Christina Rann: ‚Ich begrüße es, dass der Frauen-Fußball als Business Case erkannt wird‘

Im Interview blickte die Moderatorin auf ihre neue Aufgabe als Fußball-Kommentatorin bei Sport1. Außerdem sprach sie über die Kommerzialisierung des Frauenfußballs und Hass im Internet.

Hallo Frau Rann, 3. Liga bei MagentaSport, Bundesliga bei DAZN und nun auch die Frauen-Bundesliga bei Sport1, die am kommenden Wochenende beginnt. Wie kriegen Sie so viel Workload in so wenige Tage unter?
Das geht nur mit der Unterstützung meiner Familie, die aber weiterhin off-air und im Hintergrund bleiben soll. Ich konzentriere mich jetzt erstmal auf die Dritte Liga und die Frauen-Bundesliga zum Saisonstart. Ich kann meine Kapazitäten gut einschätzen und das Schöne an meinen Jobs ist, dass sie mir auch unglaublich viel Energie geben. Spaß ist einfach ein guter Antrieb.

Weniger Spaß macht derzeit der deutsche Fußball, der derzeit auf Verbandsebene in einer echten Krise steckt. Nach dem frühen Ausscheiden der Nationalmannschaft bei der WM, was macht Sie zuversichtlich, dass die kommende Bundesliga-Saison Freude und Euphorie verbreiten wird?
Ich habe das Pokalspiel zwischen dem FC St. Pauli und dem Hamburger SV (1:7) auf der Tribüne verfolgt und war gerührter, als ich es erwartet habe. Das hat mich bewegt, dass knapp 20.000 Menschen dieses Spiel im Stadion gesehen haben, von Ultra bis Uroma, Familien und Fans beider Lager. Wir erleben gerade gemeinsam ein Momentum, keinen Hype. Ein Hype ist vergänglich, das hier, das bleibt.

Seit über einem Jahrzehnt sind nur zwei verschiedene Teams deutscher Meister geworden. Ist auch in diesem Jahr wieder mit einem Durchmarsch der Wolfsburgerinnen und der Münchnerinnen zu rechnen?
Wir sollten Eintracht Frankfurt nicht vergessen, die gerade die Playoffs in der Champions League erreicht haben und die mit Stina Johannes einen großartigen Rückhalt haben. Laura Freigang nannte die Keeperin bei Insta „mein Löwe, mein Bär“. Dazu ist Nicole Anyomi in Topform. Aber na klar sind die Bayern als Titelverteidigerinnen und der VfL Wolfsburg als Champions-League- und Meisterschafts-Vize sowie als Pokalsiegerinnen einfach immer schwer zu schlagen. Die Doppelverpflichtung der Bayern von Pernille Harder und Magdalena Eriksson ist eine echte Ansage.

Mit Turbine Potsdam ist in der vergangenen Saison ein ehemals großes Aushängeschild des deutschen Frauenfußballs aus der Bundesliga verschwunden. Nur noch die SGS Essen ist als reiner Frauen-Verein in der Liga vertreten. Von unten drang neben dem FC Nürnberg auch das Red-Bull-Aushängeschild RB Leipzig nach oben. Ist die Kommerzialisierung bzw. Kommodifizierung im Frauenfußball angekommen?
Grundsätzlich begrüße ich es, dass der Fußball der Frauen als Business Case erkannt wird und nicht nur als reine Prestigeaufgabe der Vereine. Die Spielerinnen haben ein professionelles Umfeld verdient und dazu gehört im modernen Fußball nun mal auch ein finanzieller Fluss. Der Fußball der Frauen ist stark, attraktiv, das öffentliches Interesse ist da. Der Abstieg der Turbine war natürlich schmerzhaft, weil dieser Verein über Jahre hinweg den Frauenfußball definiert hat und großartige Spielerinnen hervorgebracht hat.

Die Spiele wurden vom DFB auf fünf Anbieter aufgeteilt. Man könnte meinen, dass es kaum chaotischer geht. Im Gegensatz zu den Männern reicht aber ein Bezahlabo, um alle Spiele zu sehen. Würden Sie sich das auch für die Rechtevergabe der Herren-Bundesliga wünschen?
Als Moderatorin und Kommentatorin ist es meine Aufgabe Spiele abzubilden. Die Verteilung von Lizenzen gehört nicht dazu. Auf der einen Seite kann ich die Fans verstehen, die sich einen unkomplizierten Zugang wünschen, auf der anderen Seite ist die Realität eine andere. Unsere Elterngeneration hatte nur drei Sender zur Auswahl, eine Sendervielfalt hat auch etwas Gutes.

