Am Sonntag verkündete der Sender die Kürzung von «Volles Haus!». Dabei blieb die Vorabendsendung «Die perfekte Minute» unerwähnt. Die Gameshow von Ulla Kock am Brink fliegt auch aus dem Programm. Ein Kommentar von Veit-Luca Roth.
Die strategische Programmplanung von Sat.1 wird an vielen Stellen kritisiert. Vor zwei Jahren warf Hugo Egon Balder dem Sender Beratungsresistenz vor, Jörg Draeger echauffierte sich kürzlich in einem Podcast über die Senderspitze und bezeichnete die Umsetzung von «Geh aufs Ganze» als „ganz große Scheiße“. Die Begründung für das auf Eis legen seiner Show bezeichnete er als „fadenscheinig“. Auch die Zuschauer müssen mit teilweise arg fragwürdigen Programmierungen zurechtkommen. Samstags strahlt der Bällchensender Marathons von «Unsere kleine Farm» aus, das zunächst als Event-Programmierung vor Weihnachten angekündigt war. Zu Beginn des Jahres gab es quasi im Wochentakt neue Ankündigungen über die Ausstrahlung der 70er-Jahre-Serie. Wie zuschauerfreundlich bis zu zehn Folgen am Stück tatsächlich sind, lässt sich sicher streiten.
Auch auf Medienseite ist das Frustrationslevel hoch. Bei Presseberichten über neue Sendungen gibt sich Sat.1 stets kleinlaut und vertröstet mit den immer gleich klingenden Sätzen, dass man etwaige Spekulationen nicht kommentiere und zu gegebener Zeit über das Projekt informieren werde. Daniel Rosemann, Senderchef von ProSieben und Sat.1, und Sprecher der beiden TV-Stationen, Christoph Körfer, beugen vor der Öffentlichkeit in manchen Fällen die Wahrheit. Als der ‚Spiegel‘ im Sommer 2021 über das Comeback von
«TV total» mit Sebastian Pufpaff berichtete, teilte der Sender damals mit, dass man die Rückkehr nicht bestätigen könne. Auch Pufpaff selbst gab daraufhin ein Interview und betonte: „Es gibt kein «TV Total» mit Sebastian Pufpaff“. Mittlerweile weiß man, wie diese Geschichte ausgegangen ist.
Am Sonntagnachmittag ging die Nachricht von einer Sommer-Programmierung für das im Februar unter großem Getose gestartete Sat.1-Nachmittagsformat
«Volles Haus! Sat.1 Live» über den Ticker. Die dreistündige Live-Show ist ein Flop, fährt desaströse Quoten ein und hat noch immer sein Konzept nicht gefunden. Nur logisch also, dass die Sendezeit reduziert wird. Schon hier wird man stutzig: War das eine Hauruck-Aktion über das Wochenende. Warum publiziert man eine solch wichtige Nachricht am Sonntagnachmittag? Werden solche Entscheidungen zwischen Charles-Krönung und dem Frühstück am Sonntag übers Knie gebrochen?
Teil der Mitteilung war auch, dass
«Lenßen übernimmt» ab 18:00 Uhr den Sendeplatz übernehmen werde. Was aber verschwiegen wurde: Die Scripted-Reality des Rechtanwalts wird auch
«Die perfekte Minute» aus dem Programm drängen. Selbst 24 Stunden nach der Veröffentlichung der Mitteilung war von der weitereichenden Programmänderung nichts im Presseportal des Senders zu lesen.
Zur Erinnerung: Erst vor wenigen Tagen hatte Sat.1 für Mitte Mai eine Programmänderung angekündigt, wodurch «Die perfekte Minute» ab der 20. Kalenderwoche nur noch von montags bis donnerstags auf Sendung geht. Freitags sollte
«Let the music play» zurückkehren. Daraus wird nun aber auch nichts, denn Ingo Lenßen wird gleich mit vier Folgen von montags bis freitags gesendet. Über die Sendung von Ulla Kock am Brink verlor Sat.1 kein Wort. Der Sender verpasste die recht kurzfristige Anpassung der Sommer-Strategie auch auf dem Kurznachrichten-Dienst Twitter mitzuteilen, wo in der Vergangenheit nicht selten Absetzungen einzelner Formate kommuniziert wurden. Die Unternehmensstrategie von Sat.1 ist da reinste Chaos. Es fehlt eine einheitliche Strategie und offenkundig mangelt es auch an Ehrlichkeit im Umgang mit allen Parteien. Darüber hinaus: Während Das Erste, das ZDF und die UFA ein großes Budget auffahren, um ihre Projekte in den Medien unterzubringen, liest man von ProSieben-Projekten kaum etwas. Es werden weder Interviews mit Akteuren vor der Kamera vermittelt noch von Produzenten hinter der Bühne. Das ZDF hat beispielsweise vor zwei Jahren die sogenannten Interview-Wochen geschaffen, in denen auch immer Moderatoren mitgenommen werden, die schon seit Jahren vor der Kamera stehen, wie Wetter-Mann Benjamin Stöwe.
Zurück zu Sat.1: Hugo Egon Balder erzählte zuletzt in dem Online-Format
«Kurzstrecke mit Pierre M. Krause» von einem klärenden Gespräch mit Daniel Rosemann. Am Ende habe der Comedian dem Senderchef den Rat gegeben, dass man den Laden dicht machen, vier Wochen warten und unter neuem Namen mit anderem Programm wieder aufmachen solle. Rosemann soll erwidert haben, dass Stefan Raab das gleiche gesagt haben soll. Vielleicht lässt sich in die Auflistung auch die Unternehmenskommunikation mit aufnehmen.