Aslı Özge: ‚Es ist eine Machtdemonstration‘

Die «Men of the Bridge»-Regisseurin hat einen neuen Streifen über einen Wohnblock gedreht, der von der Gentrifizierung handelt.

Hallo Frau Özge. In Ihrem neuen Kinofilm möchte eine Investmentfirma einen Wohnkomplex vergolden. Ist das Thema Gentrifizierung hochaktuell?
Gentrifizierung ist überall auf der Welt ein aktuelles Thema und das ist schmerzhaft. In Berlin hat sich das Viertel, in dem ich seit 20 Jahren lebe, völlig verändert. Gleichzeitig wurde das Haus meines Vaters in Istanbul im Rahmen der Stadterneuerung abgerissen. Natürlich sind Veränderungen unvermeidlich, aber Geschäfte werden gemacht, alles wird teurer und teurer und die meisten Menschen können ihren Lebensstandart nicht mehr halten.

Im Film ist das Thema Gentrifizierung für mich eher ein Mittel, um etwas anderes zu erzählen. Ich wollte mehr über Macht und Machtmenschen reden. Ich bin inspiriert von der Politik. In ganz Europa gibt es einen Rechtsruck. Das macht mir Angst.

Bei Ihnen wird ein Bürocontainer per Kran in den Innenhof abgelassen, die Müllcontainer müssen weichen. Macht man sich als Makler so Freunde?
Sein Ziel ist ja nicht, sich Freunde zu machen - im Gegenteil, es ist eine Machtdemonstration. Er schafft ein Klima der Angst und gibt den dort Lebenden das Gefühl, dass sie nicht sicher sind, und nur er sie mit seiner Macht schützen kann. Die menschliche Natur liebt die Macht und die Machthaber und ist am liebsten auf der Seite der Starken, deshalb muss er sich nicht verstecken, er spielt seine Karten ganz offen aus.

Sie spielen mit ein paar Klischees, die aber auf jede Großstadt zutreffen: Die Nachbarn kiffen im Hinterhof, Henrike und Daniel Hoch, ein Paar, redet über finanzielle Probleme. Ist so ein Wohnkomplex eine spannende Ministadt für gute Geschichten?
Für mich ist der Hof eine Metapher für ein ganzes Land. Es gibt Mitbewohner:innen, mit unterschiedlichen Problemen, unterschiedlichen politischen Haltungen. Es gibt Ausländer mit ganz anderen Perspektiven und es gibt den Machtmenschen, der regiert und alles entscheidet… Manche sind gegen ihn, manche finden ihn gut. Also, alles, was wir heute in unserer Gesellschaft erleben, spiegelt sich in der kleinen Gemeinschaft dieses Hofs wider. Es ist ein Mikrokosmos.

«Black Box» ist nicht nur der Bürocontainer der East West Management-Firma, sondern auch der Wohnkomplex. Wie kommt es zu der Situation, dass eine Quarantäne verhängt wird?
Ich kann nur sagen, mein Fokus ist nicht der Grund, der diesen Lockdown verursacht hat, sondern wie der Makler den Lockdown für seine Zwecke ausnutzt. Ich habe das aus der Politik entlehnt. Wir hören von Politiker:innen auf der ganzen Welt immer wieder, dass wir fast nirgendwo ganz „sicher“ sind und dadurch nehmen sie sich selbst das Recht, ihre repressive Politik durchzusetzen oder sogar das Recht, andere Länder anzugreifen.

Bei «Black Box» treffen die Mächtigen und die Schwachen aufeinander. War das die Idee hinter dem Spielfilm?
Ja, ganz genau. Wie ich bereits erklärt habe, das ist es, was mich wirklich interessiert. Politik findet nicht in den Zeitungen oder im Fernsehen statt, sie findet unter uns statt, weil wir viel von Politikern lernen. So z.B. wie wir Menschen manipulieren können, wie weit wir mit Lügen gehen können, wie wir von uns selbst ablenken können, wenn wir es wollen... Das wirkt sich natürlich auch auf unseren Alltag aus, auf unser Verhältnis zueinander. Davon wollte ich erzählen.

