Kristian Costa-Zahn: ‚30- bis 50-Jährigen in den Fokus‘

Programmgeschäftsführer und Head of Content ARD Kultur äußerte sich auch zur umstrittenen Plattform TikTok, auf der Videos publiziert werden.

Hallo Herr Costa-Zahn. Sie verantworten den Inhalt von ARD Kultur und müssen die Formate auch schmackhaft für die junge Zielgruppe machen. Wie stellt man dies an?
ARD Kultur will mit dem Portal ardkultur.de digitale Heimat sein für ein kulturinteressiertes Publikum, von 16 Jahren bis Open End. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, das große und vielseitige Kulturangebot der ARD zu kuratieren. Unsere Zielgruppen sind wie wir digital unterwegs, wir wollen Orientierung geben und die sehr hochwertigen Audio- und Videoformate herausstellen, die früher nicht immer einfach zu finden waren. Wir kuratieren Angebote aller neun Landesrundfunkanstalten, der Deutschen Welle, von Deutschlandradio, 3sat, Arte und funk.

Bei unseren Neuproduktionen nehmen wir wiederum die 30- bis 50-Jährigen in den Fokus. Das ist eine große Zahl an Menschen, zu denen ich mich selbst zähle und die meiner Ansicht nach programmlich lange Zeit eher vernachlässigt wurden. Ob man sie als „junge Zielgruppen“ bezeichnen möchte, überlasse ich der Perspektive des Betrachters, aber auf jeden Fall sind sie digital sozialisiert.

Vor einiger Zeit ist das neue TikTok-Projekt @ohnetitel3000 gestartet. Wie würden Sie das Projekt beschreiben?
@ohnetitel3000 ist das erste animierte TikTok- Format über Kunst und gleichzeitig selbst ein Gesamtkunstwerk. Uns - in diesem Fall dem WDR, ARD Kultur und der Produktionsfirma Anna Blume - war wichtig, den Austausch und Dialog über Kunst fördern. Unterhaltsam und ohne die berühmte Fallhöhe, die oft bei diesem Thema mitschwingt. Plattformgerecht, niedrigschwellig, aber mit Anspruch. Die Pilotphase war sehr erfolgreich mit über eine Million Views, 100.000 Likes und über 1000 Kommentaren. Jetzt sind wir mit @ohnetitel3000 offiziell in Serie gegangen und haben bisher über 4,5 Million Views erzielt.

Die Videos wirken wie einfache Zeichnungen, doch Mediengestalter wissen, dass dahinter viel Arbeit steckt. Warum haben Sie sich für diese Form entschieden?
Entwickelt, gezeichnet und animiert werden die Comedy-Clips von Michelle Tophinke, Jon Frickey und Marius Müller, angeleitet von Alain Bieber. Wer die Arbeit dieser Kreativen kennt, weiß, wie viel Ideenreichtum hinter diesen auf den ersten Blick einfachen Zeichnungen stecken. Wir haben uns in einem Ideenwettbewerb für diese Idee erschienen, da sie in unseren Augen sehr innovativ verschiedene Elemente verbindet, um die klassischen Kunstthemen von Klimt über Frida Kahlo bis Beuys wirklich breitenwirksam zu vermitteln.

Ihre Kollegen veröffentlichen die Videos auf der sehr umstrittenen Plattform TikTok. Muss man trotz chinesischer Zensur ein Auge zudrücken, um junge Menschen zu erreichen?
Um jüngere Menschen zu erreichen, müssen wir auch dahingehen, wo sie sich im digitalen Raum aufhalten, z.B. bei TikTok. Wir können und dürfen uns nicht darauf verlassen, dass öffentlich-rechtliche Angebote gezielt gesucht werden und wir nur abwarten müssen, bis sie bei uns vorbeikommen. Wir beobachten aber die Entwicklung der sogenannten Drittplattformen – u.a. im Hinblick auf Kriterien wie publizistische Relevanz, Auffindbarkeit, Absenderkennung, Datenschutz- oder andere Sicherheitsaspekte – kontinuierlich und bewerten unsere Aktivitäten entsprechend.

