Peter Stauch: ‚Ich bin dankbar, dass wir die Trisomie 21 einbauen konnten in die Geschichte‘
Mit «Herzstolpern» stehen erstmals zwei Schauspieler mit Trisomie 21 im Vordergrund. Das hat der Geschichte Authentizität gebracht, findet der Regisseur.
Hallo Herr Stauch. Sie haben den Spielfilm «Herzstolpern» für das ZDF umgesetzt. Worauf können sich die Fernsehzuschauer freuen?
«Herzstolpern» ist ein Family-Roadmovie mit berührenden Darsteller:innen, deren Performance unter die Haut geht. Mir geht es um Authentizität: Echte Menschen mit echten Gefühlen. Es ist der erste ZDF-Film mit zwei Schauspieler:innen in der Hauptrolle, die das Down-Syndrom haben. In den Filmen möchte ich aber, dass das gar nicht so rausgestellt wird. Zuschauer sollen einfach in die Geschichte reingezogen werden und sich mit Juliane Siebecke und Benjamin Raue identifizieren.
In den Hauptrollen sind Anna Maria Sturm und der «Bergretter»-Star Sebastian Ströbl zu sehen. Warum haben Sie sich für die beiden entschieden?
Ganz einfach, weil beide sehr gute Schauspieler sind. Wenn man Sebastian Ströbel im Cast hat, hat man gewonnen. In «Herzstolpern» zeigt er Facetten, die man vielleicht noch nicht so kennt und man kann ihn durch seine performance anders neu entdecken. Anna Maria Sturm kennt man aus Kinofilmen, sie ist ungekünstelt und eine gestandene Frau, die mich emotional begeistert. Auch glaubt man ihr sofort, dass sie diesen Bauernhof führt, und Tanztheater mit den Kindern ihr Traum ist.
Die richtigen Hauptrollen in «Herzstolpern» verkörpern Juliane Siebecke und Benjamin Raue. Die beiden sind mit Trisomie 21 zur Welt gekommen und haben wunderbar vor der Kamera agiert. Verlief die Zusammenarbeit trotz Ihres zusätzlichen Chromosoms ohne Probleme?
Genau von dieser Fragestellung wollen wir weg. Es ist andersherum: Ich bin dankbar, dass wir die Trisomie 21 einbauen konnten in die Geschichte. Julianes und Bennis Welt ist das, was mich so berührt und was ich versucht habe, authentisch ohne Zeigefinger zu erzählen. Dies ging nur mit der Hilfe von ganz wichtigen tollen Menschen drumherum, wie unserer Coachin Maria zum Beispiel. Auch sorgten wir für einen safe space, in dem sich beide wohl fühlten und ihre Kraft einteilen konnten. Nach einigen Drehtagen hatten die beiden solch ein Vertrauen, dass sie agiert haben wie absolute Profis, obwohl sie noch gar nicht so viel Dreherfahrung hatten. Sie haben Cast und Team nicht gebremst – sondern beflügelt. Als die Eltern meinten, dass Juliane und Benni an den Dreharbeiten wachsen, ihre Wahrnehmung und Sprache sich verändert – hatte ich Gänsehaut als Regisseur.
Würden Sie sich wünschen, dass vermehrt solche Themen in die Herzkino-Reihe des ZDF einfließen?
Unbedingt, unbedingt! Ich würde mir wünschen, dass das viel selbstverständlicher wird. Und man gar nicht mehr so viel Berührungsangst mit solchen Dreharbeiten hat.
Sie haben schlussendlich innerhalb von nur 46 Drehtagen zwei 90-minütige Filme gedreht. War das nicht ein bisschen eng getaktet aufgrund der vielen Ortswechsel?
Ich verstehe die Frage vor allem als Kompliment an mein Team, die hinter mir standen. Ohne gutes Team geht nichts. Für das Vertrauen von Produzentin ndF Gabriela Brenner und den Einsatz der Redaktion des ZDF bin ich mehr als dankbar.
Das ZDF beginnt die Ausstrahlung nur wenige Tage nach dem Aktion Mensch-Protesttag vom 5. Mai. Hatten Sie sich dieses Ausstrahlungsfenster gewünscht?
Man kann sich als Regisseur nicht wünschen, wann eine Ausstrahlung stattfindet. Ich habe mich sehr darüber gefreut, denn es passt inhaltlich. Auch toll, dass es noch einen Tag vorher die extra Reportage über Juliane und Benni geben wird.
Haben Sie schon einmal persönliche Erfahrungen mit Trisomie 21 gemacht oder warum wollten Sie «Herzstolpern» drehen?
Nein, ich hatte keine persönlichen Erfahrungen mit dem Thema. Aber schon Anjas Flade-Kruses erste Fassung des Buchs hat mich tief berührt. Und als ich dann die ersten Castings für Emma und Felix gemacht hatte, wusste ich, ich MUSS das machen – das wird eine wichtige Reise auch für mich.
Sie durften am Set von «The Day After Tomorrow» Dreherfahrungen sammeln. Haben Sie Roland Emmerich kennenlernen dürfen und was konnten Sie von ihm mitnehmen?
Roland Emmerich war damals in meiner HFF München Studentenzeit der Jurypräsident beim Kurzfilm-Studentenfestival der Filmhochschule München – ich war auch in der Jury. Wir haben an die 130 Kurzfilme in einer Woche von morgens bis abends geschaut – da lernt man sich kennen. Er hat mir dann angeboten, ein Regiepraktikum bei ihm zu machen. Er sagte „komm vorbei“ und daraus wurden schließlich mehrere Monate. Ich hatte sofort eine Aufgabe und war voll in so einem Riesen-Top-Team integriert – und das als Student. Das war echt eine wichtige Erfahrung während meines Studiums. Die Seminare, die ich in der Zeit verpasst habe, hat das aufgewogen. Ich habe sie dann alle nachgemacht.
Vor knapp zehn Jahren drehten Sie unter anderem «Der letzte Bulle» für Sat.1. Vermissen Sie wieder solch originelle Serien bei den Privatsendern?
Ob privat, öffentlich-rechtlich oder Streamer, wir sollten uns immer bemühen, etwas echtes, besonderes zu schaffen. So wie der «Der letzte Bulle» auf Henning Baum passte und im komödiantischen Genre besonders authentisch in den 80ern verortet war, so hoffe ich, dass unserer Cast ins Hier und Jetzt passt. Sebastian Ströbel als Helikopter-Papa Alex zeigt ja schon einen krassen Kontrast zum Männerbild der 80er.
Sie arbeiten auch für die ARD-Reihe «Die Inselärztin». Drehen Sie gerne auf Mauritius, um dort auch ein bisschen Urlaub zu machen?
Tja, ich muss Sie enttäuschen. Wenn Sie wüssten, wie wenig Urlaubsflair aufkommt, wenn zwei knallharte Medicals gedreht werden. Es ist natürlich schön, an solch tolle Orte zu kommen. Aber wir haben bei wenig Tageslicht und wenig Schlaf gearbeitet – und hatten Probleme mit Korallenriffen. Das große Team werde ich nie vergessen – den Mix aus den Mauritianern, den Südafrikanern und uns – war schon `ne tolle Zeit.
Vielen Dank für die spannenden Einblicke!
«Herzstolpern» ist am Sonntag und Montag im ZDF zu sehen.