Welch Wehklagen. Es ist vorbei. Nach nur zwei Staffeln hat Netflix die Serie aus dem Programm geschmissen. Kurz und schmerzlos wurde verkündet: Das war es. Die Fans sind enttäuscht und verdammen Netflix. Dabei war ein Ende absehbar, denn ein echter Hit ist die Serie nie gewesen.
Stab
USA 2022
SHOWRUNNER: Shion Takeushi, Alex Hirsch, Mike Hollingsworth (Idee)
REGIE: Mike Bertino, Mollie Helms, David Ohs, Hanna cho, Vitaly Strokus
DREHBÜCHER: Mike Dow, Devon Kelly, Adam Lederer, Burke Scurfield, Alisha Brophy, Scott Miles, Chase Mitchell, Danien Kibblesmith, Shion Takeuchi
ORIGINAL-STIMMEN: Lizzy Caplan, Christian Slater, Clark Duke, Andrew Daly, Bobby Lee, John DiMaggio, Tisha Campbell, Brett Gelman, Chris Diamantopoulos
Ihr Herz sei gebrochen, teilt die Animationskünstlerin und Showrunnerin Shion Takeushi den Fans der Serie in einem Tweet am 8. Januar 2023 mit. An dem Tag hat Netflix die weitere Produktion der Serie eingestellt. Kam dies tatsächlich – überraschend? Zunächst einmal: Gibt es überhaupt zwei Staffeln? Netflix hat ursprünglich 20 Episoden geordert, von denen sind zehn 2021 ausgestrahlt worden. Ende 2022 folgten noch einmal acht Episoden. Sind diese acht Episoden also einfach nur die zweite Hälfte der ersten Staffel? Und seit wann ergibt 10 + 8=20? Gut, man soll nicht päpstlicher als der Papst sein. Die erste Staffel auf jeden Fall konnte in 28 Ländern in die Top 10 vorrücken, aber nur in einem Land, der Ukraine, hielt sie sich für zwei Wochen. In allen anderen Ländern flog sie nach einer Woche auch schon wieder raus. Ungewöhnlich für eine Serie, die doch eigentlich Kultpotenzial besitzen sollte: Schließlich sind Verschwörungstheorien gerade gesellschaftlich en vogue und «Inside Job» spielt mit dem Gedanken: Egal, wie bekloppt eine Theorie auch sein mag – sie ist echt! Ob ein von Aliens geschwängerter Kennedy, eine hohle Erde, Reptiloiden, nichts davon ist erfunden. Trotz dieser Ausgangssituation konnte die Serie aber nie ein wirklich großes Publikum für sich begeistern.
Zur Erinnerung: «Inside Job» erzählt die Geschichte von Cognito. Cognitos Aufgabe: Dafür zu sorgen, dass die Menschen nicht erfahren, dass alles, was als Verschwörungstheorien abgetan wird, in Wahrheit, nun ja, wahr ist. Die Hauptfigur der Serie ist Reagan Ridley. Reagan ist um die 30 und ein Genie. Schon als Kind hat sie ihren ersten Uni-Abschluss gemacht. Das Problem: Reagan ist auch eine ziemlich unleidliche Sozialphobikerin mit leichten Asperger-Syndrom. Macht sie sich anfangs noch Hoffnungen, irgendwann die Führung von Cognito übertragen zu bekommen, wird ihr eines Tages Brett Hand vor die Nase gesetzt: ein Mann ohne Eigenschaften. Er ist kein Genie, er ist kein Mutant, er ist einfach der dritte (ungeliebte) Sohn einer sehr, sehr reichen Familie. Und ja, er hat Charisma. Menschen mögen ihn einfach. Ein Gag der Serie besteht fast schon darin, dass Brett auch tatsächlich ein netter Kerl ist. Er ist verständnisvoll, er glaubt sogar daran, dass Cognito eigentlich Gutes tut. Irgendwie zumindest.
Die erste Staffel besteht weitestgehend aus Einzelepisoden, die sich recht gut wegschauen lassen. Zum Ende hin jedoch spinnt «Inside Job» einen Handlungsstrang, der sich mit Reagans Vergangenheit auseinandersetzt. Einer Vergangenheit, in der sie angeblich einsam gewesen sein soll. Sie war ein Genie und niemand wollte etwas mit ihr zu tun haben.Wie sich jedoch herausstellt, stimmt das nicht. Es sind traurige Erinnerungen, die ihr Vater ihr eingesetzt hat, damit sie sich auf das Wesentliche konzentriert: Ihre Genialität und deren Einsatz für seine Karriere bei Cognito. Die Sache ist nämlich die: Rand Ridley, ihr Vater, ist der vielleicht intelligenteste Mensch auf Erden. Er ist aber auch ein Arschloch epischen Ausmaßes. Seine Liederlichkeit ist derart gewaltig, dass er trotz seiner Genialität irgendwann bei Cognito rausgeschmissen worden ist. Nun gibt es Momente im Verlauf der ersten Staffel, die vermuten lassen, dass Rand gar nicht so mies ist, wie wir ihn sehen. Es sind Momente, in denen er mit seinem Wissen Reagan aus einer Notsituation heraus hilft. Oder in denen so etwas wie ein echter Stolz auf seine Tochter durchschimmert. In dem Moment jedoch, in dem klar wird, was er seiner Tochter angetan hat, steht fest: Rand Ridley lässt selbst die Verschwörer, die die Welt in Wahrheit beherrschen, nett aussehen. Die Serie wagt sich in diesem Moment zu einem Bruch, der es in sich hat. Hier stehen zwei Hauptfiguren, die sich nie wieder etwas zu sagen haben werden und zumindest Reagan hat keinen Grund, für diesen Kerl auch nur im Ansatz so etwas wie Sympathie zu empfinden.
