Die Kritiker: «Tatort - Die Blicke der anderen»

Ein Schlafzimmer voller Blut und eine Ehefrau, die von nichts wissen will: Der neue «Tatort» wagt den Blick hinter die Fassade der gehobenen Mittelschicht.

Stab

Darsteller: Eva Löbau, Hans-Jochen Wagner, Lisa Hagmeister, Daniel Lommatzsch, Sean Douglas, Ruth Wohlschlegel
Musik: Verena Marisa
Kamera: Stefan Sommer
Drehbuch: Bernd Lange
Regie: Franziska Schlotterer
Eigentlich könnten die Vogts eine badische Traumfamilie sein. In einer ruhigen Gegend, wo vor zehn Jahren noch überall Streuobstwiesen statt der Einfamilienhäuser standen, wohnen sie in einer schönen Immobilie, und haben vor allem sich: Sandra und Gerd (Lisa Hagmeister und Daniel Lommatzsch) und ihre beiden Söhne. Aber etwas hat das Familienglück gestört oder vielleicht sogar zerstört. Denn als Sandras Schwiegermutter (Ruth Wohlschlegel) eines Morgens das Haus betritt, ist niemand da – und als sie ins Elternschlafzimmer geht, fällt sie beinahe in Ohnmacht: Überall ist Blut.

Die Beziehung von Sandra und ihrer Schwiegermutter war schon seit langer Zeit angespannt – und auch in der Nachbarschaft ist Sandra nicht gerade beliebt. Warum man sie nicht sonderlich mag, kann keiner so recht sagen: „Sandra ist eben Sandra“, heißt es immer vieldeutig. Nur, dass sich auch Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) vom LKA nicht so recht einen Reim auf diese Missgunst machen können.

Sie gabeln sie schließlich in einem Café an einer Autobahnraststätte auf. Da sitzt Sandra gedankenverloren und trinkt Kaffee am frühen Morgen. Was bei ihr zuhause los ist, davon ahnt sie nichts: Ihr Ehemann und ihr ältester Sohn sind verschwunden. Und obwohl die Zeit drängt, will sie den Polizisten nicht um alles in der Welt sagen, wo sie die letzte Nacht verbracht hat: Zuhause war sie laut Verkehrsüberwachung nämlich nur in den frühen Morgenstunden, und auch dann nur ganz kurz.

Hat Sandra kaltblütig ihren Ehemann abgestochen und ihr Kind ermordet und versucht nun, dieses furchtbare Verbrechen zu verschleiern? Oder hat Sandra andere Gründe, um den Fragen von Friedemann Berg und Franziska Tobler auszuweichen? Schließlich gibt es da noch Gerd Vogts alten beruflichen Rivalen: Der verdient mit einer alten Idee, die Gerd vor vielen Jahren entwickelt hat, nämlich nun richtig viel Geld und muss ihm davon nun mehrere Millionen Euro abgeben – sicherlich ein recht handfestes Motiv. Aber vielleicht auch etwas zu einfach für diese Vorstadtidylle.

Denn einfach will es sich «Tatort – Die Blicke der anderen» nicht machen und fühlt sich wohl ein bisschen zu wohl damit, diesen Krimi als Blick hinter die Fassade der gehobenen deutschen Mittelschicht zu verkaufen. Dabei nimmt sich dieser Film manchmal etwas zu wichtig, während er nämlich eigentlich eine relativ simple Geschichte erzählt: von Betrug und Gesichtsverlust und Missgunst. Ein Blick ins Herz dieses Milieus hätte aber noch viele weitere Aspekte abdecken müssen, um wirklich auch auf dieser Ebene überzeugen zu können, als einfach in einer Tour „Sandra ist eben Sandra“ als bedeutungsschwangere Diagnose vorzubeten.

Der Film «Tatort – Die Blicke der anderen» ist am Sonntag, den 6. November um 20.15 Uhr zu sehen.
05.11.2022 11:00 Uhr  •  Oliver Alexander Kurz-URL: qmde.de/138010