Die Kritiker: «Friesland – Landfluchten»

Der alte Bauer Enno Redenius wird ermordet auf seinem Hof aufgefunden. Neben ihm liegt seine alte Schrotflinte und wie es aussieht, hat er seinem Mörder vor seinem Ableben noch eine ordentliche Ladung Schrot verpasst. Doch macht das die Aufklärung des Falles einfacher?

Stab

BESETZUNG: Sophie Dal, Maxim Mehmet, Theresa Underberg, Holger Stockhaus, Feli Vörtler, Yunus Cumartpay, Tina Pfurr, Veronique Coubard, Karolina Lodyga, Barbara Schnitzler, Mignon Remé, Caroline Erikson
BUCH: Susanne Wagner, Hagen Moscherosch
SCHNITT: Jens Müller
KAMERA: Simon Schmejkal
MUSIK: Therese Strasser
REGIE: Dominic Müller
SZENENBILD: Ralf Mootz
TON: Bennet Switala, Heiko Birkenstock
«Friesland» gehört zu den harmlosen Krimiserien, die das mörderische Verlangen des deutschen Publikums füttert. Der letzte, erst im Februar 2023 ausgestrahlte Fall der Leerer Streifenpolizisten Süher Özlügül (Sophie Dal) und Henk Cassens (Maxim Mehmet), lockte stabile 7,35 Millionen Zuschauer an die Bildschirme; es ist demnach davon auszugehen, dass auch Fall Nummer 18 sein Publikum finden wird, vor allem, da der Film auf bewährte Zutaten setzt. Das etwas knorrige Auftreten der Ostfriesen als solchen, einen Fall mit einem Hauch von sozialer Relevanz, einigen netten Aufnahmen der Region und einem gut gelaunten Darstellerensemble, das die knapp 90 Minuten Spielzeit im Flug vergehen lässt. Und auch der Fall, den es zu lösen gilt, schlägt hier und da überraschende Haken, denn so einfach, wie es zu Beginn aussieht - ist der Fall tatsächlich nicht.

Da ist als Enno Redenius. Der Mann ist an Jahren gereift. Er lebt allein und in dem kurzen Moment, in dem ihn die Inszenierung noch unter den Lebenden porträtiert, wirkt er kauzig. Zumindest ist er nicht erfreut, ein Fahrzeug auf der Großstadt auf seinen Hof einfahren zu sehen. Kurzerhand schnappt er sich seine Schrotflinte, um seinem Besucher Mores beizubringen. Der Rest ist bekannt. Im Laufe des Tages werden Süher und Henk die Leiche des alten Mannes entdecken. Die ersten vermeintlich eindeutig Spuren aber entpuppen sich bald als wenig aufschlussreich. Warum?
Keine Spoiler!

Wer sollte Interesse daran haben, einen alten Bauern umzubringen? Wenn es denn ein Mord war? Vielleicht hat Enno ja auch seinen Besucher bedroht, der sich nur gewehrt hat? Tatsächlich gibt es ein Thema, das den Menschen in Leer unter den Nägeln brennt und das offenbar auch Enno Redenius unter icht kalt gelassen hat: der Ausverkauf der Stadt an Investoren, die Wohnungen und Wohnhäuser in Ferienwohnungen und Ferienhäuser umwandeln. So stehen sich zwei Fronten in der Küstenstadt gegenüber. Eine Bürgerinitiative, die durch Protestaktionen gegen den Missstand demonstriert. Und die Landtagsabgeordnete Imke Claasen, die sich aktiv für die Stärkung des Tourismus als Wirtschaftsmotor der Region einsetzt. Die erste Spur, die Süher und Henk aufnehmen, führt sie just zur Bürgerinitiative und deren Anführerin Nele Hinrichs, die den Gesetzeshütern Überraschendes offenbart: Gründer ihrer Gruppe, das war niemand anderes als Enno Redenius. Nur hat sich der alte Mann im Hintergrund gehalten. Hat es also jemand auf seinen Hof abgesehen, der etwa neuen Feriensiedlungsprojekten im Wege steht?

Auftritt Kommissar Jan Brockhorst (Felix Vörtler), Sühers und Henks ewige Nemesis. Mit der Enthüllung, dass das Mordopfer so etwas wie die Graue Eminenz der Protestler gewesen ist, steht für den an Selbstbewusstsein etwas übermäßig ausgestatteten Chef der Streifenpolizisten fest, dass eine große, fiese Sache in Leer läuft. Etwas mit Baulöwen, gierigen Spekulanten und einer korrupten Landtagsabgeordneten, die die Belange der Spekulanten wichtiger nimmt als die Belange der Menschen vor Ort. Dazu passt die Tatsache, dass diese Abgeordnete jenseits der Kameras ein Biest ist, das die eigene politische Karriere definitiv über kommunale Belange stellt. Entsprechend stürzt sich Brockhorst in die Ermittlungen und schickt Süher und Henk dorthin, wo sie hingehören: auf Streife. Deren Einwand, dass die Geschichte ja vielleicht ganz anders ist, wisch Brockhorst vom Tisch.

Die Grabenkämpfe zwischen Brockhorst und seinen Uniformträgern gehören nicht immer zu den Highlights der Spielfilmreihe. Brockhorst ist nicht selten zu sehr von sich eingenommen, zu großkotzig, zu resistent gegenüber Fakten, die nicht zu seinen Erzählungen passen mögen. Das kann mal amüsant sein, es ist aber immer wieder auch nervig. Doch siehe an: Die Autorenschaft der Reihe hat einen Ansatz gefunden, die Figur Brockhorst ein Stück weit neu zu definieren. Brockhorst ist aus der Großstadt (Cuxhaven) nach Leer zwangsversetzt worden. In Cuxhaven war er ein angesehener Ermittler, in Leer ist er kaum mehr als ein Aktenverwalter. Dass sich hinter der arroganten, nicht selten anmaßenden Fassade tatsächlich ein guter Ermittler verbirgt, wenn Brockhorst denn mal seine Arroganz Arroganz sein lässt, das haben schon frühere Filme immer wieder gezeigt. Doch dieser Film offenbart einen Wesenszug seines Charakters, dieser Spoiler darf sein, den man ihm so gar nicht zugetraut hätte: Brockhorst entpuppt sich als Moralist, der eine überraschende Sympathie für die Bürgerinitiative und ihr Anliegen an den Tag legt. Aus dieser Sympathie entwickelt sich ein bemerkenswerter Handlungsstrang mit einer überraschenden Auflösung.

«Landfluchten» gehört definitiv zu den besseren Filmen der Reihe «Friesland». Natürlich macht es sich die Gescichte ein bisschen einfach beim Aufbau des Freund-Feind-Bildes. Gierige Makler und Projektentwickler sowie eine arrogante Politikerin als Büttel des Geldes? Die gehen immer als Bösewichter. Abgesehen von dieser etwas simplen Sicht der Dinge, überzeugt «Landfluchten» jedoch dank seiner Leichtigkeit, mit der sich die Inszenierung von Spielort zu Spielort bewegt, und dem bereits lobend erwähnten, blendend aufgelegten Darstellerensemble.

Am Samstag, 13. Mai, 20.15 Uhr, ZDF
10.05.2023 12:07 Uhr  •  Christian Lukas Kurz-URL: qmde.de/142050