Lara-Sophie Milagro: ‚Höhepunkt jedes Talks präsentierte performative Performance‘

Im Gespräch mit Quotenmeter teilte Milagro mit, dass sie auch gerne Rollen abseits der schwarzen Hautfarbe synchronisieren möchte.

Hallo Frau Milagro. Bevor wir über Ihren neuen Talk sprechen, wollte ich über Ihre Stimme reden. Sie synchronisierten unter anderem Kahina (Wumni Kosaku) bei «Badman vs. Superman» und liehen Ihr wieder bei «His House» die Stimme. Haben Sie Freude am Synchronisieren?
Ich mag das Synchronisieren sehr. Im Synchron und auch bei Hörbuchaufnahmen, arbeite ich noch mal viel spezifischer mit meiner Stimme als Haupt-Ausdrucksmittel als im Theater oder im Film. Es ist immer wieder faszinierend zu erleben, wie viel man allein mit der Stimme ausdrücken kann, was für Welten durch Sprache, durch Stimme aufgehen.

Sie leihen vorwiegend People of Color Ihre Stimme. Legen Sie darauf Wert oder würden Sie jeden synchronisieren?
Natürlich würde ich jede*n synchronisieren, sehr gerne sogar! Dass ich das bisher noch nicht getan habe, liegt an den Rollen, die mir im Synchron bisher (nicht) angeboten wurden, weshalb ich bisher ausschließlich schwarze Rollen im Synchron gesprochen bzw. Bücher von schwarzen Autor*innen für Hörbuch aufgenommen habe. Ich hatte das große Glück, Werke von so großartigen Autorinnen wie Bernardine Evaristo und Candice Carty-Williams einzusprechen. Aber ich möchte nicht darauf reduziert werden, schwarze Rollen zu sprechen. Ich würde mir sehr wünschen, dass sich, auch im Synchron, die Besetzungspraxis hin zu mehr Diversität entwickelt, und Schauspieler*innen of Colour gleichberechtigten Zugang zu Rollen haben. Genau wie weiße Schauspieler*innen ja auch immer schon (B)PoC Rollen gelesen und synchronisiert haben, kann ich als Schwarz Schauspielerin auch weißen Figuren meine Stimme leihen oder Werke von weißen Autor*innen einsprechen. Ich bin Schauspielerin. Ich wurde ausgebildet, Figuren darzustellen und zu sprechen, die ich im realen Leben nicht bin. Ich kann das.

«Decolonized Glamour Talks» startet am 9. Februar 2023 bei YouTube. Was ist unter einer „performativen“ Talkreihe zu verstehen?
Diversitätsdebatten in der deutschen Kulturszene laufen immer noch und immer wieder im Schneckentempo: “Eine asiatisch gelesene Maria Stuart - geht das?” “Ist das nicht auch ungerecht, wenn ein Schauspieler ohne Behinderung keinen Rollstuhlfahrer mehr spielen darf?” „Ist das N-Wort in Kinderbüchern wirklich so schlimm?”, “Warum nochmal?“. Darauf hatte ich keine Lust mehr und habe «Decolonized Glamour Talks» (DGT) erfunden und konzipiert und in Kooperation mit dem Missy Magazine und Nachtkritik ins Leben gerufen. Wir wurden dabei finanziell durch den Fonds Darstellende Künste und die Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt. Besonders dankbar bin ich drei Redakteur*innen für ihren Support: Penelope Dützmann, Esther Slevogt und Thembi Wolf. In 12 Talks spreche ich mit 12 großartigen Künstler*innen verschiedenster Vorder – und Hintergründe über ihre Arbeit. Meine Gäst*innen sind in der Mehrheit Frauen, aus der BPoC und / oder Queer sowie Künstler*innen mit Behinderung. Wir sprechen über unsere Wünsche und Zukunftsvisionen, Träume und Alpträume in Bezug auf die zeitgenössische (deutsche) Kulturszene, über neue Arbeitsweisen, die Freie Szene und den Mainstream. Fester Bestandteil und Höhepunkt jedes Talks ist eine von mir und meiner Gäst*in gemeinsam entwickelte und präsentierte performative Performance, die Themen des Talks noch einmal künstlerisch verdichtet. Mich interessiert: Was inspiriert meine Gäst*innen, was treibt sie an? Wie nehmen sie die Bedingungen für das Kunst machen hierzulande wahr, wie brechen sie mit Stereotypen, wie nutzen sie ihre Positionen und Privilegien? Und: Wie gehen sie damit um, immer wieder als Vertreter*innen einer Minderheit angesprochen werden, statt einfach nur das machen zu können, was sie machen wollen: nämlich Kunst! Ab dem 09. Februar veröffentlichen wir jede Woche Donnerstag um 19 Uhr eine neue Folge von DGT über nachtkritik.plus und missy-magazine.de. Und am 05. Februar wird es im Studio я des Maxim Gorki Theaters Berlin ein Lauch Event geben, bei dem wir das Talkformat vor Ausstrahlung der ersten Folge vorstellen und feiern.