Die Bauschriften werden immer aufwändiger, auch Sozialwohnungen werden teurer. Muss der Staat mehr Geld in den Unterhalt dieser Bauten stecken?
Ich mache keine Filme um Lösungen anzubieten oder eine “Message” zu verbreiten. Ich will nur das Bild der Gesellschaft darstellen und den Zuschauer:innen die Möglichkeit geben, alles aus der Distanz

zu betrachten und sich mit ihren eigenen Vorurteilen und Fehlern auseinanderzusetzen. Ich hoffe, dass der Film von genügend unterschiedlichen Kreisen gesehen wird, so dass eine Diskussion startet.

Ihr Film feierte auf dem Filmfest München Premiere Welche Rückmeldungen haben Sie erhalten?
Mein Team und ich, wir haben alle bemerkt, dass es ein großes Bedürfnis gibt, über diese Themen zu reden. Dieses Machtspiel zwischen Vermieter-Makler-Mieter erleben wir ja alle. Genauso den alltäglichen Rassismus. Deshalb haben wir uns gefreut, dass der Film anscheinend einen wunden Punkt getroffen hat.

Ihr Regiedebüt vor 14 Jahren wurde als „bester Film“ in der Türkei ausgezeichnet. Ist es mit einem solchen Preis im Rücken einfacher neue Projekte umzusetzen?
Preise helfen sicherlich um Aufmerksamkeit zu bekommen, aber das Arthouse-Kino hat es ja so schwer, deshalb ist es für jeden schwierig, einen neuen Kinofilm zu machen - mit oder ohne Preise. Außerdem musste ich mich ja in Deutschland erst einmal beweisen, um hier Filme machen zu dürfen. Meinen ersten deutschen Film habe ich 2016 gedreht, 16 Jahre nachdem ich nach Deutschland gezogen war. Davor fühlte ich mich nicht kompetent genug, ich musste die Kultur und die Menschen kennenlernen und die Sprache beherrschen.

Sie haben nicht nur Regie geführt, sondern auch das Drehbuch verfasst. Was reizt Sie an dieser Doppelbelastung?
Für mich ist es wichtig, die Welt zu erschaffen, die ich mir vorstelle, und das beginnt mit dem Drehbuch. Es dauert Jahre, einen Kinofilm zu machen. Ich glaube, man kann nur so viel Energie und Zeit in etwas stecken, das man wirklich machen will. Das Schreiben bringt auch Freiheit. Ich glaube, dass ich nur so einen Kinofilm machen kann. Fernsehfilme und Fernsehserien sind für mich etwas anderes. Da muss ich nicht schreiben, es sind Auftragsarbeiten, und wenn ich solche Arbeiten mache, schaue ich, wie ich die Welt, die mir als Regisseurin präsentiert wurde, am besten erschaffen kann.

In ihrem Film «Black Box» spielt der Hinterhof eine entscheidende Rolle. Wie haben Sie und Ihr Team die richtige Kulisse gefunden?
Wir haben nach einem echten Hof gesucht, in dem wir drehen konnten. Es war unmöglich, in einem voll besetzten Wohnkomplex zu drehen, also suchten wir einen Innenhof und Wohnkomplex, der nicht voll und in keinem sehr guten Zustand war. Gentrifizierung ist in Berlin immer noch aktuell, also hatten wir nicht viele Möglichkeiten. Der Zustand des Hofes, in dem wir gedreht haben, ist auch sehr interessant. Er wird weder renoviert, noch abgerissen und ist sehr vernachlässigt, nur ein Viertel davon ist bewohnt, ein Teil des Gebäudes steht völlig leer, die Wohnungen und das Café haben wir im Film neu gestaltet. In gewisser Weise haben wir in einer historischen Gegend gedreht und die Struktur erhalten, und wir haben diesen Ort dadurch dokumentiert.

Vielen Dank für die zahlreichen Infos!

«Black Box» ist ab Donnerstag, den 10. August, in deutschen Kinos zu sehen.
09.08.2023 12:16 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/144143