Der Cliffhanger zur zweiten Staffel lässt ausgerechnet Rands Traum wahr werden. Da der Chef von Cognito eines Betruges überführt wird, ist dessen Stelle vakant und es ist ausgerechnet Rand, der aus dem Ruhestand zurückgeholt wird.
Staffel 2
So beginnt die zweite Staffel also damit, dass Rand nun Cognito vorsteht → und diese Staffel hat nicht den Hauch einer Idee, was aus Rand eigentlich werden soll. Rand ist ein Ichling, was aus der ersten Staffel bekannt ist. Doch was will Rand, außer, dass seine Ex-Frau mal wieder mit ihm ausgeht? Niemand weiß es. Rand, in der ersten Staffel immerhin noch eine Witzfigur mit Abgründen, verkommt in der zweiten Staffel direkt zur Witzfigur. Abgründe? Da ist nichts mehr. Die Geschichte von Rand ist auserzählt!
Was nun in der zweiten Staffel passiert? Das gleiche, wie in der ersten Staffel. Die einzelnen Episoden verlaufen etwa wie folgt: Uh, es gibt da, sagen wir, die Verschwörungstheorie, dass alle großen Hollywoodstars bluttrinkende Vampire sind. Inklusive Keanu Reeves, der gerade Reagans Mutter den Hof macht. Natürlich ist die Theorie wahr und am Ende der Episode bleibt das Geheimnis gewahrt. Ab geht es zur nächsten Geschichte. Dass Verschwörer, egal ob Illuminaten, Reptiloide oder Schauspieler in Wahrheit allesamt wenig intelligente, aufgeblasene Wichtigtuer sind, die ihr Leben als einen einzigen Saufurlaub in Acapulco betrachten: Diese Idee wurde in der ersten Staffel auch schon aufgenommen. Sie ist nicht neu, sondern wird in dieser Staffel nur wiederholt. Nebenbei gibt es einen kleinen episodenübergreifenden Handlungsstrang (Reagan verliebt sich in einen Agenten der Konkurrenz, was immerhin ihrem Charakter etwas mehr Tiefe verleiht), ansonsten kalauert sich die Serie von Story zu Story. Weitere Hauptfiguren der ersten Staffel bleiben, was sie sind: Magic Myc, ein Pilz aus der Hohlerde, ist und bleibt ein sexsüchtiger Unsympath, Dr. André, der Top-Wissenschaftler im Team, hat immer noch ein Drogenproblem, der Halbdelfin Dolphman bleibt ein Komisskopf und Gigi, die Marketing-Expertin, arbeitet weiterhin daran, Cognito nach Außen hin gut aussehen zu lassen. Nichts verändert sich wirklich. Was die Reaktionen der Figuren auf dramatische oder absurde Situationen so unendlich voraussehbar und öde macht. Von Reagan und Brett abgesehen (sowie Staedtler, jenem Agenten, in den sich Reagan verliebt), sind alle handelnden Figuren Charaktere aus Schablonen. Sie handeln nie überraschend, nie kontrovers. Sie handeln immer, und zwar wirklich immer genau so, wie die Schablone dies vorgibt und wie dies aus der ersten Staffel bekannt ist.
Nun war die erste Staffel (oder bitte, die erste Halbstaffel) kein Hit. Dennoch arbeiteten die Künstlerinnen und Künstler bereits an er zweiten Staffel (oder der zweiten Halbstaffel). Aus der Perspektive der Kreativen ergab sich somit die Chance, die Serie ehrwürdig enden zu lassen. Es ist die Krux der Gegenwart, dass kaum ein Produzent, kaum eine Kreative, wirklich auf zwei, drei, vier Staffeln hin planen kann. Die Zahl der Serien, die nie zu einem Ende fanden, da ihnen der Stecker gezogen wurde, ist erquicklich. Im Fall von «Inside Job» stand fest, dass es kein „weiter“ geben würde. Und an diesem Punkt wird die Geschichte unangenehm: Die zweite Staffel endet natürlich mit einem fetten Cliffhanger und jetzt ist Netflix der böse Kapitalistenkonzern, der den Fans (die es gibt, das ist keine Frage) die Freude an ihrer Serie versaut hat. So konnte man es am Tag der Absetzung x-fach auf Twitter lesen. Aber hier ist das Fanpublikum ein Opfer der eigenen Blase geworden und die Macher machen sich entweder einen schlanken Fuß, wenn sie nun den Schwarzen Peter für die Absetzung an Netflix weiterreichen – oder sie haben zu sehr auf ihre Fanbase geblickt und zu wenig auf die tatsächlich eher mäßigen Klickzahlen für die ersten zehn Episoden. Auf wichtigen Märkten wie Frankreich oder Japan konnte die Serie keine Top-10-Platzierung erzielen, aber auch auf großen Märkten wie dem südamerikanischen, war «Inside Job» de facto nicht präsent. Und in den USA reichte es für gerade einmal eine Woche für einen fünften Platz. Wer nun auf Netflix schimpft, sollte berücksichtigen, dass die zweite Staffel nicht einmal mehr in den USA, in Deutschland oder Großbritannien wahrnehmbare Clickzahlen erreicht hat. Die Serie war beim großen Publikum ein Flop. Das ist für Fans bitter, aber das ist die Wahrheit und keine Verschwörung finsterer Mächte.
Dennoch findet die Serie eben nicht zu einem Moment des Abschlusses. Sie endet wie so viele andere Serien auch und vertut die Chance eines ehrenvollen Abgangs!
«Inside Job» gibt es bei Netflix
06.02.2023 11:07 Uhr
• Christian Lukas
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