Ich zitiere Sie: „Warum beginnen die Debatten über zeitgenössische deutsche Kunst- und Kulturszene so oft bei Minus 100?“ und bitte Sie um eine Antwort.
Wissen Sie, diese Frage stelle ich mir auch jeden Tag. Ich freue mich, wenn Sie mir Bescheid geben, wenn Sie eine Antwort haben.

Sie leisten sich kein teures Studio, sondern suchen Kulturstätten auf. Sie verzichten auf Kamerafahrten, sondern konzentrieren sich auf das Gespräch. Sind das die positiven Vorteile, wenn man bei Nachtkritik.de und Missy Magazine ein geringeres Budget hat?
Die Locations, in denen wir «Decolonized Glamour Talks» gedreht haben, waren die Räume der Dekoloniale, der Friedrichstadtpalast, das Theater im Delphi, die Volksbühne und das Gorki Theater. Wie Sie vielleicht wissen, ist der Friedrichstadtpalast Drehort für viele große, auch internationale Filmproduktionen, u.a. wurden «The Queen's Gambit» (Netflix) und «Der Palast» (ZDF) hier gedreht, das Delphi Theater war einer der Hauptdrehort für der ARD Erfolgsserie «Babylon Berlin» und die Dekoloniale ist regelmäßig Austragungsort der Biennale. Das sind also grundsätzlich erstmal keine Locations, die man für kleines Geld bekommt. Ich bin glücklich, dankbar und fühle mich sehr geehrt, dass alle fünf Locations unsere Talkreihe unterstützen und wir die Möglichkeit hatten, dort zu drehen. Ganz abgesehen davon hatte die Wahl der Locations einzig und allein inhaltlich-dramaturgische Gründe. Inwiefern, das werden Sie herausfinden, wenn Sie sich die Talks anschauen, denn wir setzen jeden einzelnen Talk auch in Bezug zu der Location, in der er stattfindet. Und: In den performativen Präsentationen erwarten die Zuschauer*innen jede Menge Kamerafahrten!

Sie haben unter anderen Daniel Donskoy zu Gast, aber zahlreiche andere Künstler waren mir unbekannt. Ist das also eine Empfehlung, dass ich Ihre Sendung schauen muss?
Ich empfehle Ihnen natürlich unbedingt, sich «Decolonized Glamour Talks» anzuschauen - jede einzelne Episode der ersten Staffel rückt eine*n wunderbare Künstler*in in den Fokus, aus ganz unterschiedlichen Bereichen der Branche, präsentiert spannende neue Perspektiven auf die deutsche Kunst- und Kulturlandschaft, ist unterhaltsam, berührend, kontrovers und in jeder Hinsicht Horizont erweiternd. Ich bin absolute Fan Frau jeder meiner 12 Gäst*innen und Sie werden es auch sein, wenn Sie die Staffel gesehen haben.

Gegen Ende einer jeden Sendung werden Ihre Gäste musikalisch und schauspielerisch aktiv. Wie lang dauert so eine Vorbereitung und erschwert es den Dreh?
Die Vorbereitungen haben ganz unterschiedlich lange gedauert, je nachdem, was wir gemacht haben und worauf die jeweilige Gäst*in auch Lust hatte. Den Dreh erschwert hat es eigentlich nicht, wir hatten ja tolle Locations, die wir auch danach ausgesucht haben, dass wir dort performen wollen und wir haben die meisten Performances gleich im Anschluss an den Talk gedreht. Einige wenige performative Einlagen haben wir an einem anderen Tag gedreht, das war dann schon etwas aufwendiger. Aber es hat sich auf jeden Fall gelohnt, die performativen Präsentationen sind für mich der Höhepunkt jedes Talks.

Sie sind ebenfalls bei der Performance aktiv. Hilft Ihnen Ihre Erfahrung von den zahlreichen Bühnen, auf denen Sie spielten?
Ja, die Tatsache, dass ich Schauspielerin bin, hat mir bei den Performances durchaus geholfen.

Der «Anne Will»-Sendeplatz ist ab 2024 frei. Sollte Ihrer Meinung nach die ARD dort nicht nur Politik-Talks, sondern auch andere Gesprächsrunden wie Ihre oder funk-Formate wie «deep und deutlich» dort senden?
Ich bin großer Fan von «deep und deutlich» bei funk oder auch von «five souls» beim SWR. Was «Decolonized Glamour Talks» betrifft - ich habe ein offenes Ohr für Anfragen zur Produktion einer 2. Staffel, gerne auch bei der ARD!

Sie haben drei Jahre eine monatliche Kolumne für Nachtkritik.de geschrieben. Haben Sie demnächst wieder Lust, die Seiten mit Ihren Texten zu füllen?
Lust schon, aber leider keine Kapazitäten. Die Kolumne für nachtkritik.de habe ich sehr gerne geschrieben, aber mein Fokus liegt ganz klar auf einer Arbeit als Schauspielerin.

Vielen Dank für das Gespräch!
07.02.2023 11:39 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/139984