‚Wir sind erfolgreich mit unserer Strategie‘
Jennifer Wilton (Chefredakteurin der Tageszeitung DIE WELT) und Jan Philipp Burgard (Chefredakteur von WELT TV) sind die Chefredakteure von WELT. Im Gespräch erzählen die Beiden, warum ein gemeinsames Zuhause wichtig ist.
Hallo Frau Wilton, Hallo Herr Burgard. Im Frühjahr 2021 sind Welt Print und Fernsehen unter ein Dach gezogen. Fühlen Sie sich in Ihrem neuen Zuhause wohl?
Burgard: Absolut. Wir arbeiten in einem der architektonisch spektakulärsten Gebäude Berlins. Wir senden unsere Live-Nachrichten von morgens 6.00 Uhr bis abends 20.00 Uhr aus dem modernsten Studio Europas. Das offene Konzept hat TV, Print und Online redaktionell enger zusammengebracht. Der Raum unterstreicht unseren journalistischen Anspruch.
Wilton: Wir fühlen uns sehr wohl. Es ist phantastisch, endlich in dem gleichen Gebäude zu sein; die kleine Treppe, die von unserem Newsroom hoch in den Fernsehnewsroom und zum Studio führt ist unser Lieblingsfeature.
Zeitungen, die morgens im Briefkasten landen, werden seit Jahren weniger. Wie erfolgreich sind Sie mit Ihrer Strategie?
Wilton: Wir sind sehr erfolgreich mit unserer Strategie, denn die lautet seit sehr vielen Jahren: online zu print, und seit noch viel mehr Jahren: Online first. Digital erreichen wir mehr Leser denn je, und sind eines der erfolgreichsten Newsportale überhaupt. Wir lieben Zeitungen, aber wir passen unsere Strategie natürlich an: Unsere Inhalte finden dort statt, wo die Leser sind.
Kommen wir zum Vorurteil Axel Springer: Menschen, die keine Zeitung abonniert haben, erzählen mir, sie lesen Welt. Stattdessen merke ich, dass sie höchstens die von den Algorithmen bevorzugten starken Meinungsstücke von Ulf Poschardt angezeigt bekommen. Wie breit ist Welt aufgestellt?
Wilton: Die Welt ist sehr breit aufgestellt, das merkt man sofort, wenn man die Zeitungen liest und die Webseite besucht. Man merkt es auch auf den sozialen Medien an den Inhalten, die dort geteilt werden. Wir sind ein Debattenmedium, unser Meinungskorridor ist sehr viel breiter als in vielen anderen Medien. Wir haben nicht selten Kommentare, die ein Thema aus sehr unterschiedlichen Perspektiven beurteilen.
Bleiben wir bei den Meinungsstücken: Welt hat sich zum Jahreswechsel 2020/2021 zahlreiche kritische Artikel geleistet, weil die Corona-Infektionen nicht zurück gingen. Teile der damaligen Regierung schoben die Infektionszahlen unter anderem an Familien, die beim Schlittenfahren nicht ausreichend Abstand hielten. Wie entstehen solche Richtungswechsel und haben Sie damals alles richtig gemacht?
Wilton: Auch, gerade während der Hochzeit der Corona-Pandemie, haben wir sehr breit berichtet und recherchiert. In der Beurteilung etwa der sogenannten „Maßnahmen“ gab es in der Redaktion verschiedene Meinungen, die auch abgebildet wurden. Wie gesagt: Meinungspluralismus macht uns aus. Zudem waren wir aber oft auch unter den ersten, die auf den ersten Blick gesetzte politische Entscheidungen kritisch hinterfragt haben. Das ist unsere journalistische Aufgabe.
Die Sportressorts von Bild und Welt wurden vor ein paar Jahren zusammengelegt, bei den anderen Ressorts gab es zuletzt intern Streit. Wollen Sie von der Bild getrennt bleiben?
Wilton: Ja, wollen wir, denn wir sind zwei völlig unterschiedliche Marken mit unterschiedlichen Zielgruppen. Diese Frage ist im vergangenen November ja auch gerade erschöpfend und eindeutig beantwortet. Die Markengruppen werden zukünftig als eigenständige Einheiten weiter geführt werden, das heißt auch in unternehmerischer Hinsicht, mit jeweils eigenem CEO. Wir sind damit sehr glücklich wie auch mit unserer neuen CEO Carolin Hulshoff-Pol. Beim Sportressort machte es in vielerlei Hinsicht Sinn, Kräfte zu bündeln und funktioniert auch wunderbar, das lässt sich aber so nicht auf andere Ressorts übertragen.
Welt-Fernsehen hat zuletzt seine Nachrichten stark erweitert. Inwieweit hilft es Ihnen, dass Sie Reporter der Zeitung auch immer wieder als Gesprächspartner einladen können?