Fußball ist für das Free-TV nach wie vor ein Zuschauermagnet. Glauben Sie, dass durch die Rechtevergabe auch das Interesse am Frauen-Fußball weitersteigt?
Das Interesse zu steigern, ist das erklärte Ziel. Wir haben mit dem Topspiel am Montag eine hervorragende Plattform. Da steckt insgesamt noch großes Potential drin. Die letzten Jahre haben gezeigt, wie schnell sich das Niveau hebt, sobald professionelle Bedingungen da sind. Die Fanzahlen steigen, das Finale der Champions League hätte auch ein größeres Stadion gefüllt und auch die Zuschauerbeteiligung bei der WM war hoch. Ein bisschen mehr Sportvielfalt finde ich wünschenswert. Das große Potential gilt im Übrigen auch für Basketball und weitere Sportarten.

Zuletzt schien es so, dass weibliche Kommentatorinnen vor allem in den Sozialen Medien kritischer betrachtet wurden als ihre männlichen Pendants. Täuscht der Eindruck?
In Sozialen Medien gibt es oft unreflektierte, spontane Gefühlsäußerung. Mit Abstand und direkter Kommunikation zeigt sich manchmal ein anderes Bild. Ich schaue bei einer Kritik auf das Urheberprofil und wenn ich null Follower und kaum Beiträge sehe, dann gehe ich darüber hinweg. Kritik muss immer etwas mit Substanz enthalten, sowohl bei den Urhebenden als auch beim Inhalt.

Sie haben knapp 7.000 Follower auf Instagram und rund 5.000 bei „X“. Pflegen Sie regelmäßig den Austausch mit Ihrer Community?
Ich habe eine ganz tolle Community, die meine unterschiedlichen Facetten schätzt, einige sind schon ganz lange dabei. Darüber freue ich mich sehr.

Gerade ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann war nach ihrer Reportage des Champions-League-Finals heftig in der Kritik. Das ZDF stellte sich schützend vor Sie. Was halten Sie für den geeignetsten Umgang mit überbordender Kritik?
Ich kann da nur für mich sprechen und nicht für die Kollegin. Sachliche Kritik ist immer willkommen. Wer versucht sich mit extremer Unsachlickeit in mein Blickfeld zu bringen, hat keine Chance.

Die Protagonistinnen im Frauen-Fußball wirken häufiger wie Aktivistinnen, spielen diese Rolle in der Regel mit Bravour. Sind die Frauen bessere Medienprofis als die Männer, die zuletzt mit Graugänse-Vergleichen fertig werden mussten?
Graugänse sehe ich nur beim Spazierengehen an der Alster (schmunzelt). Es gibt so viele Spielerinnen und Spieler, die etwas zu sagen haben, deren sportliche Geschichten mitreißend sind. Insgesamt ist eine Zunahme der Toleranz bei Akteuren und Akteurinnen und der offene Umgang mit unterschiedlichen Lebenskonzepten wünschenswert.

Zum Abschluss noch die Meister-Frage: Wer macht das Rennen, Wolfsburg oder Bayern? Oder gar ein Außenseiter?
Bei Eintracht Frankfurt werden die Playoffs der Champions League einen Einfluss haben und die Bayern und der VfL Wolfsburg werden wieder schwer zu schlagen sein. Das erste Spiel, das wir am Sonntagnachmittag auf Sport1 übertragen, ist Wolfsburg gegen Leverkusen und ich bin total auf Bayer 04 gespannt, nach der Verpflichtung der polnische Nationalspielerin Nikola Karczewska von Tottenham Hotspur. Ich freue ich auf eine spannende Saison!

Sport1 zeigt am Sonntag ab 15:30 Uhr das Spiel zwischen VfL Wolfsburg und Bayer 04 Leverkusen (Anpiff: 16:00 Uhr). Am 2. Spieltag bestreiten der FC Bayern München und der 1. FC Köln das erste Montagsspiel der neuen Saison (Anpiff 19:30 Uhr).
15.09.2023 11:00 Uhr  •  Veit-Luca Roth Kurz-URL: qmde.de/145173