Twitch: Hat Amazon die Büchse der Pandora geöffnet?

Jahrelang war Twitch die einzige Plattform, die sich auf Live-Streaming konzentrierte. Amazon unterstützte die Creator, doch zuletzt knirschte es zwischen Machern und Plattform.

Im Juni feierte der Streamingdienst Twitch bereits seinen elften Geburtstag. Das Unternehmen startete als Live-Streaming-Videoplattform, das sich vor allem auf die Übertragung von Videospielen konzentrierte. Die Funktionen wie Chat, aber auch Spenden-Features wurden gut gelöst. Selbst die monatliche Abrechnung war für viele Hobbyunternehmer hervorragend, da Amazon nach der Übernahme im Jahr 2014 alles hochprofessionell umbaute.

Inzwischen gibt es eine neue Plattform, die in den vergangenen Monaten eifrig aufgebaut wurde. Es handelt sich um Kick, das im Grunde fast identisch mit Twitch ist. Nur sind die Vorgaben der Streaming-Regeln weitaus offener. Während Amazon bei Twitch Glückspielwerbung und andere fragwürdige Themen verbannte, möchten die Verantwortlichen von Kick dies deutlich fördern. Denn hinter dem Unternehmen steckt eine Glückspielfirma, die für viel Geld Talente einkauft. Da wäre beispielsweise der Streamer Félix Lengyel, der mit seinem Account xQc für rund 100 Millionen US-Dollar die Seiten wechselte.

Auch die bekannte Streamerin Amouranth wechselte zu Kick. Der Internetstar ist vor allem dadurch bekannt, dass sie freizügige Inhalte postet. So war sie bei Twitch immer wieder im Bikini zu sehen, auf dem sie auf einem aufblasbaren Indoor-Pool einen Plastik-Delfin reitete. Mit solchen Inhalten sammelte sich nicht nur 6,4 Millionen Follower ein, sondern konnte sich auch ein kleines Vermögen aufbauen. Kick ist eng mit der Glückspielbranche verbunden. Das Unternehmen gehört dem Glückspielentwickler Easygo Gaming, der wiederrum ist in Besitz von Bijan Tehrani und Ed Craven. Die beiden sind als Krypto-Onlinecasino und Sportwettenanbieter bekannt.

Zahlreiche deutsche Streamer wie Jens „Knossi“ Knossalla waren mit Glückspiel-Clips zum Hingucker geworden. Doch auch Knossi darf bei Twitch diese Inhalte nicht mehr anbieten. Bislang bleibt er Twitch treu, könnte aber ebenfalls ein weiteres Standbein bei Kick eröffnen. Dem Streamingportal der Glückspielbranche geht es nämlich nicht nur um hohe Verträge, der Streamingdienst nimmt deutlich weniger Prozente als der Platzhirsch. Das kann den Verantwortlichen von Kick auch erst einmal egal sein, denn die Nutzer sollen in Richtung des Glückspielbetreibers und -Kick-Eigentümer Stake gelenkt werden.

Laut „Washington Post“ hat der Streamer Tyler Faran Niknam, besser bekannt als Trainwreck, eine Beraterfunktion übernommen. Kick.com startete in den ersten 24 Stunden mit 200.000 Followern, nach knapp zwei Monaten waren eine Million User gewonnen. Doch obwohl sich solche Reichweiten zunächst toll anhören, sind diese viel zu niedrig, um für Investoren und Werbetreibenden interessant zu werden.

Doch bereits für spätere Schritte hat man klare Vorgaben gemacht: Kick nimmt lediglich fünf Prozent der Einnahmen, Amazon gab sich bislang mit 30 Prozent zufrieden. Streamer, die mehr als 100.000 US-Dollar im Jahr umsetzen, sollen sogar die Hälfte an das Online-Versandhaus abgeben. Das sind schon Zahlen, die grenzwertig wirken. Nur die Erotik-Branche langt aktuell mit dreiviertel der Einnahmen noch kräftiger zu.

Es ist unwahrscheinlich, dass Kick dem Amazon-Baby Twitch ernsthaft Probleme bereiten könnte. Allerdings könnte der neue Streamer-Dienst dazu führen, dass Amazon den Künstlern weniger Provision abknöpft. Auch die Regeln könnten wieder aufgeweicht werden, wenn Amazon tatsächlich zahlreiche Nutzer verliert. Allerdings muss auch gesagt werden, dass Amazon keine Zahlen für Twitch veröffentlicht, weshalb man nur von reinen Spekulationen reden kann. Amazon hütet die Geschäftszahlen von Twitch.

Außerdem versucht Amazon gegen Simulation-Broadcastings vorzugehen. Die Twitch-Livestreams sollen exklusiv sein, daher sollen die Talente vor der Kamera weder auf Kick, Instagram, TikTok noch YouTube zusätzlich on air gehen. Doch das ist vor allem ein Punkt, der vielen Streamern missfällt. Schließlich führte das gleichzeitige Senden dazu, dass die Reichweite größtmöglich genutzt werden kann.

Im Bereich Gaming legen YouTube und Facebook ebenfalls harte Regeln auf: Dort sollen die Talente ebenfalls exklusiv streamen. Es ist derzeit eher unwahrscheinlich, dass Twitch sein Geschäftsmodell auflockert. Bislang ist das Unternehmen sehr gut im Live-Stream-Sektor vertreten. Man hat zwar einige Streamer an die Konkurrenz verloren, doch zahlreiche Streamer werden aus Image-Gründen wohl bei Amazon bleiben.
04.07.2023 11:00 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/143363