Vor einigen Wochen erschien die 4-teilige Doku-Reihe «Flaesh» in der Mediathek. Sie besprechen dort ausführlich die Kunst von Tattoos. Welchen Ansatz nutzen Sie, um diese Bewegung zu präsentieren?
Mit diesem Projekt über die Tattookultur in Deutschland schließen wir auch hier eine Portfolio-Lücke. Mit dabei sind die gefragtesten Tätowierer und Tätowiererinnen Deutschlands. Gezeigt wird das Handwerk, die Artists und deren Community. Tattoos sind eine frühe Kunstform, die in den letzten Jahrzehnten in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen ist. Deshalb setzen wir uns mit ihr auseinander. Sprechen über Fragen, die einerseits in der Szene aber auch in der gesamten Gesellschaft diskutiert werden. Es geht beispielsweise um kulturelle Aneignung, Geschlechtervielfalt in der Szene und politische Statements auf dem Körper.

Wie lang dauerte «Flaesh» von der Konzeption bis hin zur Ausstrahlung?
Wenn ich mich recht erinnere, hat uns der Pitch von der Produktionsfirma Yellow Table letzten Sommer erreicht. Bis wir dann gemeinsam mit dem MDR das Projekt gestartet haben, war es Herbst.

Zu ardkultur.de gehört auch die Übertragungen von zahlreichen Festivals mit Konzerten wie Mainstream-Künstler Wycleaf Jean. Sind Sie ein wenig traurig, dass bis auf RTL+ keine Konkurrenz herrscht?
Wir übertragen keine Festivals und Konzerte auf ardkultur.de Wir kuratieren aber Konzerte, die sich im Portfolio der ARD befinden.

Früher hat einsplus zahlreiche Konzerte wie Rock im Park & Co. live übertragen. Planen Sie einen Einstieg in den Festivalsommer?
Das ist aktuell nicht in Planung.

Wie messen Sie eigentlich den Erfolg von Formaten aus dem Kultur-Segment?
Es gibt bei ARD Mediathek und ARD Audiothek einheitliche Benchmarks, ab wann ein Projekt reichweiten-mässig als Erfolg gilt. Zwar sind Kulturformate anders zu bewerten als High End Fiction Serien wie der Tatort. Aber wir treten schon an um zu beweisen, dass Kultur keine Nische ist, sondern ebenfalls reichweitenstarke Projekte hervorbringen kann. Wir wollen also Hits für die Kultur kreieren. Neben der Reichweite gibt es allerdings auch andere Erfolgskriterien wie Public Value.

Ist die ARD Mediathek ein guter Hub, um erfolgreich Formate zu veröffentlichen? Gibt es gewisse Plätze, die Ihnen dort zustehen?
Die ARD Mediathek hat sich vorgenommen in wenigen Jahren die führende Streamingplattform in Deutschland zu sein. Kultur wiederum ist sehr wichtig für das öffentlich-rechtliche Profil, zumal es in der Privatwirtschaft viel weniger Platz für diese Themen gibt und Kultur ein wichtiger Teil der Gesellschaft ist. Gleichzeitig schließen wir Portfoliolücken und bringen über unsere Formate und passgenaue Distributionskonzepte neue Zielgruppen zur ARD Mediathek, die bereits vorhin genannten primär digital agierenden NutzerInnen unter 50. Kultur hat ihren festen Platz in der ARD Mediathek und wir stärken für die Plattform diese Flanke.

Der Mitteldeutsche Rundfunk verantwortet ARD Kultur. Wieso eigentlich?
ARD Kultur als neue Gemeinschaftseinrichtung aller ARD-Anstalten war eine Idee des MDR. Somit ist er auch zum Federführer geworden. Im MDR ist auch die Kulturkoordination der ARD angesiedelt, es gibt hier also ein klares Profil, das den MDR für diese Aufgabe prädestiniert. Im Alltag arbeiten wir aber gleichmäßig mit allen Landesrundfunkanstalten zusammen.

Zu guter Letzt: Welche Projekte stehen als nächstes an? Was können Sie schon teasern?
Als hatten wir «BÄM! – Die Geschichte des Comics», unser erstes Animationsformat für die ARD Mediathek in der Pipleline. Eingebettet in eine eigene Comic-Story über ein Kurhotel für gescheiterte Comic-Figuren, beleuchtet die Animationsserie in vier Episoden die Entwicklung dieser Kulturform in Deutschland, USA, Frankreich/Belgien und Japan.

Zudem wird es eine zweite Staffel der Mockumentary «Szene Report» geben, mit der wir für den Grimme Preis nominiert waren. Außerdem werden wir «Melody of Crime» fortsetzen, den True-Crime-Podcast über große Kriminalfälle in der Kulturszene. Es stehen noch einige weitere Produktionen an, über die ich zu einem späteren Zeitpunkt gerne berichten kann.

Vielen Dank für Ihre Zeit!
23.10.2023 12:38 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/146040