befürchten ist, dass ihr erster «Tatort» auch ihr letzter sein wird. Allein die Tatsache, dass sie überhaupt kein gesellschaftlich relevantes Thema interessiert und an keiner Stelle einen linksliberalen Zeigefinger hebt, um auf einen Missstand in der bundesrepublikanischen Gesellschaft hinzuweisen: Das ist für einen Gegenwarts-«Tatort» ja fast schon ein revolutionäres Konzept und mit Sicherheit keines, das sie für weitere Filme qualifiziert. Ein Kriminalfilm, der, bei aller Härte, am Ende nur unterhalten möchte?

Und dann sieht der Film auch noch verdammt gut aus. Nicht, dass ein WDR-Budget ausreichen würde, um wirklich große Bilder zu kreieren. Dennoch setzt die Regisseurin einige Ausrufezeichen, wie etwa bei der visuellen Umsetzung des Leichenfundes, den sie als einen einzigen Kamera(drohnen)flug über dem Kanal und dem Abflussbecken, in dem Laras Leiche schließlich gefunden wird, inszeniert.

Die Geschichte (Drehbuch: Arne Nolting und Jan Martin Schaf) traut sich dann auch noch an einige überraschende – Auslassungen! Die Reihe «Tatort» neigt dazu, das Tun bestimmter Personengruppen bis zum Exzess zu analysieren. Eine junge Frau, ja fast noch ein Mädchen, das aus einem offenbar wohl situierten Umfeld stammt und dennoch auf den Strich gegangen ist? Da muss es doch eine tragische Hintergrundgeschichte von Missbrauch und Gewalt geben.

Doch, Spoiler, die gibt es nicht. Und wenn doch, interessiert sie die Inszenierung nicht, weil sie tatsächlich für die Kriminalgeschichte ohne Belang ist. Obwohl wir, die Zuschauer, Lara über ihre Freundin Kim nahekommen, in kurzen Momenten ihre Freundschaft erleben und an Kims Schmerz partizipieren – erfahren wir über Laras Vergangenheit nichts. Ja, ihre Mutter mag unfassbar kühl in dem Moment wirken, in dem sie von Laras Tod erfährt. Aber was, wenn diese Mutter emotional einfach nicht mehr anders kann, weil sie versucht hat Lara zu retten und Lara diese Rettung verweigert hat, wie in einem Nebensatz angedeutet wird? War Lara vielleicht eine Rebellin ohne Grund?

Laras für diesen Film relevante Geschichte? Sie ist in das falsche Auto gestiegen. Ihr Tod ist ein Zufall. Das Leben ist eben manchmal ein unergründlicher Drecksack.

Fazit: Der 85ste Ballauf/Schenk-Fall ist ein «Tatort» ohne Fehl und Tadel. Geradlinig inszeniert. Auf den Punkt geschrieben. Ohne unnötige Schlenker. Souverän gespielt.

Am Sonntag, 23. Oktober 2022, 20.15 Uhr, Das Erste
22.10.2022 11:37 Uhr  •  Christian Lukas Kurz-URL: qmde.de/137711