Joachim Kròl: ‚Das Taxi als Mikrokosmos‘

Am vergangenen Donnerstag startet der Roadtrip «791 km» in den deutschen Kinos. Der 66-Jährige mimt den Taxifahrer, eine bunte Truppe fährt.

Joachim Kròl (66) ist seit fast 40 Jahren im Filmgeschäft, spielte seine erste Rolle 1984 in «Kaltes Fieber». Aber erst seine Rollen in den Leinwandhits «Wir können auch anders…» und «Der bewegte Mann» verhalfen dem Schauspieler aus dem Ruhrgebiet zum Durchbruch. Seitdem ist Król in der deutschen Film- und Fernsehlandschaft nicht mehr wegzudenken. Kultstatus erreichte er durch TV-Serien wie «Donna Leon» und «Lutter». Anschließend wurde er «Tatort»-Kommissar beim Hessischen Rundfunk. Im Kino spielte er schon mal den Schurken wie 2020 in «Berlin Alexanderplatz», und immer wieder Vaterrollen wie zuletzt in «Wunderschön» und «Wochenendrebellen». In «791 km» (aktuell im Kino) erleben wir ihn als mürrischen Taxifahrer, der mit der Welt abgeschlossen hat. Bis er eines nachts vier Passagiere von München nach Hamburg kutschieren soll. In einer einzigen Nacht treffen beim Diskutieren verschiedene Meinungen zu brisanten Gesellschaftsfragen aufeinander und ändert am Schluss das Leben aller. Wir trafen Joachim Król zum Interview in Berlin.

Ist es Ihnen schon mal, dass Sie irgendwo festgesteckt haben und nicht mehr wussten, wie Sie wegkommen?
In der sogenannten ‚Schneekatastrophe 1978/79‘ haben Freunde und ich uns mal ein Haus in Ostfriesland über Silvester gemietet. wir waren 12 Leute aus dem Ruhrgebiet, die da hochgefahren sind. Am Morgen nach unserer Ankunft waren wir komplett eingeschneit, sodass wir nur mit großer Mühe das Haus verlassen konnten. Die Dörfler haben uns dann erstmal mit dem nötigsten und ´nem Schnaps versorgt. Da war an Wegkommen nicht zu denken (lacht).

In «791 km» werden viele Themen im Taxi verhandelt, die unsere Gesellschaft aktuell beschäftigen.
Ja, das hat mich sofort für dieses großartige Drehbuch eingenommen. Und als ich nach zwei- bis dreimaligen Lesen den Regisseur Tobi Baumann kennengelernt habe, war ich endgültig überzeugt. Unser Blick auf Joseph, meine Rolle, war sehr schnell klar. Ein Mann aus der Mitte unserer Gesellschaft, dem logischerweise eine Menge Probleme begegnen.

Wie nah oder wie weit weg ist der Joseph im Film denn vom privaten Joachim?
Ich kenne einige Josephs. Dieser Typ Mann begegnet mir häufig, uns allen. Auffallen ist nicht unbedingt seine Sache. Ich selbst bin jedoch bei weitem nicht so pessimistisch und unglücklich wie er.

Joseph ist im Taxi der Konservativste und steht mit seiner Meinung gegenüber den anderen allein da…
Das würde ich so nicht sagen. Er kommt nur aus seiner Zeit und hat seine ganz individuelle Biographie, wie die anderen auch. Nur dass seine Biographie umfangreicher ist als die der jungen Leute auf der Rückbank. Und einiges, was er erlebt hat oder auch gerade erlebt, macht ihn unglücklich. Ich glaube, dass man sich mit so einer Lebenserfahrung dann auch so äußert wie er. Dieses ‚früher war alles besser‘. Natürlich erinnert er sich daran, dass er so manche Probleme früher nicht hatte. Für ihn ist das wie eine einfache mathematische Gleichung.

Hat er vielleicht Angst vor Veränderungen?
Jede Veränderung ist ja nicht gleich auch Verbesserung. Viele ‚Heilsversprechen‘ lösen sich nicht ein. Natürlich geht es immer weiter, aber man kann wie Joseph durchaus der Meinung sein, dass einen manche Entwicklungen vor sich hertreiben, siehe Smartphone und KI.

Nutzen Sie Ihr Smartphone oft?
Natürlich ertappe ich mich auch dabei es häufiger zur Hand zu nehmen als nötig. Ich habe sogar so einen kleinen Instagram-Auftritt, weil mich meine Agentur dazu überredet hat. Aber es ist nicht wirklich mein Ding. das Smartphone sollte ein praktisches Werkzeug sein, kein Fetisch. Es gibt auch Tage, an denen ich es ganz bewusst zu Hause lasse.

Wie gut halten Sie das aus?
Sehr gut. Früher sind wir einmal am Tag zum Briefkasten gegangen, heute gehen wir am Tag zweihundert Mal an unsere Mails. Warum? Weil wir glauben, eine Nachricht zu bekommen, dass wir im Lotto gewonnen haben? Sogar das müsste ich nicht sofort wissen.

Ist das Smartphone inzwischen mehr Segen oder Fluch?
In meiner momentanen Wahrnehmung eher Fluch. Niemals hat ein Werkzeug, ein technisches Mittel so viel in so kurzer Zeit verändert. Warum geben wir einen 12-Jährigen keinen Autoschlüssel? Damit er keinen Unfall bauen kann. weil er das Autofahren wahrscheinlich nicht beherrscht. Das Smartphone scheint jeder beherrschen zu können. Großer Irrtum. Es wird sich zeigen, wer oder was am Ende wen beherrscht.

In «791 km» sind die Protagonisten gezwungen, wieder miteinander zu kommunizieren, zu streiten und sich auch wieder zu versöhnen…
Ja, eine großartige Versuchsanordnung. Das Taxi als Mikrokosmos. Man kann sich nicht aus dem Weg gehen, niemand bekommt die Chance, in seiner Smartphone-Blase zu verschwinden. Tobi Baumann nennt seinen Film «791 km» einen ‚Empathie‘-Film, und Empathie ohne Kommunikation, ohne vorurteilsfreies Zuhören geht nicht. Wenn der Film es schafft, dass das Publikum diese Gedanken aufnimmt und in den Alltag trägt, würde uns das sehr freuen. Wir hoffen, auch ein sehr breites Publikum zu erreichen - mit unseren Jungstars Lena Urzendowsky, Nilam Farooq und Ben Münchow für die jüngeren Leute, Iris Berben und mich für das Publikum, dass uns schon seit langer Zeit die Treue hält.

Vielen Dank für Ihre Zeit!
19.12.2023 11:44 Uhr  •  Markus Tschiedert Kurz-URL: qmde.de/147571