Burgard: Nachrichten produzieren viele, aber wir bieten Orientierung und Einordnung. Die Marke WELT steht für Meinungspluralität in der Redaktion, die wir sichtbar machen. Wir wollen unsere Zuschauerinnen und Zuschauer nicht erziehen oder belehren, sondern ihnen Argumente für das eigene Urteil bieten. Profilierte Köpfe wie Ulf Poschardt, Stefan Aust, Dagmar Rosenfeld, Anna Schneider, Jacques Schuster und natürlich Jennifer Wilton kommen beim Publikum sehr gut an. Das zeigen auch die Reichweiten der Clips, die wir online stellen.
Rupert Murdoch überlegte, ob er FOX News und Sky News Australia mit seinen Zeitungssparten zusammenlegt. Ist Axel Springer in diesem Punkt ein weltweiter Vorreiter gewesen? Spüren Sie Synergieeffekte?
Burgard: Wir haben Pionierarbeit geleistet. Zwei Beispiele für die Synergieeffekte: Unsere TV-Interviews mit Bundeskanzler Scholz im vergangenen Jahr gingen wenige Minuten nach der Liveausstrahlung online, wurden als Podcast verbreitet und natürlich in der Zeitung abgedruckt. Auch unsere Reporter arbeiten längst für alle Ausspielwege. Steffen Schwarzkopf berichtet nicht nur im Fernsehen über den Krieg in der Ukraine, sondern schreibt seine Beobachtungen auch für die WELT AM SONNTAG auf.
Warner Bros. Discovery setzt bei seiner Nachrichtensparte zum Kahlschlag an: Der eigene Streamingsender CNN+ überlebte keinen Monat, Headline News (HLN) wird zur True-Crime-Abspielstation. Sollten Unternehmen an Nachrichten sparen? Oder ist die Ambition, dass man selbst drei Nachrichtensender anbietet, ein wenig zu viel des Guten?
Burgard: Wir sind das beste Beispiel dafür, dass Unternehmen nicht an Nachrichten sparen sollten. 2022 war in Bezug auf die Einschaltquote das erfolgreichste Jahr in der Sendergeschichte.
Das Bedürfnis der Menschen nach unabhängiger Berichterstattung und Einordnung ist so groß wie nie zuvor. Wir haben unsere Live-Nachrichtenstrecke mit Beginn der Corona-Pandemie massiv ausgebaut. Das war ein unternehmerisches Wagnis, aber das Vertrauen von CEO Mathias Döpfner in uns hat sich ausgezahlt. Das gilt auch für die Monetarisierung unserer digitalen Bewegtbildangebote.
Haben Sie selbst Interesse True Crime – vor allem am Wochenende – im Programm anzubieten?
Burgard: Tatsächlich arbeiten wir mit Sven-Felix Kellerhoff, dem leitenden Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte der WELT, gerade an einem True-Crime-Format. Auch das ist ein gutes Beispiel für die Synergien zwischen TV und Print.
Michel Friedman ist schon längere Zeit nicht mehr bei Ihnen zu sehen gewesen. Gibt es neue Projekte?
Burgard: Wer Michel Friedman kennt, der weiß, dass er immer viele Projekte hat. Auch bei uns ist er mit seiner intellektuellen Brillanz und seinem Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen immer wieder zu Gast.
Welche großen Ereignisse stehen im Jahr 2023 an?
Wilton: Natürlich steht bei uns die Aktualität im Mittelpunkt. Aber wir werden wie immer auch in diesem Jahr eigene Schwerpunkte setzen – zum Beispiel erinnern wir mit einer besonderen Ausgabe zum Jahrestag, was für eine Zäsur der Ukrainekrieg für uns alle bedeutet. Am 8. März schreiben sehr viele prominente Autorinnen bei uns über das Thema Mut, gerade nach dem, was wir in den vergangenen Monaten im Iran und Afghanistan beobachten konnten, wird das sehr spannend. Und natürlich arbeiten wir an weiteren Höhepunkten – auch in der Zusammenarbeit von Print, Digital und Fernsehen.
Burgard: Ein Nachrichtensender bestimmt nicht den Lauf der Dinge, der Lauf der Dinge bestimmt den Nachrichtensender. Was relevant ist, wird bei WELT TV stattfinden. Ohne Frage wird der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine weiterhin unser Programm prägen. Darüber hinaus produzieren wir erstmals eine Reihe von Dokumentationen aus der eigenen Kraft der Redaktion heraus, statt diese von externen Anbietern einzukaufen. Am 24.2. senden wir anlässlich des Jahrestages des Kriegsbeginns die Doku "Blutvergießen im Herzen Europas - ein Jahr Ukraine-Krieg" von unseren Reportern Tatjana Ohm, Steffen Schwarzkopf, Christoph Wanner und Max Hermes.
Besten Dank für Ihre Zeit!